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Religionssoziologie
Re|li|gi|ons|so|zio|lo|gie 〈f. 19; unz.〉 Teil der Soziologie, der sich mit den gesellschaftl. Voraussetzungen u. Auswirkungen der Religion u. ihren Organisationen (Kirche, Sekten usw.) befasst

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Religions|soziologie,
 
eine Teildisziplin der Soziologie mit Berührungspunkten zur Religionswissenschaft. Gegenstände der religionssoziologischen Forschung sind v. a. die sozialen Bedingungen für Entstehung und Entwicklung von Religionen, die soziale Gestaltung von Religionen (Kirchen, religiöse Sondergemeinschaften, Kulte usw.), die sozialen Funktionen von Religionen für Gruppen und Gesellschaften. Die Grenzen zwischen Religionswissenschaft und Religionssoziologie sind mit der Zeit fließend geworden.
 
Vorläufer der religionssoziologischen Forschung sind spätestens mit der französischen (Montesquieu, J.-J. Rousseau, P. H. T. d'Holbach) und angelsächsischen (D. Hume) Aufklärung gegeben, die in überwiegend religionskritischer Absicht nach den nichtreligiösen Ursachen für die unterschiedlichen Ausprägungen von Religion fragten. In der Tradition dieses Ansatzes geht die sich auf K. Marx berufende Richtung der Religionssoziologie den sozialen Wurzeln der Religion nach (Dimitrij Modestowitsch Ugrinowitsch, * 1923; J. N. Jablokow). - In einem gewissen Gegensatz zu dieser materialistisch orientierten Religionssoziologie steht die bis heute einflussreiche, auf M. Weber zurückgehende Religionssoziologie, die den Einfluss von religiösen Ideen auf soziale Entwicklungen herauszuarbeiten versucht. Obwohl im Zusammenhang dieser Forschungsrichtung meist von Wechselbeziehungen zwischen Religion und Gesellschaft gesprochen wird, stehen doch überwiegend die Wirkungen von Religion auf gesellschaftliche Teilbereiche, wie Wirtschaft und Politik, im Vordergrund des Interesses. Besonders in der amerikanischen Religionssoziologie (T. Parsons, Robert Nelly Bellah, * 1927; Gerard Emmanuel Lenski; * 1924) wurden im Rahmen der strukturfunktionalistischen Theorie die Arbeiten Webers (besonders zum frühneuzeitlichen Protestantismus) rezipiert und weitergeführt. - Die französische Religionssoziologie wurde v. a. von É. Durkheim geprägt. Er ging von der Beobachtung aus, dass in allen Gesellschaften zwischen einem Bereich des Heiligen (Sakralen) und einem Bereich des Profanen unterschieden wird. In den heiligen Dingen und in den auf sie bezogenen Handlungen (Riten) präsentiert sich die Gesellschaft selbst, sodass letztlich Religion und Gesellschaft zusammenfallen. Religionslose Gesellschaften kann es demnach nicht geben, wobei Durkheim zufolge in den modernen Gesellschaften die traditionellen Religionen weitgehend durch säkulare Ideologien (z. B. den Kult der Nation) abgelöst würden. Diese Forschungstradition wurde in Deutschland u. a. von Thomas Luckmann (* 1927) weitergeführt. Die gegenwärtige Religionssoziologie ist nicht durch die Vorherrschaft einer oder mehrerer umfassender Theorien gekennzeichnet, sondern durch eine Fülle von empirischen Arbeiten, die in einer oft schwer zu erkennenden Nähe zu den genannten Forschungstraditionen stehen.
 
Literatur:
 
M. Weber: Ges. Aufsätze zur R., 3 Bde. (1920-21, Nachdr. 1978-83);
 T. Luckmann: Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft (1963);
 G. Lenski: Religion u. Realität (a. d. Amerikan., 1967);
 T. Parsons: Beitrr. zur soziolog. Theorie (a. d. Engl., 31973);
 R. N. Bellah: Beyond belief. Essays on religion in a post-traditional world (Neuausg. London 1976);
 É. Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens (a. d. Frz., 31984);
 G. Kehrer: Einf. in die R. (1988);
 F.-X. Kaufmann: Religion u. Modernität. Sozialwiss. Perspektiven (1989);
 W. J. Grabner: Religiosität in einer säkularisierten Gesellschaft. Eine Kirchenmitgliedschaftsunters. in Leipzig 1989 (1994);
 
Wb. der R., hg. v. S. R. Dunde (1994);
 K.-F. Daiber: Religion unter den Bedingungen der Moderne. Die Situation in der Bundesrepublik Dtl. (1995).

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Re|li|gi|ons|so|zi|o|lo|gie, die: Teilgebiet der Religionswissenschaft, in dem die sozialen Aspekte der Religionen erforscht werden.

Universal-Lexikon. 2012.