Wert|urteils|streit,
Kontroverse um die methodologisch-wissenschaftstheoretisch wichtige Grundfrage nach dem Stellenwert von Werturteilen im Zusammenhang sozialwissenschaftlicher Forschungen und Erkenntnisziele. Der Werturteilsstreit wurde 1904 durch einen programmatischen Beitrag M. Webers, W. Sombarts und Edgar Jaffés (* 1866, ✝ 1921) zu dem von ihnen geleiteten »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« ausgelöst, in dem gegen die damals weitgehend anerkannte Position G. von Schmollers Stellung bezogen wurde. Während Schmoller gefordert hatte, wissenschaftliche Erkenntnis müsse der Anleitung der »richtigen« Entwicklung dienen, Ideale aufstellen und in praktischen und politischen Fragen Stellung beziehen, vertraten u. a. Weber und Sombart die Auffassung, Wissenschaft unterliege einzig ihren durch die eigenen Rationalitätskriterien formulierten Maßstäben und habe sich vor der Unterwerfung unter wissenschaftsfremde Zwecksetzungen zu hüten (Forderung nach gesinnungsethischer Wertfreiheit). Die Kontroverse, in deren Verlauf Weber wichtige Beiträge zur Methodologie und zur Frage der Objektivität in den Sozialwissenschaftenen lieferte, dauerte zunächst bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs und führte u. a. 1909 zur Gründung der eigenständigen »Gesellschaft für Soziologie«. Die Kontroverse über Wertfreiheit oder Interessengebundenheit der Gesellschaftswissenschaften wurde in den 20er-Jahren sowie in den wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der 60er-Jahre (Positivismusstreit) wieder aufgenommen.
C. von Ferber: Der W. 1909-1959, in: Kölner Ztschr. für Soziologie u. Sozialpsychologie, Jg. 11 (1959); D. Aldrup: W., in: Hwb. der Wirtschaftswiss., hg. v. W. Albers u. a., Bd. 9 (Neuausg. 1988);
H. H. Nau: Der W. Die Äußerungen zur Werturteilsdiskussion im Ausschuß des Vereins für Sozialpolitik 1913 (1996).
Universal-Lexikon. 2012.