Ostkirchen,
Sammelbezeichnung für die christlichen Kirchen, die die nach der endgültigen Teilung des Römischen Reichs (395) zu dessen Osthälfte gehörten, nach der Reichsteilung dort sowie in den Grenzgebieten jenseits der östlichen Reichsgrenzen entstanden beziehungsweise von dort aus durch Mission gegründet worden sind; als regionalisierende Bezeichnung heute überholt, da infolge von Migration und Emigration fast alle Ostkirchen auch in Mittel- und Westeuropa, Amerika und Australien verbreitet sind (Übersicht). Nach ihrer Glaubenslehre und Geschichte werden folgende, zum Teil sehr unterschiedliche Kirchen und Kirchengruppen unterschieden: 1) die im byzantinischen Kulturkreis entstandene orthodoxe Kirche, 2) die orientalischen Nationalkirchen, die auch als altorientalische Kirchen bezeichnet werden, 3) die ostsyrische Kirche (Nestorianer), 4) die Kirchen und Gemeinschaften, die sich in den letzten Jahrhunderten von den unter 1) bis 3) genannten Kirchen gelöst, sich dem Papst unterstellt haben und als unierte Ostkirchen Teilkirchen der römisch-katholischen Kirche bilden (griechisch-katholische Kirche; unierte Kirchen). - Die unierten Ostkirchen bewahren in ihrer Liturgie und Spiritualität weitgehend und im Kirchenrecht teilweise die Traditionen ihrer orthodoxen beziehungsweise orientalischen Mutterkirchen. Die zwischen den unter 1) bis 3) genannten Ostkirchen bestehenden theologischen und kulturellen Unterschiede haben ihren geschichtlichen Ausgangspunkt v. a. in den christologischen Auseinandersetzungen im 5./6. Jahrhundert, aber auch in ethnischen Unterschieden (z. B. der Syrer, Kopten, Armenier), die ebenfalls ein wesentlicher Anlass für die Trennung von der griechisch bestimmten byzantinischen Reichskirche waren. Allen Ostkirchen gemeinsam ist die Bindung an die frühkirchliche Tradition, die davon abgeleitete episkopal-synodale Struktur und die starke Betonung der Liturgie. - Die zwischen der orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche auf der einen und den orientalischen Nationalkirchen auf der anderen Seite bestehenden Lehrunterschiede im Verständnis der Christologie konnten nach fast 1 500 Jahren im Grundsatz überwunden werden (Monophysitismus); die Beziehungen zwischen der orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche sind aus orthodoxer Sicht (besonders seit der Wiedererrichtung der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine und in Rumänien) durch - auch innerorthodoxe - Auseinandersetzungen um den Status der unierten Ostkirchen belastet.
F. Heiler: Die O. (Neuausg. 1971);
J. Hajjar: Zw. Rom u. Byzanz (a. d. Frz., 1972);
P. Kawerau: Das Christentum des Ostens (1972);
P. Kawerau: O.-Gesch., 4 Bde. (Löwen 1982-84);
A. Kallis: Orthodoxie. Was ist das? (1979);
Quellenbuch zur Gesch. der orth. Kirche, hg. v. N. Thon: (1983);
Hb. der O.-Kunde, hg. v. W. Nyssen u. a., 3 Bde. (1984-97);
R. R. Khawam: L'univers culturel des chrétiens d'Orient (Paris 1987);
H. G. Thümmel: Die Kirche des Ostens im 3. u. 4. Jh. (1988);
Das Glaubensleben der O., hg. v. H.-C. Diedrich (Neuausg. 1989);
E. Hämmerle u. a.: Zugänge zur Orthodoxie (21989);
H.-D. Döpmann: Die orth. Kirchen (1991);
F. Winkelmann: Die östl. Kirchen in der Epoche der christolog. Auseinandersetzungen (41994);
E. Bryner: Die O. vom 18. bis zum 20. Jh. (1996).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Bilderverehrung: Der byzantinische Bilderstreit
Cäsaropapismus: Byzantinischer Kaiser und Kirche
Chrysostomos: Meister der Homilie
Hesychasmus und Palamismus: Formen östlicher Mystik
Kirchen unter totalitärer Gewaltherrschaft: Im Kampf ums Überleben
Ostkirchen: Ihre Liturgien
ostkirchliche Liturgie: Musik und Dichtung
Universal-Lexikon. 2012.