Neue Deutsche Welle,
1980 aufgekommene Bezeichnung für die in Deutschland unter dem Einfluss des britischen Punkrock entstandene deutschsprachige Erscheinungsform der New Wave. 1977/78 tauchte auch hier auf lokaler Ebene eine Vielzahl neuer, meist sehr junger Bands auf, die aus dem Livezusammenhang (live) heraus nach dem Vorbild des englischen Punkrock eine eigenständige Rockentwicklung in Gang setzten und dabei erstmals — sieht man von Einzelerscheinungen wie etwa Udo Lindenberg (* 1946) sowie der ganz anders gelagerten Entwicklung in der DDR einmal ab — nahezu ausnahmslos die deutsche Sprache für ihre Texte nutzten. Dahinter standen sich verschärfende soziale Spannungen und Konflikte in der Folge rapide wachsender Jugendarbeitslosigkeit, ein damit um sich greifendes Gefühl der sozialen Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, das sich in dieser Musik einen unmittelbaren Ausdruck zu verschaffen suchte, statt wie bisher Rockmusik schon von vornherein mit englischsprachigen Texten auf den internationalen Vermarktungszusammenhang hin zu konzipieren. Eigenproduktion und Eigenvertrieb von Singles in kleinen Stückzahlen, kleine unabhängige Labels (Indies) und alternative Plattenläden wurden zu Existenzbedingungen dafür. Über die Initiative Rock gegen Rechts entstand ein landesweiter Zusammenhang der verschiedenen lokalen Aktivitäten, mit dem sich eine relativ stabile organisatorische Basis herausbildete. Gruppen wie Morgenrot, Fehlfarben, Wirtschaftswunder, Hans-A-Plast, Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Bel Ami, Din-A-Testbild, Ideal, Extrabreit, Einstürzende Neubauten oder Die tödliche Dosis stießen so auf wachsende Beachtung auch außerhalb ihres lokalen Umfeldes. Sie alle hatten den mit dem Punkrock aus England kommenden Impuls aufgegriffen und zu jeweils eigenständigen stilistischen Konzepten gefunden, die sich mit ihrer oft anarchischen Grundhaltung und den schrillen Klangmustern bewusst dem herkömmlichen Rockverständnis sowie den gängigen Marktkategorien der Musikindustrie verweigerten. Trotzdem begann auch die Tonträgerindustrie sich bald schon für diese Entwicklung zu interessieren — nicht zuletzt aus einer Ende der Siebzigerjahre permanent gewordenen Absatzkrise heraus — und sie in einer bis dahin beispiellosen Kampagne unter dem Etikett Neue Deutsche Welle zu vermarkten. Ideal, Bel Ami, Deutsch-Amerikanische Freundschaft und UKW, wenig später Trio und Nena wurden neben einer ganzen Reihe oft auch nur kurzlebiger Gruppen zu Musterbeispielen dieser Vermarktungskampagne, die mit einer allmählichen Umrichtung auf fröhlich blödelnde Nonsenstexte (Trio, »Da Da Da«, 1981; UKW, »Sommersprossen«, 1982) zu glatten tanzbaren Rhythmusmustern einherging und nicht zu Unrecht die Bezeichnung Neue Deutsche Tanzmusik angeheftet bekam. In knapp drei Jahren war das kreative Potenzial dieser Entwicklung dann so weit verschlissen, dass schon 1983 von einer »Neuen Deutschen Welle« kaum mehr die Rede gewesen ist. Ein großer Teil der Gruppen löste sich auf, weil ihnen mit dem ökonomischen Zusammenbruch vieler der kleinen unabhängigen Label und Veranstaltungsunternehmen die Existenzbedingungen entzogen waren; andere, die ihrem ursprünglichen Konzept treu zu bleiben versuchten, gingen wie Deutsch-Amerikanische Freundschaft oder Einstürzende Neubauten nach England, um bei den dortigen, ökonomisch stabileren Labels für unabhängige Musik weiter zu arbeiten; einige, wie Nena oder Trio, produzierten mit englischsprachigen Versionen ihrer Lieder wie gehabt für den internationalen Markt, wobei sich insbesondere Nena (* 1960) mit der englischen Fassung ihrer »99 Luftballons« (1983) erfolgreich zu behaupten vermochte.
Universal-Lexikon. 2012.