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Willehalm
Wịllehalm,
 
Hauptfigur mehrerer mittelhochdeutscher höfischer Romane, v. a. des gleichnamigen, wohl zwischen 1210 und 1222 entstandenen Werks des Wolfram von Eschenbach. Der reichen Überlieferung nach (über 70 Handschriftenbelege, davon 12 vollständig erhalten) gehörte der Willehalm zu den meistgelesenen Dichtungen des deutschen Mittelalters. Seit dem 13. Jahrhundert ist der nicht abgeschlossene Willehalm-Roman Wolframs zusammen mit späteren Bearbeitungen überliefert: zum einen mit der Vorgeschichte Ulrichs von dem Türlin (»Arabel«, zwischen 1253 und 1278) und dem Wolframs Fragment fortsetzenden »Rennewart« Ulrichs von Türheim (um 1240/50). Diese insgesamt mehr als 60 000 Verse umfassende Konzeption bildete dann auch die Vorlage für die im 15. Jahrhundert erfolgte Prosabearbeitung des Willehalm-Stoffes. Wolframs Quelle war eine französische Chanson de geste aus dem Zyklus um Guillaume d'Orange, die »Bataille d'Aliscans« aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts (Wilhelmslied). Die Dichtung ist gegliedert durch die beiden Schlachten auf Alischanz vor Oransche (Orange): Willehalm verteidigt seine Gemahlin Gyburc (mit heidnischem Namen Arabel), die getaufte Tochter des Heidenkönigs Terramer, die ihn aus der Gefangenschaft ihres ersten (heidnischen) Gatten Tibald befreit hatte und ihm gefolgt war, gegen das zu ihrer Rückeroberung anrückende Heidenheer. In der ersten Schlacht unterliegen die Christen. In den Vordergrund rückt dann die Gestalt des jungen Rennewart, eines heidnischen Gefangenen am Königshof (Bruder Gyburcs), der in Willehalms Dienste tritt und in der zweiten Schlacht um Oransche entscheidend zum Sieg der Christen beiträgt. Er wird nach der Schlacht vermisst und von Willehalm beklagt. - Der Willehalm greift mit dem Kampf zwischen Christen und Heiden ein zentrales Thema der mittelhochdeutschen Dichtung auf, schlägt aber - bei Wolfram - völlig neue Töne an, indem er in den Heiden Gottes Geschöpfe sieht, die den Christen ebenbürtig sind. Auch in der Betonung der Gattenliebe und -treue weicht der Roman von der französischen Vorlage ab. Neue Akzente ergeben sich ferner durch die Experimente Wolframs mit der Erzählperspektive, die das komplizierte Handlungsgeflecht zu bewältigen suchen.
 
Ausgaben: Wilhelm von Orange, übersetzt von San-Marte (1873); Wolfram von Eschenbach, bearbeitet von K. Lachmann u. a. (61926, Nachdruck 1965); Wolfram von Eschenbach, herausgegeben von A. Leitzmann, Bände 4 und 5 (51963); Willehalm, übersetzt von O. Unger (Neuausgabe 1973); Willehalm, herausgegeben von D. Kartschoke (1989); Willehalm, herausgegeben von J. Heinzle u. a. (1991).
 
Literatur:
 
J. Bumke: Wolfram von Eschenbach (71997).
 

Universal-Lexikon. 2012.