Mentalitätsgeschichte,
Mentalitätengeschichte, moderner, von Frankreich ausgehender Zweig der Geschichtswissenschaft; von den Historikern M. Bloch und L. Febvre entwickelt; versucht die im lateinischen Begriff »mens« enthaltenen Bedeutungsfelder - Geist und Verstand, Gefühl und Leidenschaft, Haltung und Verhalten - zu berücksichtigen. Die Mentalitätsgeschichte, die u. a. enge Verbindungen zur Alltagsgeschichte (Alltag) und zur Historischen Anthropologie aufweist, bezieht in die Erforschung geschichtlicher Vorgänge und Epochen die Formen des Alltagswissens und die dem Bewusstsein der betreffenden Zeit entzogenen, aber tatsächlich wirksamen Denkmuster ein. Der Versuch, »kollektive Mentalitäten« zu analysieren und sie als soziokulturelle Muster zu interpretieren, um so das geistige Klima einer Gesellschaft zu rekonstruieren, stößt v. a. auf das Problem der Erschließbarkeit; so mangelt es häufig an seriellen Quellen, entziehen sich bestimmte Bevölkerungsteile (besonders gesellschaftliche Unterschichten) zumeist einer quellenmäßigen Erfassung oder die Befunde sind nicht genügend repräsentativ. Dennoch ermöglicht die Mentalitätsforschung der Geschichtswissenschaft neue, komplexere Sichten v. a. auf die Kultur- und Sozialgeschichte, erschließt sie einen spezifischen Zugang zu den Handlungsorientierungen des Volkes beziehungsweise einzelner Gruppen und Schichten, erfasst sie bislang noch nicht berücksichtigte Quelleninhalte beziehungsweise erweitert den Kreis der herangezogenen Zeugnisse und führt zur Kooperation mit anderen Wissenschafts-Disziplinen (besonders Sprachwissenschaft, Kunst- und Literaturgeschichte).
Europ. M. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, hg. v. P. Dinzelbacher (1993).
Universal-Lexikon. 2012.