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neugriechische Sprache
neugriechische Sprache,
 
Bezeichnung für zwei Sprachformen in Griechenland und Zypern: die Demotike (»Volkssprache«), die eine organische Entwicklung der griechischen Sprache durch die Jahrtausende darstellt, und die puristische Sprache Katharevusa, die künstliche Form eines gelehrten, archaisierenden Griechisch.
 
Der griechische Sprachdualismus begann in der Zeit Alexanders des Großen nach der Herausbildung der Koine, der allgemeinen Verkehrssprache des Hellenismus, mit der Unterscheidung zwischen gesprochenem und geschriebenem Griechisch. Die Gelehrten betrachteten die Koine als vulgäre Sprachform und bemühten sich um ein klassisches Attisch (Attizismus). Diese Einstellung behauptete sich während der byzantinischen und türkischen Ära sowie im neu gegründeten griechischen Staat. Seit der kretischen Literatur des 15. bis 17. Jahrhunderts wurde die Volkssprache literarisch und errang im 20. Jahrhundert als allgemeine griechische Schriftsprache in Literatur und Kultur Anerkennung, während die Katharevusa sich als Amtssprache behauptete und auf wissenschaftlichem Gebiet vorherrschte. Die Anhängerschaft der beiden Sprachformen teilte sich in zwei Lager. Künstler, Schriftsteller und Anhänger fortschrittlicher Tendenzen traten für die Demotike ein, sodass das Sprachproblem auch politischen Charakter erhielt. Wiederholt wurden die Erziehungspläne von diktatorischen Regimen zugunsten der Katharevusa geändert. 1975 wurde der Sprachdualismus durch Parlamentsbeschluss beseitigt; die Demotike ist seitdem über den kulturellen Bereich hinaus auch als Amts- und Wissenschaftssprache anerkannt.
 
Die Aussprache beider Sprachformen, die sich von der in Deutschland üblichen erasmischen Aussprache des Altgriechischen (Etazismus) unterscheidet, entstand in den letzten Jahrhunderten v. Chr. (griechische Sprache, griechische Schrift). Schon in der Koine wurden Vokale und Diphthonge weitestgehend wie im heutigen Griechisch ausgesprochen (Itazismus). 1982 wurde das Ein-Akzent-System eingeführt, d. h., die betonte Silbe wird bei mehrsilbigen Wörtern mit Akut gekennzeichnet und nicht mehr mit Gravis oder Zirkumflex. Gleichzeitig entfielen Spiritus asper und Spiritus lenis am Wortanfang. In der Deklination ist der Dativ geschwunden; er wird durch präpositionale Wendungen ersetzt. Die Deklinationssysteme sind um einige Schemata verringert, das Verb hat Infinitiv und Optativ eingebüßt. Die Syntax ist im Sinne eines stark analytischen Satzbaus vereinfacht.
 
Die in byzantinischer Zeit in verschiedenen Gegenden Griechenlands und Kleinasiens herausgebildeten Dialekte basieren v. a. auf der Koine der hellenistischen Zeit.
 
Literatur:
 
K. Krumbacher: Das Problem der neugriech. Schriftsprache (1902);
 A. Thumb: Hb. der neugriech. Volkssprache. Gramm., Texte, Glossar (Straßburg 21910, Nachdr. 1974);
 U. von Wilamowitz-Moellendorff: Gesch. der griech. Sprache (1928);
 J. T. Pring: A grammar of modern Greek on a phonetic basis (Neuausg. London 1955);
 
Gesch. der griech. Sprache, Bd. 2: A. Debrunner: Grundfragen u. Grundzüge des nachklass. Griechisch (21969);
 P. Tzermias: Neugriech. Gramm. (1969);
 N. P. Andriotis: Etymologikò lexikò tẽs koinēs neoellēnikēs (Saloniki 31983, Nachdr. ebd. 1988);
 R. Browning: Medieval and modern Greek (Cambridge 21983);
 P. Mackridge: The modern Greek language (Oxford 1985, Nachdr. ebd. 1992);
 
Langenscheidts Taschen-Wb. der neugriech. u. dt. Sprache, 2 Bde. (7-171990-91);
 G. S. Henrich u. K. Chrisomalli-Henrich: Langenscheidts Euro-Wb. Griechisch (31995);
 G. Horrocks: Greek. A history of the language and its speakers (London 1997);
 H. Ruge: Gramm. des Neugriechischen. Lautlehre, Formenlehre, Syntax (21997).

Universal-Lexikon. 2012.