Normen.
Bei der Bewertung von Einstellungen, kognitiven Kompetenzen oder Verhaltensweisen treten deshalb oft Schwierigkeiten auf, weil unterschiedliche Bewerter (Erzieher, Eltern, Lehrer, Ausbilder) voneinander abweichende Begriffe von »normal« bei ihren Urteilen zugrunde legen. Ein erstes Verständnis dessen, was normal bedeutet, wird durch den statistischen Normbegriff nahe gelegt. Bei diesem Normbegriff wird Normalität mit durchschnittlicher Häufigkeit gleichgesetzt: Normal ist, was häufig vorkommt, also im Durchschnitt zu erwarten ist. Im Sinne solcher statistischer Normen wäre z. B. auch Karies normal, wenn sie nur in der interessierenden Bevölkerungsgruppe häufig genug vorkommt.
Der Idealnorm liegt dagegen ein anderes Verständnis von Normalität zugrunde. Sie legt einen idealen Zustand fest, dessen Erreichung in manchen Fällen als möglich, stets aber als wünschenswert gilt. In vielen sozialen Systemen dienen Idealnormen der Steuerung des Verhaltens der diesen Systemen angehörigen Individuen. Typische Beispiele für Idealnormen sind Schönheitsideale.
Nach dem Kriterium einer funktionalen Norm gelten demgegenüber alle Bedürfnisse und Zielsetzungen eines Individuums als angemessen, wenn sie dessen Bedürfnissen und Zielsetzungen entsprechen. So mögen z. B. nach den Kriterien der statistischen Norm oder der Idealnorm einer konservativen Sexualethik homosexuelle Beziehungen zwischen zwei Menschen als »anormal« gelten; aus der Perspektive der Beteiligten können sie aber durchaus befriedigend und damit funktional sein.
Den sehr allgemeinen Vorstellungen einer statistischen Norm, einer Idealnorm und einer funktionalen Norm entsprechen in gewisser Weise spezielle Normvorstellungen hinsichtlich der Beurteilung von Kindern und Jugendlichen, besonders aber ihrer Leistungen im vorschulischen, außerschulischen und schulischen Bereich. In diesem Zusammenhang wird von sozialen Bezugsnormen gesprochen, wenn die entsprechenden Erwartungswerte in Bezug auf den Durchschnitt der Leistungsverteilung einer Bezugsgruppe definiert werden. In der Regel handelt es sich dabei um die Durchschnittsleistung einer konkreten Schulklasse oder Lerngruppe, der ein Schüler angehört.
Demgegenüber stellen sachliche Bezugsnormen in der Sache liegende Kriterien dar und lassen eine Beurteilung weitgehend unabhängig von der Zugehörigkeit eines Kindes oder Jugendlichen zu einer bestimmten Vergleichsgruppe zu. So kann die Frage, ob ein Schüler ein konkretes Lehrziel erreicht hat, ohne Bezugnahme auf die Leistungen seiner Klassenkameraden allein durch die Orientierung an entsprechenden sachlichen Kriterien beantwortet werden.
Testverfahren, die anhand sozialer Bezugsnormen über die relative Position eines Probanden innerhalb einer Bezugsgruppe informieren, heißen normorientiert. Demgegenüber werden an einer sachlichen Bezugsnorm - einem Kriterium - orientierte Tests als kriteriumsorientiert bezeichnet. Neben sozialen und sachlichen Bezugsnormen spielen in der Pädagogik noch individuelle Bezugsnormen eine wichtige Rolle. In ihrem Falle werden die Leistungen eines Schülers im Längsschnitt betrachtet und mit seinen früheren Leistungen verglichen.
Universal-Lexikon. 2012.