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Gewissen
Ge|wis|sen [gə'vɪsn̩], das; -s, -:
ethisch begründetes Bewusstsein von Gut und Böse:
er hat ein sehr kritisches, kein Gewissen; mein Gewissen ist rein (ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen); ein gutes, schlechtes Gewissen haben (sich keiner Schuld, einer Schuld bewusst sein); etwas mit gutem Gewissen, guten Gewissens tun (etwas tun, ohne sich schuldig fühlen zu müssen).

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Ge|wịs|sen 〈n. 14; unz.〉 das Bewusstsein des Menschen von Gut u. Böse im eigenen Verhalten, das Vermögen, sich moralisch selbst zu beurteilen ● auf die Stimme des \Gewissens hören ● jmds. \Gewissen beruhigen, einschläfern, zum Schweigen bringen; um mein Gewissen zu entlasten, bekenne ich, dass ...; sein \Gewissen erleichtern ein Unrecht bekennen; sein \Gewissen lässt ihm keine Ruhe; sein \Gewissen plagt, quält ihn, regt sich; du musst dein \Gewissen prüfen; ihm schlägt das \Gewissen er hat Gewissensbisse; jmds. \Gewissen wachrütteln ● sein ärztliches \Gewissen lässt das nicht zu; ein böses, gutes, reines, ruhiges, schlechtes \Gewissen haben; ein enges \Gewissen haben sittlich sehr streng denken; ein gutes \Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen 〈Sprichw.〉 wer nichts Unrechtes tut, den lässt sein Gewissen auch ruhig schlafen; hast du denn gar kein \Gewissen?; er hat ein weites \Gewissen er nimmt es in moral. od. rechtl. Dingen nicht sehr genau ● etwas auf dem \Gewissen haben schuld an etwas sein; jmdn. auf dem \Gewissen haben an seinem Unglück od. Tod schuld sein; er hat einen Mord auf dem \Gewissen ihn begangen; damit hat er viel Schuld auf sein \Gewissen geladen; ich nehme es auf mein \Gewissen ich übernehme die Verantwortung; sagen Sie es mir auf Ihr \Gewissen wahrheitsgemäß; er macht sich kein \Gewissen daraus er hat keine Gewissensbisse (obwohl er Grund dazu hätte); jmdm. ins \Gewissen reden ihm ernst u. eindringlich etwas vorhalten; mit gutem \Gewissen antworten; auf Ehre und \Gewissen! wirklich u. wahrhaftig; gegen Recht und \Gewissen handeln; nach bestem Wissen und \Gewissen antworten wahrheitsgemäß, ohne etwas zu verschweigen; das hat er wider besseres Wissen und \Gewissen ausgesagt wissentl. falsch ausgesagt; das musst du vor deinem \Gewissen verantworten; er sieht aus wie das böse \Gewissen 〈umg.〉 schuldbewusst [<ahd. giwizzeni „(inneres) Bewusstsein, (religiös-moralische) Bewusstheit“, Lehnübersetzung von lat. conscientia „Mitwissen, Bewusstsein, Gewissen“; zu ahd. Part. Perf. gewizzan „bewusst“; → wissen]

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Ge|wịs|sen , das; -s, - [mhd. gewiʒʒen(e), ahd. gewiʒʒenī = (inneres) Bewusstsein, von lat. conscientia, eigtl. = Mitwissen, von griech. synei̓dēsis]:
Bewusstsein von Gut u. Böse des eigenen Tuns; Bewusstsein der Verpflichtung einer bestimmten Instanz gegenüber:
das menschliche G.;
sein ärztliches, künstlerisches G. lässt das nicht zu;
dabei regte sich ihr G. (kamen ihr Bedenken hinsichtlich der moralischen Vertretbarkeit);
ihn plagt sein G.;
sein G. erleichtern, erforschen, zum Schweigen bringen;
kein G. haben (skrupellos sein);
ein reines G. haben (sich nicht schuldig fühlen);
sie hatte wegen des Ladendiebstahls ein schlechtes G. (war wegen dieses schuldhaften Verhaltens bedrückt);
ich hatte schon ein schlechtes G., dir nicht geschrieben zu haben (machte mir schon Vorwürfe wegen dieser Nachlässigkeit);
seinem G. folgen;
ruhigen -s etw. tun;
an jmds. G. appellieren;
gegen sein G. handeln;
etw. mit gutem G. tun;
seine Angaben nach bestem Wissen und G. (ohne etw. dabei zu verschweigen) machen;
etw. vor seinem G. nicht verantworten können;
Spr ein gutes G. ist ein sanftes Ruhekissen;
sich <Dativ> kein G. aus etw. machen (etw. Übles tun, ohne sich durch sein Gewissen davon zurückhalten zu lassen; nach Römer 14, 22);
jmdn. auf dem G. haben (durch sein Verhalten an jmds. Tod od. Untergang schuld sein);
etw. auf dem G. haben (etw. durch sein Verhalten verschuldet haben);
jmdm. ins G. reden (ernst u. eindringlich mit jmdm. reden, um ihn zu einer Änderung seines missbilligten Verhaltens zu bewegen).

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Gewissen
 
[Lehnübersetzung von lateinisch conscientia (nach griechisch syneídesis), eigentlich »Mitwissen«],
 
 1) allgemein: Urteilsbasis zur (zweifelsfreien) Begründung der allgemeinen persönlichen moralischen Überzeugungen und Normen, insbesondere für die eigenen Handlungen und Zwecke wie der einzelnen Urteile aufgrund dieser Überzeugungen. Ihren Ursprung haben die Inhalte des Gewissens im Normenkanon der jeweiligen Kultur und Gesellschaft einerseits und im Bewusstsein des Individuums in Form der angenommenen moralischen Überzeugungen andererseits.
 
 2) Philosophie: In der Diskussion über die Verbindlichkeit der Gewissensüberzeugungen und -Urteile stellten sich drei Fragenkreise als zentral heraus: 1) Lassen sich moralische Urteile, die unter Berufung auf das Gewissen gefällt werden, immer rechtfertigen (Unfehlbarkeit des Gewissens)? 2) Muss man dem Gewissen immer folgen (Gewissenszwang)? 3) Darf man andere Individuen zu Handlungen gegen ihre Gewissensüberzeugung zwingen (Gewissensfreiheit)?
 
In gewisser Weise lässt sich schon die von Sokrates vernommene »innere Stimme«, das Daimonion, das vor schlechten Handlungen warne, als Gewissen deuten. Eine Theorie des Gewissens entwickelte die Scholastik, indem sie zwischen Gewissen als Anlage (Synderesis), dem Wissen von (unfehlbaren) sittlichen Grundsätzen und Gewissen als Funktion (Conscientia) der Anwendung dieser Prinzipien auf konkrete Einzelfälle unterschied. Nach der scholastischen Auffassung ist Gewissen sowohl Organ, das sittliche Normen vermittelt, die es nicht selbst schafft (normierte Norm, lateinisch norma normata), zugleich aber auch Motivation zur sittlich geschuldeten Handlung (normierende Norm, lateinisch norma normans). Trotz der Verpflichtung, das Gewissen an objektiven Normen (Heilige Schrift, kirchliche Lehre u. a.) zu bilden, bleibt doch in jeder sittlichen Entscheidung das subjektive Gewissen letzte Instanz, auch bei Gewissensentscheidungen gegen Papst und Kirche. Thomas von Aquino sah den Ursprung des Gewissens im Urteil der Vernunft, Bonaventura im Willen, die Mystiker hingegen im göttlich gedachten »Seelengrund«. Für I. Kant war das Gewissen Organ der »autonomen praktischen Vernunft«: Nicht die Beurteilung einer Handlung auf ihre moralische Berechtigung, wohl aber die Überprüfung dieser Urteilsbildung auf ihre Sorgfältigkeit hin obliegt dem Gewissen. Seit dem 19. Jahrhundert suchte man das Gewissen mehr psychologisch oder soziologisch zu verstehen (H. Spencer, P. Rée, F. Nietzsche, G. Simmel, L. Lévi-Bruhl), seit etwa 1900 auch durch phänomenologische Analyse (H. G. Stoker, H. Reiner), bei M. Heidegger durch eine fundamentalontologische Konstitution. - In der neuzeitlichen philosophischen Ethik spielt die Frage nach dem Gewissen nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wird die Frage nach den Begründungsprinzipien sittlicher Erkenntnis diskutiert. (Ethik)
 
 3) Psychologie: Psychologisch gesehen enthält das Gewissen einerseits eine kognitive Komponente, insofern sein Zuspruch an ein Normenwissen gebunden ist, andererseits eine emotionale Komponente im Sinne einer unbedingten Pflicht, dem Gewissen Folge zu leisten, sowie von Furcht, Scham, Reue oder Schuld als Erfahrungsweisen, die bei einem Handeln gegen das eigene Gewissen auftreten können. Das Gewissen entwickelt sich im Sozialisierungsprozess durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt und deren Normen und Verhaltensregeln. Bis etwa zum siebten oder achten Lebensjahr werden Vorschriften als durch eine Autorität verfügte Normen aufgefasst; Strafe wird als unvermeidliche Folge ihrer Verletzung angesehen (J. Piaget). Diese heteronome Moral wird von einer autonomen abgelöst durch die allmähliche Ausbildung einer eigenen Entscheidungsfähigkeit aufgrund selbstständiger Orientierung und erster Wertschemata. Erst in der Reifezeit vollzieht sich die eigentliche Distanzierung von bisher eingenommenen Verhaltensregulationen zugunsten eines personalen moralischen Wert- und Bezugssystems. In der neueren Forschung wird die Bedeutung persönlichkeitsbedingter Unterschiede für die Ausbildung eines moralischen Wertsystems hervorgehoben. Die Psychoanalyse bezeichnet das Über-Ich, das internalisierte soziale Normen und Wertvorstellungen einschließt, als Instanz des Gewissens. - Nach behavioristischer Auffassung beruhen moralische Verhaltensweisen auf einer Konditionierung der Angst vor Strafe.
 
 4) Recht: Staatsrechtlich herrscht in allen Staaten rechtsstaatliche Prägung Gewissensfreiheit (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit). Insbesondere sind die Abgeordneten in ihren Entscheidungen nur ihrem Gewissen unterworfen, so in Deutschland gemäß Art. 38 Absatz 1 Grundgesetz.
 
 5) Theologie und Religionswissenschaft: Das Gewissen bildet die Grundlage religiös-sittlicher Verantwortlichkeit und die innere Instanz des Menschen, an die Glaubens- und Bekenntnisentscheidungen sowie die Erfahrung von Schuld gebunden sind. - Im Alten Testament ist Gewissen (»Herz« oder »Nieren« genannt) immer auf Gott bezogen, es ist Hören seines Wortes und Bewusstsein der eigenen Verantwortung vor ihm und seinem Gericht. - Das Neue Testament entwickelt ebenfalls keine systematische Gewissenslehre. Gott spricht an, fordert und beurteilt den Menschen im Gewissen (griechisch syneidesis) und gibt ihm darin das Bewusstsein der Gebote und seiner Gnade. Gewissen ist Richtschnur des Wandels vor Gott, an menschliches Erkenntnis gebunden und Norm des Handelns. - Die katholische Gewissenslehre bewegt sich bis heute weitgehend in den von der Scholastik vorgezeichneten Bahnen (Gewissen, Philosophie). Ihr gegenüber ging die protestantische Gewissenstheologie im Gefolge Luthers neue Wege. Es ist reformatorische Grunderfahrung, dass der Mensch durch Anfechtungsmächte überfallen wird. Gesetz und Sünde, Tod und Satan konstituieren das »blöde, verzagte, erschrockene, furchtsame, schuldige« Gewissen. Das eingekreiste ist das geängstigte Gewissen unter dem Zorn Gottes. Das geborgene, gute Gewissen wiederum hängt ganz an der Beziehung zu Christus und zum Wort Gottes. Die Umklammerung wird durchbrochen, das Gewissen ist dann das »getröstete, friedsame, stille, mutige, sichere« Gewissen. Im Reflex auf eine derartige Totalisierung und Existenzialisierung der Gewissenserfahrung erwuchs die Formulierung, dass der Mensch theologisch gesehen nicht Gewissen hat, sondern ist (G. Ebeling). Im Brennpunkt des Gewissens steht die Ganzheit des Menschen auf dem Spiel, wird die Fraglichkeit der Identität virulent. Es ist ein Getroffen-, Gefordert- und Schuldig-gesprochen-Sein, und mit der eingeforderten Identität erhebt sich im Gewissen die Frage, ob man sich mit sich selbst und dann auch mit seinem Verhalten zu identifizieren vermag. Ähnlich andere theologische Positionen: Gewissen ist Indikator der Nichtidentität des Menschen (W. Pannenberg), ist die Frage nach der Einheit der Person (T. Rendtorff, * 1925), ist Wissen um den Menschen im Widerspruch (E. Brunner), ist Ruf zur Einheit der menschlichen Existenz mit sich selbst (D. Bonhoeffer), ist Hinweis auf die Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott (P. Althaus). Ein befreites Gewissen basiert auf der Annahme des unannehmbaren bösen Gewissens kraft der Gnade. Es besteht im Trotzdem, indem es gegen die Selbstbeurteilung des Menschen gerichtet ist. Vergebung schafft eine Wirklichkeit, in der der Zwiespalt zwischen essenziellem Sein und Existenz überwunden ist, Voraussetzung für ein gutes, ein transmoralisches Gewissen (P. Tillich).
 
Literatur:
 
Das G. in der Diskussion, hg. v. J. Blühdorn (1976);
 R. Bärenz: Das G. Sozialpsycholog. Aspekte zu einem moraltheolog. Problem (1978);
 
Das G., hg. v. J. Fuchs (1979);
 A. Laun: Das G. Oberste Norm sittl. Handelns (Innsbruck 1984);
 
Was ist das: G.?, Beitrr. v. G. Ebeling u. T. Koch (1984);
 W. Schillak: G. u. Identität. Versuch eines theologisch-psychoanalyt. Dialogs über Relationen u. Strukturen individueller Gewissenstätigkeit (1986);
 A. Freund: Gewissensverständnis in der ev. Dogmatik u. Ethik im 20. Jh. (1994).

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Ge|wịs|sen, das; -s, - [mhd. gewiʒʒen(e), ahd. gewiʒʒenī = (inneres) Bewusstsein, LÜ von lat. conscientia, eigtl. = Mitwissen, LÜ von griech. syneídēsis]: Bewusstsein von Gut u. Böse des eigenen Tuns; Bewusstsein der Verpflichtung einer bestimmten Instanz gegenüber: das menschliche G.; sein ärztliches, künstlerisches G. lässt das nicht zu; dabei regte sich sein G. (kamen ihm Bedenken hinsichtlich der moralischen Vertretbarkeit); ihn plagt sein G.; sein G. erleichtern, erforschen, zum Schweigen bringen; kein G. haben (skrupellos sein); ein reines G. haben (sich nicht schuldig fühlen); sie hatte wegen des Ladendiebstahls ein schlechtes G. (war wegen dieses schuldhaften Verhaltens bedrückt); ich hatte schon ein schlechtes G., dir nicht geschrieben zu haben (machte mir schon Vorwürfe wegen dieser Nachlässigkeit); ich habe auch ein schlechtes G. gegen ihn (Bergengruen, Rittmeisterin 442); seinem G. folgen; ruhigen -s etw. tun; an jmds. G. appellieren; gegen sein G. handeln; etw. mit gutem G. tun; seine Angaben nach bestem Wissen und G. (ohne etw. dabei zu verschweigen) machen; etw. vor seinem G. nicht verantworten können; Spr ein gutes G. ist ein sanftes Ruhekissen; *sich <Dativ> kein G. aus etw. machen (etw. Übles tun, ohne sich durch sein Gewissen davon zurückhalten zu lassen; nach Römer 14, 22); jmdn. auf dem G. haben (durch sein Verhalten an jmds. Tod od. Untergang schuld sein): Der arme Jerzy. Wenn sie dem was tun, dann hat sie ihn auf'm G. (M. Walser, Eiche 35); etw. auf dem G. haben (etw. durch sein Verhalten verschuldet haben); jmdm. ins G. reden (jmdn. wohlmeinend, aber ernsthaft u. eindringlich ermahnen u. ihn zu einer Änderung seines verkehrten, missbilligten Verhaltens zu bewegen, vom falschen Weg abzubringen suchen).

Universal-Lexikon. 2012.