Politikberatung,
die Einbringung von »Sachverstand« in den politischen Willensbildungsprozess, besonders durch in der Forschung tätige Wissenschaftler. Die Anforderungen, die die politische Praxis an die Wissenschaft gestellt hat, führten zur Intensivierung der Grundlagenforschung und zur Vermehrung praktisch verwertbarer Informationen. In der Wissenschaft entbrannte daraufhin eine Diskussion über die grundsätzliche Funktion, die Wissenschaftler bei der Gestaltung der gesellschaftspolitischen Praxis haben sollten. Nach J. Habermas und K. Lompe unterscheidet man drei Beratungsmodelle: Beim »technokratischen Modell« kommt es zu einer Überordnung von Technik und Wissenschaft über die Politik, die sich in »Sachzwänge« auflöst. Die wissenschaftliche Entwicklung schreibt dabei quasi den besten Weg politischer Entscheidungen vor, die Politik verliert letztlich ihre Eigenständigkeit. Dagegen setzt das »dezisionistische Modell« eine klare Abgrenzbarkeit der beiden Bereiche voraus. Die Wissenschaft liefert der Politik die »wertfreie« Information, der Politiker fällt daraufhin die Entscheidungen. Eine solche Funktionstrennung kann dazu führen, dass die Wissenschaft zum »Dienstleistungsgewerbe« einer wie auch immer gearteten Politik wird. In demokratischen Systemen muss die Entscheidung beim Politiker bleiben; der Beratungsprozess ist aber in der Realität eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der auch der Wissenschaftler Entscheidungen (Wertungen) trifft, bevor er Handlungsmöglichkeiten formuliert. Angesichts der wechselseitigen Abhängigkeit beider Funktionen und deren nur partieller Trennbarkeit steht im »pragmatistischen Modell« daher die permanente Kooperation und Kommunikation unter Einbeziehung der Öffentlichkeit im Vordergrund. In der Praxis ist die Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik allerdings nicht ohne Probleme (Nichtbeachtung oder Alibifunktion von Ergebnissen der wissenschaftlichen Politikberatung; Ausgeliefertsein der Politik an die Fachleute besonders im Bereich großtechnischer Entwicklungen).
Wie in anderen Ländern besteht auch in Deutschland ein weitläufiges Netz von Kooperationsbeziehungen zwischen politischen Stellen und einzelnen Wissenschaftlern, Beratergruppen oder Institutionen. Dies gilt sowohl für die Ebene des Bundes und der Länder als auch für die Kommunen. Neben der Einzelberatung, der Beratung durch ständige oder Ad-hoc-Ausschüsse, Enquetekommissionen sowie wissenschaftliche Beiräte und Institute spielt auch die Auftragsforschung eine wichtige Rolle. Beratungsinstrumente des Parlaments sind neben den persönlichen Assistenten, den wissenschaftlichen Referenten der Arbeitskreise der Fraktionen und der Abteilung »Wissenschaftliche Dienste« beim Bundestag v. a. Hearings und Enquetekommissionen. Eine besondere Rolle spielt in Deutschland der »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« (Sachverständigenrat).
K. Lompe: Wiss. Beratung der Politik (21972);
K. Lompe: Enquête-Kommissionen u. Royal Commissions, Beispiele wiss. P. in der Bundesrep. Dtl. u. in Großbritannien (1981);
G. T. W. Dietzel: Wiss. u. staatl. Entscheidungsplanung (1978);
W. Bruder: Sozialwiss.en u. P. (1980);
Regieren u. P., hg. v. A. Murswieck (1994);
K. von Wulffen: P. in der Demokratie (1996).
Universal-Lexikon. 2012.