Akademik

Sibylle
Si|bỵl|le 〈f. 19; im antiken Griechenland〉 weissagende Frau [<grch. sibylla <sios boule „Gottesraterin“]

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Si|bỵl|le, die; -, -n [lat. Sibylla < griech. Si̓bylla, in der Antike Name von weissagenden Frauen] (bildungsspr.):
weissagende Frau, geheimnisvolle Wahrsagerin.

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Sibỵlle,
 
im Altertum Name weissagender Frauen, so der Sibylle von Erythrai (Westkleinasien) oder von Tibur (heute Tivoli). Der Sibylle von Cumae wurden die (83 v. Chr. verbrannten) »Sibyllinischen Bücher« in Rom zugeschrieben, eine Sammlung von Kultvorschriften und Weissagungen, die im Keller des kapitolinischen Jupitertempels aufbewahrt wurde und nur von dem Priesterkollegium der Decemviri sacris faciundis in Notzeiten zurate gezogen werden durfte. Von den Sibyllinischen Büchern sind die Sibyllinischen Orakel (»Oracula Sibyllina«) zu unterscheiden, eine zum Teil bis ins 2. Jahrhundert v. Chr. zurückreichende, 14 Bücher umfassende Sammlung sibyllinischer Weissagungen in griechischen Hexametern (Bücher 9-10 nicht erhalten); sie ist die christliche Überarbeitung jüdischer Orakel, die ihrerseits wieder auf heidnische beruhen. Die Orakel enthalten Bußmahnungen und Weissagungen über den kommenden Messias und das Weltende.
 
In der bildenden Kunst deuten Darstellungen von Sibyllen deren Weissagungen als Hinweise auf die Menschwerdung Christi, ausgehend von der aus Byzanz stammenden Legende, die Sibylle von Tibur habe Kaiser Augustus die Ankunft Christi vorhergesagt. Abgesehen von frühen Beispielen in der armenischen Kunst werden Sibyllen - in Gruppen mit wechselnder Anzahl oder als Einzelfigur (Fresko in Sant' Angelo in Formis bei Capua mit der erythräischen Sibylle) - seit dem 11. Jahrhundert dargestellt. Fresken im Limburger Dom (13. Jahrhundert) stellen vier Sibyllen vier Philosophen gegenüber. An den Kanzeln von G. Pisano in Pistoia (1301) und Pisa (1302-12) finden sich sechs Sibyllen, zehn Sibyllen z. B. am Ulmer Chorgestühl (von J. Syrlin dem Älteren), wo sie ebenfalls heidnischen Philosophen gegenübergestellt sind. Michelangelo malte in den fünf Sibyllen der Sixtinischen Kapelle (1508-12) große eigenständige Charaktere. Seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ist - in Parallele zu den Aposteln - die Anzahl von zwölf Sibyllen z. B. in Blockbüchern belegt; zwölf Sibyllen zeigt auch der Huldigungssaal im Goslarer Rathaus. Als Einzelfigur wird nun bevorzugt die tiburtinische Sibylle dargestellt, wie sie dem Kaiser Augustus am Himmel Maria mit dem Kind zeigt (Miniatur der »Très riches heures« des Jean de France, Herzog von Berry; Bladelin-Altar Rogiers van der Weyden).
 
Ausgaben: Die Oracula Sibyllina, herausgegeben von J. Geffcken (1902, Nachdruck 1967); Sibyllinische Weissagungen, übersetzt von A. Kurfess (1951).

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Si|bỵl|le, die; -, -n [lat. Sibylla < griech. Síbylla, in der Antike Name von weissagenden Frauen] (bildungsspr.): weissagende Frau, geheimnisvolle Wahrsagerin.

Universal-Lexikon. 2012.