◆ Neu|tri|no 〈n. 15; Phys.〉 wahrscheinlich masseloses Elementarteilchen aus der Familie der Leptonen
◆ Die Buchstabenfolge neu|tr... kann in Fremdwörtern auch neut|r... getrennt werden.
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Neu|t|ri|no [Diminutiv zu ↑ Neutron], das; -s, -s; Symbol: ν: zur Gruppe der ↑ Leptonen gehörende Elementarteilchen mit Spin ½ (Fermionen) u. einer allenfalls mit 0,5–5 eV sehr kleinen Ruhemasse, die keine elektr. Ladung besitzen. Man unterscheidet 3 Arten von N.: Elektron-N. (νe), Myon-N. (νμ), Tau-N. (ντ) u. die entspr. Antineutrinos (ν̄e, ν̄μ, ν̄τ). Die beim Beta-Zerfall u. a. Kernreaktionen (z. B. in der Sonne) gebildeten N. durchdringen Materie praktisch ohne Wechselwirkung, können sich u. U. ineinander umwandeln u. sind daher nur schwierig nachzuweisen.
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(masseloses) Elementarteilchen ohne elektrische Ladung.
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Neutrino
[italienisch, eigentlich »kleines Neutron«] das, -s/-s, stabiles, elektrisch neutrales Elementarteilchen, das in drei Arten, Elektronneutrino (e-Neutrino, νe), Myonneutrino (μ-Neutrino, νμ) und Tauneutrino (τ-Neutrino, ντ), sowie den entsprechenden Antiteilchen, den Antineutrinos (ν̅e, ν̅μ, ν̅τ) vorkommt. Zusammen mit den jeweils zugehörigen geladenen Elementarteilchen e-, μ- und τ- bilden die drei Neutrinos νe, νμ und ντ die drei Generationen der Leptonen. Neutrinos unterliegen nur der schwachen Wechselwirkung. Sie haben den Spin ½, sind Träger von Energie und Impuls und weisen nach heutigem Kenntnisstand vermutlich eine Ruhemasse auf. Die Neutrinos sind linkshändig (negative Helizität), die Antineutrinos rechtshändig.
Ein Teilchen wie das Neutrino wurde 1931 von W. Pauli postuliert, um das beim Betazerfall von Atomkernen (β--Zerfall, später auch β+-Zerfall) beobachtete Kontinuum des Elektronen- beziehungsweise Positronenspektrums ohne Verletzung des Energiesatzes und des Impulssatzes erklären zu können; seinen heutigen Namen (»kleines Neutron«) erhielt das Neutrino von E. Fermi, der den Betazerfall quantenfeldtheoretisch beschrieb. Durch ihren Spin gewährleisten die Neutrinos außerdem die Erhaltung des Drehimpulses beim Betazerfall und allgemein bei der schwachen Wechselwirkung.
Typ. Prozesse, bei denen Neutrinos beteiligt sind, sind der Betazerfall des freien Neutrons (n): n → p + e- +ν̅e sowie dessen Umkehrung ν̅e + p → n + e+ (p Proton, e+ Positron), der Zerfall des Myons mit einem Elektron im Ausgangskanal μ- → e- + ν̅e + νμ und der Zerfall des Tauleptons mit einem Myon im Ausgangskanal τ- → μ- + ν̅μ + ντ.
Neutrinos werden künstlich in Kernreaktoren und mithilfe von Teilchenbeschleunigern erzeugt, auf natürlicher Weise in kosmischen Prozessen, wie sie z. B. in der Sonne und in Supernovae ablaufen. Wegen ihrer außerordentlich schwachen Wechselwirkung mit Materie, die es ihnen erlaubt, kosmische Materiemassen zu durchdringen, dauerte es einerseits geraume Zeit, bis sie experimentell nachgewiesen werden konnten, vermögen sie andererseits aber auch Aufschluss über Vorgänge im Innern der Sonne zu geben, da sie diese im Gegensatz zu den Photonen praktisch ohne Wechselwirkung verlassen können. - Der erste (indirekte) Nachweis gelang Anfang der 1950er-Jahre durch Messung des Rückstoßes beim K-Einfang; der erste direkte Nachweis erfolgte 1956 (C. Cowan, F. Reines) mit einem Elektron-Antineutrino (ν̅e) aus einem Kernreaktor für die oben angegebene Umkehrung des Betazerfalls. Das Myonneutrino wurde 1962 (L. Lederman, M. Schwartz, J. Steinberger) an einem Beschleuniger nachgewiesen, auf die Existenz des Tauneutrinos wiesen schon 1975 durchgeführte Experimente hin (M. L. Perl u. a.). Technisch möglich war der Nachweis des Tauneutrinos aber erst mit der Verfügbarkeit besonders empfindlicher Detektoren. Es wurde im Juli 2000 mit dem 800-GeV-Protonenbeschleuniger (»Tevatron«) des Fermi National Accelerator Laboratory (USA) experimentell bestätigt. Dabei wurde der Protonenstrahl auf ein Wolfram-Target gelenkt, wobei sich ein Teil der Protonenenergie in neue Partikel umwandelte, die sofort wieder zerfielen, u. a. in Tauneutrinos. Insgesamt konnten vier Ereignisse beobachtet werden. Der Nachweis gilt als entscheidende Bestätigung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Wegen der Kleinheit der Wirkungsquerschnitte für die Wechselwirkung der Neutrinos mit Materie (etwa 10-46 bis 10-36 cm2) sind für die Untersuchung von Neutrinoreaktionen sehr große Targetmassen (viele Tonnen) und intensive Neutrinostrahlen erforderlich. Gegenwärtig werden bei Neutrinoexperimenten Ereignisraten bis zu etwa 1000 pro Stunde erreicht (beim Nachweis des νμ war es noch durchschnittlich ein Ereignis in zehn Stunden).
Weil Neutrinos nur der schwachen Wechselwirkung unterliegen, stellen sie nützliche Sonden zur Untersuchung der inneren Struktur der Hadronen sowie zur Erforschung der schwachen Wechselwirkung dar. Ein bedeutsames Ergebnis der Neutrinoexperimente war der Nachweis (1973 am CERN), dass es bei der schwachen Wechselwirkung neben Prozessen mit geladenen Strömen, vermittelt durch die intermediären Bosonen (Eichbosonen) W+ und W-, auch Prozesse mit neutralen Strömen gibt, die durch das neutrale intermediäre Boson Z0 vermittelt werden. Bei Prozessen mit geladenen Strömen werden Neutrinos in geladene Leptonen verwandelt und umgekehrt, während eine solche Umwandlung bei Prozessen mit neutralen Strömen nicht stattfindet. Die schwachen neutralen Ströme sind deswegen bedeutsam, weil sie die Glashow-Salam-Weinberg-Theorie bestätigen.
Obwohl in der Theorie lange Zeit angenommen wurde, dass Neutrinos die Ruhemasse null haben, konnten experimentell bislang nur folgende Masseobergrenzen ermittelt werden: 17 eV/c2 (νe), 0,17 MeV/c2 (νμ), 24 MeV/c2 (ντ). Die Frage, ob die Neutrinomasse endlich ist oder nicht, ist eines der zentralen Probleme der heutigen Physik. Bei einer verschwindenden Ruhemasse bewegen sich die Neutrinos mit Lichtgeschwindigkeit, ihr Spin kann deswegen nur entweder in Richtung ihres Impulses, also ihrer Bewegungsrichtung, ausgerichtet sein (positive Helizität, Rechtshändigkeit) oder entgegengesetzt dazu (negative Helizität, Linkshändigkeit). Die Existenz einer Neutrinomasse hat zur Folge, dass es nur linkshändige Neutrinos gibt. - 1998 wurde erstmals ein Hinweis auf Neutrinooszillationen erbracht (Superkamiokande-Experiment). Diese Oszillationen sind nur möglich, wenn Neutrinos eine Masse besitzen. Dabei könnten sich die verschiedenen Neutrinos ähnlich den neutralen K-Mesonen K0 und K̄0 oszillatorisch ineinander umwandeln; z. B. könnten sich die in der Sonne bei Kernfusionsprozessen entstehenden Elektronneutrinos in ein Gemisch aus gleichen Teilen von Elektron-, Myon- und Tauneutrinos umwandeln und damit das experimentell beobachtete Neutrinodefizit erklären. Ein endlicher Wert der Ruhemasse der Neutrinos hat weit reichende Folgen, sowohl für die Elementarteilchenphysik, die eine Korrektur des von masselosen Neutrinos ausgehenden Standardmodells erfordert, als auch für die Kosmologie. (Neutrinoastronomie)
Neutrinos, hg. v. H. V. Klapdor (ebd. 1988);
C. Sutton: Raumschiff N. Die Gesch. eines Elementarteilchens (a. d. Engl., Basel 1994);
N. Schmitz: Neutrinophysik (1997);
Weitere Literatur: Elementarteilchen.
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Neu|tri|no, das; -s, -s [ital. neutrino = kleines Neutron] (Kernphysik): (masseloses) Elementarteilchen ohne elektrische Ladung.
Universal-Lexikon. 2012.