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Sainte-Beuve
Sainte-Beuve
 
[sɛ̃t'bœːv], Charles-Augustin, französischer Literaturkritiker und Schriftsteller, * Boulogne-sur-Mer 23. 12. 1804, ✝ Paris 13. 10. 1869; war mit V. Hugo befreundet und Mitglied des romantischen Cénacle. Nach dem geringen Erfolg seiner beiden im Stil romantischer Bekenntnisdichtung gehaltenen Werke »Vie, poésies et pensées de Joseph Delorme« (1829, Lyrik) und »Volupté« (1834, Roman) wandte er sich endgültig der literarischen Kritik zu. Schon mit seinem »Tableau historique et critique de la poésie française et du théâtre français au XVIe siècle« (2 Bände, 1828, erweitert 1843) hatte er sich im Sinne einer Ablehnung des seit N. Boileau-Despréaux' »Art poétique« verbindlichen klassizistischen Dichtungsideals für eine Rehabilitation der Werke P. de Ronsards und der Pléiade eingesetzt und die Verbindungslinie zwischen diesen Autoren und französischen Romantikern betont. Aus den 1837-38 in Lausanne gehaltenen Vorlesungen ging seine »Histoire de Port-Royal« (5 Bände, 1840-59) hervor. 1840-48 wirkte er als Bibliothekar an der Bibliothèque Mazarine in Paris, 1848-49 als Professor in Lüttich (aus den dort gehaltenen Vorlesungen über die französische Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts entstand »Chateaubriand et son groupe littéraire sous l'Empire«, 1861); 1857-61 hatte er eine Professur für französische Literatur an der École normale supérieure inne.
 
Als Literaturkritiker entwickelte er eine die eigentliche Literaturwissenschaft vorbereitende Form der Kritik, v. a. in seinen »Portraits littéraires« (2 Bände, 1844; deutschsprachige Auswahl unter dem Titel »Literarische Portraits aus dem Frankreich des 17.-19. Jahrhunderts«, auch unter dem Titel »Literarische Porträts«) und mit seinen meist für Zeitschriften und Zeitungen verfassten »Causeries du lundi« (15 Bände, 1851-62; deutsche Auswahl unter dem Titel »Menschen des XVIII. Jahrhunderts«), die in der Art porträthafter Schilderung sensible und differenzierte Analysen von Werken zeitgenössischer Autoren, aber auch der antiken und mittelalterlichen Literatur präsentieren. Bei konsequenter Anwendung der biographischen Methode auf die Literaturkritik steht dabei die Individualität des Autors im Mittelpunkt. Die bis dahin dominierende Bewertung eines literarischen Werkes nach Form- und Gattungskriterien tritt demgegenüber zurück. Die von Sainte-Beuve initiierte Methode der Literaturkritik hat die Literaturwissenschaft lange Zeit geprägt; seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde die biographische Orientierung jedoch auch kritisch kommentiert. So wandte sich etwa M. Proust in seiner Studie »Contre Sainte-Beuve« (entstanden 1905-09, herausgegeben 1954; deutsch »Gegen Sainte-Beuve«) gegen eine Identifikation von biographischem und literarischem »Ich« des Schriftstellers.
 
Weitere Werke: Essays: Portraits de femmes (1844; deutsch Frauenbildnisse aus 4 Jahrhunderten, 2 Bände); Portraits contemporains, 2 Bände (1846).
 
Aufsätze: Nouveaux lundis, 13 Bände (1863-70).
 
Ausgaben: Correspondance générale, herausgegeben von J. Bonnerot, 19 Bände (1935-83); Œuvres, herausgegeben von M. Leroy, 2 Bände (1951-56).
 
Literatur:
 
A. Billy: S.-B., sa vie et son temps, 2 Bde. (Paris 1952);
 P. Moreau: La critique selon S.-B. (ebd. 1964);
 R. Fayolle: S.-B. et le XVIIIe siècle, ou comment les révolutions arrivent (ebd. 1972);
 J. Cabanis: Pour S.-B. (ebd. 1987);
 W. Lepenies: S.-B. Auf der Schwelle zur Moderne (1997).
 

Universal-Lexikon. 2012.