Bioinformatik,
interdisziplinärer Zweig der Biowissenschaften, der sich durch den Einsatz der Computertechnologie der Erstellung von Algorithmen und Systemen widmet, die die enorme Fülle biologischer Daten (dabei insbesondere genetische Daten) verwalten und aus diesen anwendbare Informationen ableiten können. Die Bioinformatik erhält Impulse zum einen aus der Informatik und Mathematik, zum anderen aus den Biowissenschaften und der Medizin. Der Begriff Bioinformatik wurde 1990 in den USA geprägt (Bioinformatics) und war anfangs beschränkt auf die Verwaltung der im Human-Genom-Projekt und anderer Genomprojekte anfallenden Sequenzdaten. In diesem Zusammenhang wurden zunächst zentrale Datenbanken aufgebaut, die die anfallenden Nukleotid- und Proteinsequenzen sammeln. Für das sinnvolle Verwerten derartiger Datenbanken wurden Computerprogramme erforderlich, die die Auswertung von Nukleotid- und Peptidsequenzen möglich machen. Die Entwicklung entsprechender Software, z. B. für das Durchsuchen der umfangreichen Datenbanken (Data-Mining), ist ein wesentlicher Zweig der Bioinformatik. Da die Gewinnung der experimentellen Daten und deren Auswertung in internationaler Kooperation erfolgt, ist die Bioinformatik eng an die Fortschritte der Computertechnik und des Internets gebunden.
Allein das menschliche Genom enthält etwa aus circa 3 Mrd. Basen bestehende 30 000 bis 40 000 Gene, die in komplexen Wechselwirkungen miteinander das Funktionieren von 50 Billionen Zellen im menschlichen Organismus gewährleisten. Mehrere Mio. Organismen stehen als einzelne, bereits derartig komplexe biologische Systeme darüberhinaus in vielfältigen Wechselwirkungen miteinander, die durch die biowissenschaftlichen Disziplinen von der Molekular- bis zur Populationsbiologie und Ökologie bislang nur beschrieben werden können. Die Bioinformatik wird durch die Organisation, Analyse und Interpretation dieser komplexen biologischen Datenfülle zu einer fachübergreifenden Wissenschaft, die neben der Beschreibung biologischer Prinzipien und Methoden zu deren Übertragung auf technische Systeme durch die Ingenieurwissenschaften beiträgt.
Aus vorhandenen biologischen Daten können durch Bioinformatik Vorhersagen erstellt werden, die in Medizin und biotechnologischer Industrie in der Zukunft große Bedeutung erlangen könnten. Solche Vorhersagen sind allerdings gegenwärtig nur mit großer Unsicherheit möglich. So ist die Annotierung einer Nukleotidsequenz der Versuch, einer unbekannten DNA-Sequenz Funktionen zuzuordnen. Charakteristische Merkmale wie offene Leserahmen, Promotorstrukturen, Ribosomenbindungsstelle, Startcodon, codierende Sequenz, Stoppcodon und Strukturmotive sowie der Vergleich mit Sequenzen anderer Spezies werden herangezogen, um z. B. ein Gen zu identifizieren. Bislang mussten solche Strukturuntersuchungen experimentell erfolgen, was mit hohen Kosten verbunden und mitunter nur in Tierversuchen möglich ist. In Kenntnis der Vorhersagen durch die Methodologie der Bioinformatik lassen sich Experimente einschränken oder werden gänzlich überflüssig. Große Bedeutung hat die Bioinformatik daher bereits in der Pharmaindustrie erlangt. Das rationale Wirkstoffdesign zur Entwicklung neuer Medikamente beginnt heute oft am Computer, indem computererstellte Strukturvorhersagen der chemischen Synthese vorhergehen. Die Bioinformatik hilft dabei nicht nur, Kosten zu senken, sondern auch gezielter zu optimalen Strukturen zu gelangen.
In den Anfängen befindet sich die Simulation ganzer Ökosysteme durch die Bioinformatik, die u. a. benutzt werden, um die Auswirkungen von veränderten Umweltbedingungen oder menschlichen Eingriffen, z. B. bauliche Massnahmen wie einen Straßenausbau, auf ein Ökosystem abzuschätzen. Für die Medizin haben v. a. die Bereitstellung spezieller Datenbanken ebenfalls schon heute eine große Bedeutung erlangt. Die Nutzung kann durch Ärzte und in einigen Fällen auch durch Patienten über das Internet erfolgen.
Universal-Lexikon. 2012.