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Sankt Gallen
Sankt Gạl|len:
Schweizer Kanton u. Stadt.

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Sankt Gạllen,
 
amtlich St. Gạllen, französisch Saint-Gall [sɛ̃'gal], italienisch San Gạllo,  
 1) Hauptstadt des Kantons Sankt Gallen, Schweiz, 670 m über dem Meeresspiegel, im Alpenvorland südlich des Bodensees, 69 700 Einwohner; katholischer Bischofssitz; Universität für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften, Fachhochschulen, Eidgenössische Materialprüfungs- und Versuchsanstalt, Kunst-, Natur-, Textil-, historisches Museum u. a. Museen, Theater, botanischer Garten; Textil-, Metallwaren- und Nahrungsmittelindustrie, Stickereien; Handels- und Verkehrszentrum mit der alljährlichen Schweizer Messe für Land- und Milchwirtschaft (Olma). - Im Mittelpunkt der Innenstadt liegt die ehemalige Benediktinerabtei (UNESCO-Weltkulturerbe), gegründet von dem alemannischen Mönch Otmar (* um 689, ✝ 759, seit 719 Abt der Mönchsgemeinschaft am Grab des heiligen Gallus, die sich 747 der Benediktinerregel verpflichtete), im 9.-11. Jahrhundert eine der bedeutendsten Pflegestätten deutscher Kunst (Buchmalerei) und Geisteskultur (Notker III., Ekkehart IV., Tutilo). Die karolingische Anlage wurde zum Teil (830-837 unter Abt Gozbert) nach dem erhaltenen Klosterplan (um 820 auf der Reichenau gezeichnet, heute in der Stiftsbibliothek) erbaut. Die heutige barocke ehemalige Stiftskirche (1755 ff.) und die barocken Klostergebäude schufen P. Thumb, J. M. Beer u. a.; die lang gestreckte Kirche mit Doppelturmfassade im Osten und Mittelrotunde ist prachtvoll ausgestattet (J. C. Wenzinger, J. A. Feuchtmayer, J. G. Dirr u. a.); bedeutende Stiftsbibliothek (1758-67), u. a. mit zweigeschossigem stuckiertem Rokokosaal mit Deckengemälden (1762/63). Die spätgotische Kirche Sankt Laurenzen (1413 begonnen) wurde 1851-54 neugotisch umgebaut. Um Sankt Mangen (im Kern frühromanisch, um 1100; Turm von 1505) und in der südlichen Altstadt spätgotische Häuser. Charakteristisch für die Altstadt sind zahlreiche zwei- oder mehrgeschossige hölzerne Erker (17. und 18. Jahrhundert). Herausragend unter den modernen Bauten ist die Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (1959-63 von W. M. Förderer), zu deren Ausstattung zahlreiche zeitgenössische Künstler beigetragen haben (H. Arp, G. Braque, A. Calder, Alberto Giacometti, J. Miró, A. Tàpies). - Um 954 wurde die beim Kloster entstandene Siedlung samt der Klosteranlage mit Wall und Graben umgeben. Erste urkundliche Erwähnung fand die das städtische Wirtschaftsleben bis ins 18. Jahrhundert prägende Leinweberei 1162 (Haupterwerbsquelle blieb die Textilindustrie bis ins 19. Jahrhundert; um 1900 wurde die Stickerei wichtig). 1454 verbündete sich die Stadt mit der Eidgenossenschaft, 1457 löste sie sich aus der Herrschaft des Klosters. 1524 wurde die Reformation eingeführt; 1847 wurde Sankt Gallen Bischofssitz.
 
Literatur:
 
C. Moser-Nef: Die freie Reichsstadt u. Rep. S. G., 7 Bde. (Zürich 1931-55);
 G. Thürer: Sankt Galler Gesch., 2 Bde. (St. Gallen 1-21972-73);
 B. Anderes: Der Stiftsbezirk S. G. (St. Gallen 1987);
 E. Ehrenzeller: Gesch. der Stadt S. G. (ebd. 1988);
 J. Duft: Die Abtei S. G., 2 Bde. (1990-91);
 
Die Kultur der Abtei S. G., hg. v. W. Vogler (Zürich 1990).
 
 2) Kanton der Schweiz im Nordosten des Landes, 2 026 km2, (1999) 447 600 Einwohner (überwiegend deutschsprachig; 60 % der Bevölkerung sind katholisch, 33 % evangelisch), Hauptstadt ist Sankt Gallen; Sankt Gallen gliedert sich in 14 Bezirken und erstreckt sich vom östlichen Südufer des Bodensees über die Molassehügel des Fürstenlandes und das Toggenburg bis an den östlichen Zürichsee (westlichster Ort: Rapperswil) im Südwesten, an den Walensee im zentralen Süden und bis in die Sardonagruppe der Glarner Alpen (Taminatal nordwestlich von Chur) im Südosten (Sankt Galler Oberland). Ostgrenze ist der Rhein (Alpenrhein, im äußersten Nordosten der Alte Rhein), der hier die schweizerische Grenze zu Liechtenstein und Österreich (Vorarlberg) bildet. Im Nordosten (nördlich des Alpstein bis fast an den Alten Rhein reichend; die Grenze läuft über Säntis und Hohen Kasten) liegen als Enklave die Kantone Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden.
 
Recht:
 
Nach der Verfassung vom 16. 11. 1890 (mit späteren Änderungen) übt der auf vier Jahre gewählte Große Rat (180 Mitglieder) die Gesetzgebung aus, wobei seine Erlasse unter dem Vorbehalt des fakultativen Referendums stehen (4 000 Stimmbürger können innerhalb von 30 Tagen die Volksabstimmung über den entsprechenden Erlass verlangen); ebenso können 4 000 Stimmbürger eine Gesetzes- und 8 000 Stimmbürger eine Verfassungs-Initiative einreichen. Stimm- und wahlberechtigt ist jeder Bürger, der das 18. Lebensjahr vollendet hat (Frauenstimmrecht seit 1972); bis zum 60. Lebensjahr besteht Stimmpflicht und Amtszwang. Exekutive ist der von der Bevölkerung gewählte Regierungsrat (7 Mitglieder). Oberste Gerichte: Kantonsgericht (Zivil-), Kassationsgericht (Strafsachen), Verwaltungsgericht.
 
Wappen:
 
Es wurde 1803 festgelegt und zeigt auf einem grün (Farbe der Freiheit) gehaltenen Grund ein Rutenbündel (Zeichen der republikanischen Souveränität und Eintracht) mit acht Stäben für die acht Distrikte.
 
Bevölkerung:
 
Vorschuleinrichtungen, sechsjährige Primarschule, danach Übertritt in die dreijährige Real- oder Sekundarschule (beide mit freiwilligem 10. Schuljahr) oder Gymnasium (klassische Typen A und B). Der Eintritt in das Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium (C), das Wirtschaftsgymnasium (E) und die Handelsmittelschule erfolgt im Anschluss an das 8. Schuljahr. Weitere Bildungseinrichtungen sind Diplommittelschule, Seminare, kaufmännische, gewerblich-industrielle und landwirtschaftliche Berufs- und Berufsmittelschulen, höhere technische Lehranstalten und Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule, Schulen für soziale Berufe; Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften mit Institut für Wirtschaftspädagogik (Ausbildung von Handelsschullehrern), Pädagogische Hochschule.
 
Wirtschaft:
 
Von den (1995) rd. 215 000 Erwerbstätigen sind 40 % im industriellen Sektor, 55 % im Dienstleistungssektor und 5 % in Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Mit einem Volkseinkommen je Einwohner von (1995) 40 709 sfr liegt Sankt Gallen an 13. Stelle unter den 26 Kantonen (Schweiz: 45 276 sfr). In der Landwirtschaft dominiert die Viehhaltung, v. a. die Milchwirtschaft, während sich Ackerbau auf die Täler des Alpenrheins und der Seez sowie am Linthkanal beschränkt. Neben Gemüse werden Mais und Tabak angebaut sowie Weinbau (160 ha Rebland, v. a. an den Hängen des Rheintals und im Oberland) betrieben. In höheren Gebirgslagen herrscht Feldfutterbau vor, im Bodenseegebiet Obstbau. Der Wasserreichtum förderte die relativ frühe Industrialisierung. Der Kanton ist ein Zentrum der schweizerischen Textilindustrie, die sich aus der im Mittelalter betriebenen Leinweberei entwickelt hat; bekannt sind v. a. die »St.-Galler Spitzen« sowie Stickarbeiten. Die wichtigsten Industriezweige sind Metallindustrie, Maschinen- und Apparatebau, ferner das Baugewerbe sowie chemische, pharmazeutische und Kunststoffindustrie. Im Dienstleistungssektor dominieren Handel und Gastgewerbe. Verkehrsmäßig ist der Kanton durch ein dichtes Netz von Straßen und Bahnen, darunter acht Privatbahnen, erschlossen.
 
Geschichte:
 
Die Äbte des Klosters Sankt Gallen waren seit 1206 Reichsfürsten und herrschten über die Stadt Sankt Gallen, das »Fürstenland«, bis Anfang des 15. Jahrhunderts über Appenzell und seit 1468 über das Toggenburg. Seit 1451 war das Stift zugewandter Ort der schweizerischen Eidgenossenschaft. Durch die Einführung der Reformation unter J. Vadianus (1524) drohte dem Stift die Auflösung, doch wurde nach 1531 die geistliche Oberhoheit - bei freier Religionsausübung im Toggenburg - wiederhergestellt. Die Stiftsherrschaft endete 1798 mit dem Einmarsch der Franzosen. Die Gebietsteile wurden mit einigen anderen 1803 zum Kanton Sankt Gallen zusammengefasst. An die Stelle der repräsentativen Verfassung von 1803 und 1814 trat 1831 eine demokratische (Vetorecht des Volkes). Im Sonderbundskrieg kämpfte Sankt Gallen 1847 aufseiten der Liberalen. 1861 wurden die Schulen der kirchlichen Aufsicht entzogen, 1890 in einer revidierten Verfassung die Volksrechte stark erweitert (u. a. Volkswahl, seit 1911 Verhältniswahl, Volksinitiative).
 
 3) Bezirk im Kanton Sankt Gallen, 71 km2, 85 100 Einwohner, Hauptstadt ist Sankt Gallen, bildet im Wesentlichen mit dem Bezirk Gossau und Teilen des Bezirks Rorschach die Wirtschaftsregion Sankt Gallen.
 
 4) exemtes schweizerisches katholisches Bistum, 1823 für den Kanton Sankt Gallen aus den Gebieten des fürstäbtlichen Offizialats Sankt Gallen sowie Teilen der Bistümer Chur und Konstanz als Doppelbistum Chur-Sankt Gallen errichtet; nach 1847 wurden die beiden seit 1836 rechtlich selbstständigen Bistümer getrennt. Bischof ist seit 1995 Ivo Fürer (* 1930). katholische Kirche (Übersicht)
 

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Sankt Gạl|len: Kanton u. Stadt in der Schweiz.

Universal-Lexikon. 2012.