Neutrino|astronomie,
Forschungsgebiet der Astrophysik, in dem in Zusammenarbeit mit der Elementarteilchenphysik die durch Kernreaktionen in der Sonne (Bethe-Weizsäcker-Zyklus, Proton-Proton-Reaktion) und in Supernovae erzeugten Neutrinos untersucht werden.
Neutrinodetektoren:
Um den solaren Neutrinostrom zu messen und Informationen über die Art der Kernreaktionen und damit der Temperatur im Sonneninneren zu erhalten, werden wegen der geringen Wechselwirkungswahrscheinlichkeit von Neutrinos mit Materie große Detektoren benötigt, die sich zur Reduzierung störender Nebeneffekte weit unterhalb der Erdoberfläche (vielfach in Minen oder in der Tiefsee beziehungsweise dem Polareis) befinden.
Mit dem 1968 in Betrieb genommenen, in der Homestake Mine in Lead (S. D., USA) in 1 500 m Tiefe befindlichen Detektor können Elektronenneutrinos (νe) mit einer Energie oberhalb 0,81 MeV über die Reaktion νe +37Cl →37Ar + e- nachgewiesen werden (37Cl bedeutet ein Kern des Chlorisotops der Massenzahl 37, 37Ar entsprechend ein Kern des Argonisotops 37 und e- ein Elektron).
Da nur etwa 0,01 % der solaren Neutrinos eine derart hohe Energie besitzen, nutzt man bei einem Galliumdetektor die Reaktion νe +71Ga →71Ge + e- zum Neutrinonachweis aus, da die dafür benötigte Mindestenergie von 0,23 MeV von mehr als der Hälfte aller Sonnenneutrinos erreicht wird. Derartige Detektoren werden als Gemeinschaftsprojekte im Gran-Sasso-Massiv in Italien (Gallium-Neutrino-Observatorium, GALLEX) sowie im Baksan-Neutrinolabor, 1 600 m unter den Gipfeln des Kaukasus (Russische Föderation zusammen mit den USA), betrieben.
In einer dritten Art von Detektoren wird die Wechselwirkung der Sonnenneutrinos mit Sauerstoffkernen von Wassermolekülen in unterirdischen Tanks zum Nachweis ausgenutzt und die durch freigesetzte Myonen und Elektronen entstehende Tscherenkow-Strahlung registriert, wie z. B. im japanischen Superkamiokande-Experiment. Die Mindestenergie der Neutrinos liegt zwar bei 7,3 MeV, doch lassen sie sich im Gegensatz zu den übrigen Detektoren in Echtzeit nachweisen sowie ihre Einfallsrichtungen bestimmen. Außerdem können sowohl Elektron- als auch Myuonneutrinos nachgewiesen werden. Im Sudbury Neutrino Observatory (SNO; Ontario, Kanada) wird die Tscherenkow-Strahlung registriert, die bei der Wechselwirkung von Neutrinos mit schwerem Wasser entsteht. Aus den Deuteriumkernen werden dabei Neutronen durch die Wechselwirkung mit allen drei Neutrinoarten (Elektron-, Myon- und Tauneutrinos) ausgelöst. - Die im Baikal-See (BAIKAL) beziehungsweise im Eis der Antarktis (AMANDA, kurz für englisch antarctic myon and neutrino detection array, seit 1999) befindlichen Neutrinodetektoren benutzen zum Teil mehrere Photodetektoren zum Nachweis der Tscherenkow-Strahlung von Myonen, die bei der Wechselwirkung von Neutrinos mit Wassermolekülen entstehen.
Messergebnisse:
Sämtlichem bisherigen Beobachtungen, die jedoch nur Elektronneutrinos erfassten, ergaben nur etwa 33 % (Chlordetektor) bis 60 % (Galliumdetektoren) der Neutrinoereignisse, die man aufgrund von Sonnenmodellrechnungen erwarten würde. Da mit den benutzten Standardsonnenmodellen die meisten anderen Sonnenbeobachtungen befriedigend beschrieben werden können, geht man zur Erklärung dieser Diskrepanz im Allgemeinen davon aus, dass Neutrinos massebehaftet sind und auf dem Weg von der Sonne zur Erde so genannten Neutrinooszillationen unterworfen sind, wodurch die Zahl der nachweisbaren Elektronneutrinos reduziert wird. Diese Annahme wird durch Ergebnisse (1998) des Superkamiokande-Experiments gestützt (an Myuonneutrinos, die bei der Wechselwirkung von Teilchen der kosmischen Strahlung mit Molekülen der Erdatmosphäre entstehen, gelang der experimentelle Nachweis der theoretisch vorausgesagten Neutrinooszillationen) sowie durch Resultate (2001) aus dem Detektor SNO bestätigt. - Nichtsolare Neutrinos konnten erstmals von der Supernova 1987 A nachgewiesen werden, die 1987 in der Großen Magellanschen Wolke explodierte. Insgesamt wurden 19 Neutrinos registriert, die innerhalb eines Zeitraums von 12 s die Erde erreichten.
Das Weltall ist mit einer großen Menge Neutrinos angefüllt, die noch aus der Frühphase des Weltalls stammen (Kosmologie). Massebehaftete Neutrinos könnten Träger eines Teils der bislang nicht entdeckten Dunklen Materie des Weltalls sein. Sie können einen (wenn auch nur geringen) Beitrag zur Gesamtmasse des Weltalls liefern und somit die Expansion des Weltalls beeinflussen. Ob dieser Beitrag zu einer merklichen Verzögerung (oder gar zu einem Stillstand) der Expansion führen könnte, lässt sich erst bei Kenntnis der absoluten Neutrinomasse sagen.
Universal-Lexikon. 2012.