Anjou
[ã'ʒu], ehemalige Grafschaft in Westfrankreich, mit der alten Hauptstadt Angers, umfasst das heutige Département Maine-et-Loire sowie Teile der Départemente Mayenne, Sarthe und Indre-et-Loire. Leicht hügelige Landschaft mit Taleinschnitten von Loire und Maine, deren Hänge für den Weinbau genutzt werden, außerdem Gemüse- und Obstbau sowie Viehzucht. Textilindustrie.
Die Grafschaft war 852-866 und seit 887 in der Hand der Robertiner, der späteren Kapetinger. Die seit 898 als Vizegrafen für Anjou nachweisbaren Fulkonen (mit den Leitnamen Fulco/Fulko und Gauzfred/Gottfried, französisch Geoffroy) wurden Mitte des 10. Jahrhunderts selbstständige Grafen. Sie machten als fähige Administratoren, Festungsbauer und Feldherrn Anjou zu einem der bedeutendsten Feudalstaaten des Mittelalters, eroberten 1044 Touraine, erwarben durch Heirat Maine (1109) und hatten außerdem Lehen in Aquitanien. Gottfried V. (1128-51) aus der jüngeren Linie der Grafen von Anjou führte zuerst den Beinamen Plantagenet, heiratete 1127 Mathilde, die Witwe Kaiser Heinrichs V. und Tochter Heinrichs I. von England, und eroberte seinem Sohn aus dieser Ehe, Heinrich, 1141-44 die Normandie. Heinrich, der 1154 englischer König wurde (Heinrich II.), gewann durch seine Ehe mit Eleonore von Aquitanien 1152 auch dieses Herzogtum. Mit der Zerstörung des englisch-französischen Angevinischen Reiches durch Philipp II. August von Frankreich (1204) kam Anjou an die französische Krone, die es als Apanage jüngerer Prinzen ausgab. Karl von Anjou, der Bruder Ludwigs des Heiligen, gewann 1245 durch Heirat die Provence, 1266 das bis dahin staufische Königreich Sizilien, dessen Hauptstadt er nach Neapel verlegte. Sizilien selbst ging 1282 verloren, den Grafen von Anjou verblieb das Königreich Neapel (bis 1435).
Die von Karl von Anjou ausgehende ältere Linie Anjou-Neapel erlangte zeitweise auch die Kronen Ungarns (1308-86) und Polens (1370-86) sowie den Titel eines Königs von Jerusalem (1277-1435). Mit Ludwig I. von Anjou, der 1351 von seinem Vater, König Johann II. von Frankreich, die Grafschaft erhielt, die 1360 Herzogtum wurde, und der 1380 von Johanna I. von Neapel adoptiert wurde, beginnt die jüngere Linie Anjou-Neapel, die vergeblich um den dauernden Erwerb Neapels kämpfte (Neapel, Königreich). Sie starb mit René I. (✝ 1480), einem der großen Mäzene der Vorrenaissance, und seinem Neffen Karl von Maine (✝ 1481) aus; Anjou (mit Maine und der Provence) wurde endgültig Kronland, »Duc d'Anjou« Titel für königliche Prinzen.
J. Boussard: Le comté d'A.. .. (Paris 1938);
B. Hóman: Gli Angioini di Napoli in Ungheria, 1290-1403 (Rom 1938);
J. Levron: La vie et les mœurs du bon roi René (Paris 1953);
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Universal-Lexikon. 2012.