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sumerische Kunst
sumerische Kunst,
 
die Kunst der Sumerer im letzten Drittel des 4. und im 3. Jahrtausends v. Chr. im südlichen und mittleren Mesopotamien, getragen von einer durch Priester- und Beamtenschaft, Staatsbildungen und das Aufblühen städtischer Zentren geprägten Gesellschaft. Einbezogen in diese Kultur waren auch Städte mit semitischer Bevölkerung (Mari). - Obwohl Uruk, Eridu und Ur sowie nördlich davon Nippur vermutlich von Anfang an sumerische Städte waren, wird die frühe und mittlere Urukphase (ab etwa 4300 bis etwa 3300) als eigene, die Obeidkultur ablösende Kulturepoche angesehen. Die späte Urukphase (Uruk VI-IV), in der die Schrift aufkam, und die folgende Djemdet-Nasr-Zeit werden in der Kunst als frühsumerisch bezeichnet (bis etwa 2750). Als weitere Zeitabschnitte sumerischer Kunst werden frühdynastisch (etwa 2750-2250) und neusumerisch (in Lagasch etwa ab 2080, in Ur etwa 2047-1940) unterschieden. Für die dazwischen liegende Zeit (2235-2094) spricht man von akkadischer Kunst; da sie die sumerische Kunst unter Einführung neuer Elemente weiterführt, wird auch von sumerisch-akkadischer Kunst gesprochen. Die sumerische Kunst beeinflusste zeitweise Elam (elamische Kultur). In Mesopotamien wurden im 2. und 1. Jahrtausend in der babylonischen Kultur die sumerischen und akkadischen Traditionen fortgeführt (der Begriff babylonische Kultur wird auch für die von den Sumerern begründete Kultur insgesamt verwendet). In der Kunst wird unterschieden zwischen altbabylonischer Kunst (babylonische Kultur), kassitischer Kunst sowie neu- und/oder spätbabilonischer Kunst. Die assyrische Kunst (assyrische Kultur) schließt sich ebenfalls hier an.
 
Die Baukunst der frühsumerischen Zeit steht neben einer hoch entwickelten Technik (Wasserbau); die Bauten wirken durch die Verwendung ungebrannter Lehmziegel und dicken Lehmputzes massig. Die Sakralarchitektur ist durch Kultbauten geprägt, deren Vorläufer der Obeidzeit angehören (z. B. in Eridu). Dieser Tempeltyp (Uruktyp) hatte eine große, lang gestreckte Mittelhalle, die an einer Schmalseite durch einen breiten Querbau ergänzt sein konnte und von der Zugänge zu den seitlich angeordneten Nebenräumen abgingen. Denselben Grundriss besaßen auch Wohnhäuser (z. B. in Tell Madchur im Dijalagebiet). Die frühsumerischen Tempel hatten eine typische Nischengliederung der Außenfassade, waren wohl schwarzweiß bemalt und/oder durch bunte Tonstiftmosaike geschmückt. Gegenüber der späten Urukphase ist die Architektur der Djemdet-Nasr-Zeit stark verändert: Der Uruktyp verschwand nach und nach, weitergeführt wurden der »osttigridische« Knickachsentempel (mit dem Eingang an einer Längsseite, dem Altar vor einer Schmalseite) und v. a. der rechteckige Antentempel (mit tiefer, offener Vorhalle), der schon in der späten Urukzeit (z. B. in Tepe Gaura) belegt ist.
 
In der frühdynastischen Zeit scheint das Bestreben zu stärkerer Abgrenzung vorzuliegen. Die Hochtempel von Tell Obeid und Chafadji waren von ovalen Mauern umgeben. Verteidigungstechnische Gründe führten wohl zur Errichtung einer Stadtmauer in Uruk, wie vorher schon in Habuba Kabira. Das Baumaterial bestand jetzt aus plankonvexen Ziegeln, bei denen eine Seite leicht ausgebaucht war, gegenüber den älteren langrechteckigen (»Riemchen«). Als Wandschmuck ist im Tempel die reliefierte Weihplatte häufig.
 
Aus neusumerischer Zeit liegt beispielhaft in seiner architektonischen Gestaltung der heilige Bezirk aus Ur vor mit einer Zikkurat, einem Gerichtsgebäude, dem Priesterinnenhaus, dem Schatzhaus und einem Palast (Zeit des Urnammu, 2047-2029 v. Chr.). Aus der Plattform (Sockel), auf der z. B. der Tempel von Eridu der Obeidphase IV stand, entstand durch Aufstockung weiterer Sockel die gestufte Zikkurat, die in Südmesopotamien über der unteren Plattform drei Terrassen hatte. Urnammu ließ solche Zikkurats außer in Ur in Eridu, Uruk und Nippur errichten.
 
Die Rundplastik der frühsumerischen Zeit ist blockhaft geschlossen (v. a. stehende Figuren aus Uruk), nur der Frauenkopf aus Uruk wirkt stärker gegliedert. Die Rundplastik in der frühdynastischen Zeit ist von einer fast geometrischen Abstraktion des Körperbaus bestimmt. Der jetzt vorherrschende Typ der so genannten Beterstatuette (z. B. aus Eschnunna) wirkt trotz gemeinsamer Merkmale wie übergroßer Augen und perückenartiger Haartracht individueller. In Mari entstanden im sumerischen Stil der frühdynastischen Zeit ebenfalls viele Plastiken. Die Art der Ausarbeitung einiger Steinplastiken (Alabaster, Marmor, Kalkstein) lässt stilistische Abhängigkeit von Treibarbeiten vermuten. Am Ende der frühdynastischen Zeit ist wieder eine Hinwendung zu Körperlichkeit und Blockhaftigkeit zu beobachten (Sitzbild des Schreibers Dudu; Statue des Entemena von Lagasch; beide Bagdad, Irak-Museum), was neben Eigenheiten der akkadischen Kunst (»Togagewand«, naturnahe Züge; Diorit) in neusumerischer Zeit zum Teil mit anderen ikonographischen Merkmalen (so genannte Breitrandkappe) wieder aufgenommen wurde (Statuen des Gudea).
 
Reliefdarstellungen der frühsumerischen und frühdynastischen Kunst sind, von Ausnahmen abgesehen, in Bildstreifen gegliedert (Kultvase aus Uruk). Thematisch stehen der Kult der Göttin Inanna (akkadisch Ischtar) und der mit ihr in einem religiösen Zusammenhang stehende, mit einem Vollbart und von einem Stirnband zusammengehaltenem Haarschopf dargestellte Priesterfürst im Vordergrund. Für die frühdynastische Zeit ist neben der Stele (Geierstele) die gelochte Weihplatte als Reliefträger typisch. In der neusumerischen Zeit erlangte neben dieser auslaufenden Denkmalsgattung die bogenförmig abschließende Stele größere Bedeutung (Gudea- und Urnammustelen).
 
In der Siegelkunst frühsumerischer Zeit, in der das Rollsiegel des 4. Jahrtausends weitergeführt wurde, kommt der bärtige Priesterfürst häufig vor. Neben einem stark plastischen Stil zeigen andere Gruppen von Beginn an eine abstraktere Auffassung (»pig tail figures«), die am Anfang der frühdynastischen Zeit in einen fast geometrischen Stil mündet. In Schuruppak entstanden frühdynastische Rollsiegel in einem naturnahen Stil (»Farastil«). Vorherrschend war das durch enge Verschränkung der Szenen ornamental wirkende »Figurenband«. Für die neusumerische Zeit ist die Szene der Introition typisch, die den akkadischen Bild- und Gedankenreichtum auf Stereotype reduziert.
 
Die Kleinkunst und das Kunsthandwerk sind mit hervorragenden Beispielen vertreten, die besonders aus dem Königsfriedhof von Ur (frühdynastische Zeit) stammen: Gefäße aus Edelmetall, Schmuck der Königin Puabi, so genannter Goldener Helm (Kultperücke), Prunkwaffen, Tierstatuetten aus Gold und Lapislazuli, die zum Teil an Musikinstrumenten angebracht waren, Einlegearbeiten aus Perlmutt, Lapislazuli, Schiefer auf verschiedenen Gegenständen, z. B. Spielbrettern oder der so genannten Ur-Standarte (wohl der Resonanzkasten eines Musikinstruments). In Girsu wurden die spätdynastische Silbervase des Entemena von Lagasch sowie eine Lanzenspitze, in Ur ein Ruderboot aus Silber, in Kisch, Chafadji, Mari und Ebla Fragmente von Einlegearbeiten gefunden. Ferner sind Kupfer- oder kleine Bronzegüsse frühdynastischer Zeit erhalten (Zeremonialaxt mit Figurengruppe; von Eseln gezogener zweirädriger Wagen eines Herrschers; beide Bagdad, Irak-Museum) sowie kleine Terrakottamodelle (Häuser, Wagen) und Statuetten, offenbar Votivgaben.
 
Literatur:
 
A. Moortgat: Einf. in die vorderasiat. Archäologie (21981);
 A. Moortgat: Die Kunst des alten Mesopotamien, Bd. 1: Sumer u. Akkad (Neuausg. 1982);
 E. Heinrich: Die Tempel u. Heiligtümer im alten Mesopotamien, 2 Tle. (1982);
 E. Heinrich: Die Paläste im alten Mesopotamien (1984);
 A. Parrot: Sumer u. Akkad (a. d. Frz., 41983);
 W. H. P. Römer: Einf. in die Sumerologie (Nimwegen 71985);
 A. Nunn: Die Wandmalerei u. der glasierte Wandschmuck im Alten Orient (Leiden 1988);
 J.-L. Huot: Les Sumériens. Entre le Tigre et l'Euphrate (Paris 1989);
 H. Uhlig: Die Sumerer. Ein Volk am Anfang der Gesch. (1989);
 H. Crawford: Sumer and the Sumerians (Cambridge 1991);
 
Der alte Orient. Gesch. u. Kultur des alten Vorderasien, bearb. v. B. Hrouda (1991);
 
Weltatlas der alten Kulturen. Mesopotamien, bearb. v. M. Roaf (a. d. Engl., 1991);
 W. von Soden: Einf. in die Altorientalistik (21992);
 H. Frankfort: The art and architecture of the Ancient Orient (New Haven, Conn., 51996).
 
Weitere Literatur: Alter Orient, babylonische Kultur.

Universal-Lexikon. 2012.