Os|ter|spiel 〈n. 11; Lit.〉 aus der Osterliturgie entstandene, älteste Form des geistl. Dramas, in der die Szene am Grabe Christi nach der Auferstehung u. der Wettlauf der Apostel zum Grabe dargestellt wurden
* * *
Osterspiel,
ältester und für die Entwicklungsgeschichte des geistlichen Dramas bedeutendster Typus des mittelalterlichen Dramas, der das österliche Heilsgeschehen in dramatischer Gestaltung vorführt. Am Anfang steht der Ostertropus, der den Gang der drei Marien zum Grabe gestaltet (Visitatio; älteste Texte aus Limoges und Sankt Gallen, 10. Jahrhundert). Der kurze Text des Ostertropus ist dialogisch strukturiert; auf die Frage der Engel »Quem queritis in sepulchro, o Christicolae?« (»Wen sucht ihr im Grab, o Christen?«) und die Antwort der Marien folgen die Verkündigung der Auferstehung und der Auftrag an die Frauen; eine in mehreren Textfassungen überlieferte Antiphon der Marien bildet den Abschluss. - Ursprünglich ein Teil des Introitus der Ostermesse, wurde der Ostertropus noch im 10. Jahrhundert in das Offizium der österlichen Matutin übernommen. In diesem Rahmen entstand als Vorstufe des eigentlichen Osterspiels die lateinische Osterfeier, bei der der Text des Tropus zur Grundlage einer dramatischen Gestaltung gemacht wurde. Die ältesten Fassungen der v. a. seit dem 11. Jahrhundert zahlreich dokumentierten Osterfeier hielten sich an den Rahmen des Tropus, doch kam es bald zu Erweiterungen des Textes, deren wichtigste die Aufnahme der Ostersequenz »Victimae paschali laudes« (um 1040) des Wipo von Burgund darstellt. Noch im 12. Jahrhundert wurde die Osterfeier um den Wettlauf der Apostel Johannes und Petrus zum Grab erweitert. Eine letzte Entwicklungsstufe war mit der Aufnahme der Szene »Christus als Gärtner und Maria Magdalena« erreicht, die mit der Erscheinung des auferstandenen Christus den liturgischen Rahmen bereits sprengte. Damit ist der Übergang von der kirchlichen Liturgie zum dramatischen Osterspiel markiert, in dem zahlreichen weitere Szenen, z. B. »Christi Höllenfahrt«, dargestellt werden.
Das lateinische Osterspiel zeichnet sich gegenüber der älteren Osterfeier einmal durch Szenen aus, die nicht unmittelbar liturgischer oder biblisch-kanonischer Tradition entstammen, wie die Salbenkrämerszene, zum anderen durch längere, metrisch-rhythmisch gegliederte Textabschnitte. Zu den ältesten vollständig erhaltenen lateinischen Osterspielen (13. Jahrhundert) gehören die von Origny-Sainte-Benoîte, Klosterneuburg und Ripoll. - Deutsche Osterspiele, neben ihnen auch zweisprachige lateinisch-deutsche Osterspiele, sind seit dem 13. Jahrhundert zahlreich überliefert. Sie stammen aus den verschiedensten deutschen Sprachlandschaften und repräsentieren eine Vielzahl von Spieltypen. Bereits das älteste deutsche Osterspiel, das Osterspiel von Muri, nimmt deutlich eine Sonderstellung ein; es zeigt den Einfluss höfisch-ritterlicher Dichtung. Das lateinisch-deutsche »Osterspiel von Trier« (14./15. Jahrhundert) und das »Osterspiel von Regensburg« (16. Jahrhundert) beschränken sich auf die Szenen der Osterfeier. Im »Osterspiel von Innsbruck« (Mitte 14. Jahrhundert) nimmt Derb-Komisches, Groteskes und Obszönes einen breiten Raum ein. Als einziges deutsches Osterspiel überliefert das nur fragmentarisch erhaltene »Osterspiel von Breslau« (Ende 14. Jahrhundert) Melodien. Dem »Redentiner Osterspiel« (1464 zuerst aufgeführt) fehlt die Visitatio-Szene, dafür ist die Höllenfahrtszene besonders breit gestaltet. - Im 16. Jahrhundert brach die Tradition der Osterspiele ab. Versuche einer Wiederbelebung im 20. Jahrhundert waren mit Ausnahme von C. Orffs »Comoedia de resurrectione Christi« (1956) erfolglos.
R. Steinbach: Die dt. Oster- u. Passionsspiele des MA. Versuch einer Darst. u. Wesensbestimmung nebst einer Bibliogr. zum dt. geistl. Spiel des MA. (1970).
* * *
Os|ter|spiel, das (Literaturw.): mittelalterliches geistliches Drama, das das dem Osterfest zugrunde liegende biblische Geschehen, bes. die Auferstehung Christi, zum Inhalt hat.
Universal-Lexikon. 2012.