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babylonische Kultur
babylonische Kultur,
 
die Kultur Babyloniens seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. bis zum Hellenismus. Ihre Grundlagen legten die Sumerer: Sie schufen die Keilschrift und das Zahlensystem, die Hauptgestalten des Götterglaubens und die Anfänge der Kunst. Ihnen folgten seit dem ausgehenden 3. Jahrtausend semitischsprachige Völker (Akkader, Amurru). Die von Sumerern und semitischen Babyloniern geschaffene babylonische Kultur übte starken Einfluss auf eindringende Fremdvölker (z. B. die Kassiten) aus, wirkte über Babylon hinaus auf große Teile Vorderasiens, v. a. Assyrien, und überdauerte in ihren Auswirkungen den Sturz des neubabylonischen Reichs. Durch die Ausgrabungen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts ist sie in ihrem vollen Ausmaß wieder bekannt geworden.
 
 Gesellschaft und Lebensweise
 
In den Staaten des Zweistromlandes hatte der König eine beherrschende Stellung inne. Die Bevölkerung lässt sich zwar nicht eindeutig in Klassen einteilen, doch gab es Unterschiede in Bezug auf Ansehen und Vermögen; wahrscheinlich besaßen die Angehörigen ärmerer Schichten nur eingeschränkte Bürgerrechte; Sklaven gab es, zumindest in der Frühzeit, jedoch nicht. Der Mann als Familienoberhaupt lebte mit einer Hauptfrau und ein oder zwei Nebenfrauen zusammen. Weitere Frauen galten als Konkubinen, deren Kinder nur in Ausnahmefällen erbberechtigt waren. Weit verbreitet war die Adoption. Einer großen Fruchtbarkeit stand eine fast gleich große Kindersterblichkeit gegenüber, die Lebenserwartung der Erwachsenen lag zwischen 30 und 40 Jahren. Man begrub die Kinder in Tonkrügen, die Alten in einfachen Matten oder Ziegelsetzungen unter dem Keller des Hauses.
 
Das Leben des Landes wurde in der Frühzeit durch die Arbeit der Bauern bestimmt. Neben dem Ackerbau war die Viehhaltung (Schafe, Ziegen, Rinder) weit verbreitet. Die Tiere waren zunächst Tempelbesitz, gingen aber später (2. Jahrtausend v. Chr.) in Privateigentum über. Ihr Fell diente als Kleidung; Milch und Fleisch ergänzten die sonstige Nahrung, die v. a. aus Gerste (zerrieben und zu Fladenbrot oder Brei verarbeitet), Bier, Fett (aus Sesam, da Oliven im südlichen Zweistromland nicht gedeihen), Datteln und Honig, Hülsenfrüchten, Hirse und Weizen bestand. Die Bewirtschaftung der Felder erforderte ein organisiertes Gemeinwesen. Die Instandsetzung der Bewässerungsanlagen setzte zentrale Leitung voraus. Die Bewässerung der Felder und der ohnehin hohe Grundwasserspiegel führten allmählich zu starker Versalzung des Bodens. Heute sind weite Teile des einst fruchtbaren Ackerlandes unfruchtbare Steppe oder Sumpf. Neben die Landwirtschaft traten schon bald der Handel (zunächst reiner Tauschhandel auf der Basis landwirtschaftlicher Überschüsse) und das Handwerk; an Rohstoffen arm, importierte man Erze, Edelsteine, Bauholz, Stein u. a. und exportierte zum Teil die daraus hergestellten Produkte. Reger Handelsverkehr mit Ägypten, Kleinasien, Syrien, den Ägäischen Inseln, auch mit dem Industal ist nachgewiesen.
 
Während der Handel im 3. Jahrtausend v. Chr. Tempel und Palast vorbehalten und auch das Handwerk zunächst Bestandteil der Tempel- und Palastwirtschaft war, entwickelten sich privater Handel, privates Handwerk und Privateigentum im frühen 2. Jahrtausend erheblich. Hammurapi versuchte dem entgegenzusteuern, indem er sein Königsland erweiterte und gegen Abgaben und Dienstleistungen bewirtschaften ließ. Unter den Chaldäerkönigen blühte das Geld- und Kreditwesen, Grundlage der Wirtschaft war v. a. der Getreidehandel mit Persien. Die Zinsen lagen bei 20-30 %. Durch die Anwendung des babylonischen Schuldrechts konnten säumige Schuldner in vollständige Abhängigkeit wirtschaftlich mächtiger Familien geraten.
 
Religiöse Feierlichkeiten unterbrachen den Alltag. Dabei wurde reichlich gegessen und in den zahlreichen, oft von Frauen betriebenen Schänken ausgiebig Alkohol getrunken. Bei diesen Festen wurden Spiele aufgeführt, oft mit kulturellem Charakter, etwa Ringkämpfe und Boxveranstaltungen; auch Gaukler führten ihre Künste vor. Musiker begleiteten die Hymnen der Priester.
 
Im Palast residierte der König als Vertreter der Gottheit und höchster Gerichtsherr. Um die zentralen Gebäude, Palast und Tempel drängten sich innerhalb der starken Stadtmauern die Häuser der Bewohner. Nach der Straße zu durch eine Mauer abgeschlossen und ohne Fenster, öffneten sich die Räume zu einem Innenhof. Die Einrichtung war einfach. Sie bestand aus Feuerstelle, Handmühle und Tonware als Geschirr (nur in Palästen und einigen wohlhabenden Häusern gab es Metall- und Steingeräte). Man saß auf gemauerten Wandbänken oder auf geflochtenen oder aus Ton hergestellten Hockern, schlief unter Decken auf dem Boden oder auf einfachen, aus Palmfasern geflochtenen Unterlagen. In den Kellern wurden Gefäße mit den Tontafeln aufbewahrt, die die Familie betrafen: Urkunden über Verbindlichkeiten, Prozessurteile, geschäftliche Korrespondenz (einzelne Kinder wurden an Schulen zu Tontafelschreibern ausgebildet). Obgleich es Waschstellen mit Sickerschächten gab, wurden die Straßen zur Ablagerung allen Unrats benutzt. Man konnte bei Ausgrabungen feststellen, wie rasch sich das Straßenniveau erhöht hatte. Dazu trug u. a. bei, dass neben dem Unrat bei Unwetter ältere, aus luftgetrockneten Lehmziegeln gefertigte und nur schwach verputzte Mauern einstürzten und liegen blieben. Nur Befestigungen, Kultbauten und Paläste wurden aus gebrannten Ziegeln auf dauerhaften Fundamenten erbaut oder damit verkleidet.
 
Das babylonische Recht nimmt unter den vorderasiatischen Rechten eine Sonderstellung ein. Sein hoher Stand ist in der Antike lediglich mit dem römischen Recht vergleichbar. Seine herausragendste Kodifikation ist die Gesetzessammlung Hammurapis, die auf einer Stele überliefert ist. Sie kodifizierte das in Gebrauch befindliche akkadische und Teile älteren sumerischen Rechts. Daneben sind weitere Dokumente des Rechtslebens erhalten. Die Gerichtsbarkeit war den Priestern, zuoberst dem König vorbehalten. Wichtige Hinweise für das babylonische Rechtswesen haben die Ausgrabung mehrerer Tempelarchive sowie die Kujundjikbibliothek von Ninive gegeben.
 
 Kunst
 
Der Beginn der altbabylonischen Kunst ist Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. anzusetzen, obwohl das Gebiet politisch erst unter Hammurapi von Babylon in einer Hand vereinigt wurde. Dabei wird das kulturell zugehörige Mari in Syrien einbezogen und damit die Grenze des heutigen Irak übersprungen. Die altbabylonische Kunst der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends bezieht sich, wie auch die weitere Entwicklung in der kassitischen, neu- und spätbabylonischen Kunst, immer wieder auf die Kunst des 3. Jahrtausends (sumerische Kunst, akkadische Kunst).
 
Nach dem Sturz der 1. babylonischen Dynastie (um 1530) geriet Babylonien unter die fast 500 Jahre andauernde Herrschaft der Kassiten (kassitische Kunst; die Bezeichnung mittelbabylonische Kunst wird nicht verwendet).
 
Parallel zu neuassyrischer Kunst (etwa 1100-600) spricht man von neubabylonischer Kunst, die jedoch nur in wenigen Werken belegt ist. Eine eigenständige babylonische Kunst unter Rückbesinnung auf sumerisch-akkademische Traditionen setzt im neubabylonischen Reich unter Nabopolassar (um 630) ein und entfaltete unter Nebukadnezar II. (605-562) ihre größte Blüte (spätbabilonische Kunst, bis zur Zeit der Achaimenidenherrschaft nach 539).
 
Baukunst:
 
Für den archäologisch nicht fassbaren Palast des Hammurapi von Babylon wird häufig der altsyrische Palast des Zimrilim in Mari am mittleren Euphrat zum Vergleich herangezogen. Da der Palast des Sinkaschid von Uruk einen von Mari abweichenden Grundriss aufweist und auch der »Audienzsaal« des Naramsin von Eschnunna wieder anders gestaltet ist, lässt sich über das Schema des altbabylonischen Palastbaus gegenwärtig keine Aussage machen. Im Tempelbau überwog das Vorbild des Hürdenhauses (in seiner Urform ein in einer Ummauerung liegendes Gebäude), das besonders deutlich am Enkitempel in Ur nachzuweisen ist. Wandmalereien sind im Palast von Mari aus dem 18. und 17. Jahrhundert (Investitur des Zimrilim) erhalten, es sind groß angelegte Kompositionen von kraftvoller, sparsamer Farbgebung.
 
Für die spätbabilonische Zeit ist die Baukunst durch die Hauptstadt Babylon selbst bezeugt.
 
Bildkunst:
 
Auf der Gesetzesstele des Hammurapi (1. Hälfte 18. Jahrhundert) ist über den Inschriftenstreifen (»Codex Hammurapi«) eine Reliefdarstellung des Königs vor dem thronenden Sonnengott Schamasch, der ihm die Zeichen der Herrschaft, Stab und Ring, überreicht, angebracht. Beide wenden einander das Antlitz zu, auch die Augen sind in Profilansicht wiedergegeben, ebenso z. B. die Hörnerkrone des Gottes. Das Spiel von Licht und Schatten wird für die Plastizität der Wirkung eingesetzt. So hat man Ansätze zu einer perspektiv. Sehweise erkennen wollen, die in der zu dieser Zeit weit verbreiteten Denkmalsgattung der kleinen Terrakottareliefs auch zu finden ist. Details wie typische Kleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Kronen, Haartrachten sowie verschiedene Gegenstände (Ring und Stab, Waffen, Göttersymbole) werden abgebildet. In der Kleinplastik sind mehrfach Werke aus Bronze überliefert. Die Rollsiegelkunst zeigt eine Vorliebe zur thematischen Verkürzung und zur Verlagerung des Bildinhaltes in die nun ausführlicher abgefasste Inschrift. Am Ende der stilistischen Entwicklung steht eine Längung der Figuren unter Beibehaltung ihrer Plastizität.
 
Von der neubabylonischen Kunst sind einige Reliefs auf Stelen und Kudurrus überliefert. Sie stehen in älterer babylonischer Tradition und gewinnen am Ende des 8. Jahrhunderts mit dem Relief des Marduk-apla-iddina II. einen charakteristischen Stil.
 
Aus der spätbabilonischen Kunst ist v. a. die Verkleidung der Bauten mit glasierten Ziegeln bekannt, die mit farbigen Reliefs schreitender Tiere wie Löwe, Stier und Drache (Muschussu, Symboltier des Gottes Marduk) sowie mit stilisierten Palmen und friesartig angeordneten Ornamentformen geschmückt waren.
 
Das Rollsiegel wurde in neubabylonischer Zeit vom Stempelsiegel fast ganz verdrängt; deren kleinerer Bildfläche trägt die Darstellung dadurch Rechnung, dass häufig der Beter nur noch vor Göttersymbolen statt vor Götterfiguren wiedergegeben wird.
 
 Literatur
 
Die babylonische Literatur wurde in akkadischer und sumerischer Sprache in Keilschrift geschrieben, wobei die mündliche Überlieferung des 3. Jahrtausends v. Chr. in der Regel erst nach 2000 v. Chr. schriftlich niedergelegt wurde. Noch die jüngere babylonische Literatur hielt an der Zweisprachigkeit fest, nachdem das Sumerische als Umgangssprache schon erloschen war (um 1800). Die Blütezeit der babylonischen Literatur endete im 1. Jahrtausend v. Chr.
 
Die Dichtungen sind fast ausnahmslos anonym überliefert und im Lauf der Jahrhunderte sprachlich wie inhaltlich oft überarbeitet worden. Ihr zum Teil sehr bruchstückhafter Erhaltungszustand und die poetische Sprache erschweren das Verständnis. Gattungen der babylonischen Literatur sind: 1) Hymnen und Gebete an Götter und Könige, die beim Gottesdienst und bei den Festen mit Musikbegleitung vorgetragen wurden. Auch persönliche Gebete finden sich später. Im 1. Jahrtausend wurden sie zu großen Gebetszyklen zusammengestellt. 2) Klagelieder, nur sumerisch überliefert, besingen litaneiartig die Verwüstung einzelner Kultorte durch Fremdvölker. 3) Beschwörungen: Zunächst kurze, später zu großen Zyklen zusammengeschlossene Werke der magischen Praxis mit Vorschriften für den Beschwörungspriester und Gebeten gegen Dämonen. 4) Rituale für das Thronbesteigungszeremoniell und kulturelle Handlungen (besonders zum Neujahrsfest). 5) Lehrgedichte, besonders bei den Sumerern gepflegt, vermischen hymnische und epische Elemente zur Erklärung göttlicher Schöpfungstaten, so das akkadische Weltschöpfungsepos, das den Aufstieg Marduks zum Götterherren rechtfertigt. 6) Weisheitslehren in Sprichwörtern, fiktiven Streitgesprächen (zwischen Dattelpalme und Tamariske oder Pferd und Esel) und besonders im hiobähnlichen Psalm »Ich will preisen den Herrn der Weisheit«. 7) Epen über alte Herrscher wie Enmerkar, Lugalbanda und Gilgamesch von Uruk, Sargon von Akkad, später über Kassitenherrscher und über den Assyrer Tukulti-Ninurta I. 8) Mythen haben bei den Sumerern meist die Bewahrung der göttlichen Weltordnung zum Gegenstand: Inannas Gang zur Unterwelt, Adapa und der Südwind, der Menschenerschaffungsmythos von Atrachasis; später gab es auch historisch-mythische Erzählungen: Etana, der mit dem Adler zum Himmel fliegt, um einen Sohn zu erhalten; Mythos vom Pestgott Erra. 9) Bauinschriften und Feldzugsberichte geben teilweise in poetischer Sprache historische Ereignisse wieder. Nüchterner sind die Chroniken. Auch Briefe zählen zum Teil zur literarischen Produktion. 10) Von Schwank und Burleske sind nur geringe Reste erhalten (»Armer Mann von Nippur«). 11) Texte der babylonischen Wissenschaft.
 
Die Werke der Literatur wurden, systematisch geordnet, in Bibliotheken, meist in Tempeln, gesammelt. Die wichtigste Sammlung babylonisch-assyrischer Literaturdenkmäler ist die von Assurbanipal gegründete Bibliothek von Ninive (Kujundjik).
 
 Musik
 
Die Musik der Babylonier wurde von der sumerischen Musik geprägt und bildete die Grundlage für die assyrische Musik (assyrische Kultur, Musik). Als Quellen dienen Zeugnisse der Keilschriftliteratur, Gräberfunde, Rollsiegel, Einlegearbeiten und Wandgemälde, die es aber nicht ermöglichen, den Klang dieser Musik zu rekonstruieren. Unsere heutigen Kenntnisse beschränken sich auf die kulturelle Musik. Sie basierte auf einem siebenstufigen, diatonischen Tonsystem und sieben Modi. Die vokalen Teile erstreckten sich von der Deklamation über den Sprechgesang bis zum melodischen Gesang einer oder mehrerer Solostimmen oder Chöre (auch antiphonal).
 
Die Instrumente dienten vorwiegend zur Begleitung des Gesangs und des kulturellen Tanzes. Neben Rahmentrommeln, Becken, Glocken, Doppelblasinstrumenten und der heiligen Bechertrommel Lilissu, zu deren Herstellung Feste anberaumt wurden, traten als neue Instrumente die Winkelharfen (4-6 Saiten) und Langhalslauten. Zu den Standleiern kamen transportable, horizontal nach vorn geneigte Leiern (4-5 Saiten) aus dem Einflussgebiet der Westsemiten.
 
Das Ansehen der bereits unter den Sumerern in zwei Hauptgruppen (Gala und Nar) gegliederten Musiker wuchs, und in der babylonischer und assyrischer Zeit gehörten sie der Hauptpriesterklasse an. Ursprünglich ausschließlich Tempelbeamte, standen sie später auch im Dienste des Königs. Frauen und Männer hatten die erblichen, hierarchisch gegliederten Musikämter inne. Sie führten die musikalischen Teile der Kulthandlungen bei Opferritualen, Symposionsfeiern, Festen zum Tempelbau, zur »heiligen Götterhochzeit« und zum Neujahrs- und Fruchtbarkeitsfest Akitu aus. Am 4. Tag des letzteren rezitierte der Musikerpriester Kalu unter musikalischer Umrahmung das Weltschöpfungsepos. Ihm oblagen auch die Toten-, Tempel- und Stadtklagen.
 
Die Musik und ihre theoretischen Grundlagen wurden ursprünglich an den Tempelschulen, später auch in den »Tafelhäusern«, den Schulen der Königshöfe, unterrichtet. Als ausgezeichneten Mathematikern waren den Babyloniern die Beziehungen zwischen Saitenlänge und Tonhöhe, Zahlenverhältnis und Intervall bekannt. Bei ihnen finden wir die Ursprünge der Lehre von der Sphärenharmonie.
 
 Religion
 
Die babylonische Religion ist wesentlich in der sumerischen Zeit entstanden. Jede Stadt verehrte ihre eigene Gottheit, der ein »Hofstaat« kleinerer »Dienergottheiten« beigegeben war. Die Vielzahl der örtlichen Kulte wurde seit Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. in Götterkreise zusammengefasst. Die später einwandernden Semiten haben die Götter des neuen Landes übernommen oder sie ihrem Verständnis angeglichen. Enlil von Nippur galt weiterhin als Götterherr, Enki, Gott des unterirdischen Süßwasserozeans, lebte als Ea, Vater des Marduk und Gott der Weisheit, weiter. Inanna, Tochter des Himmelsgottes An von Uruk, entsprach schon in sumerischer Zeit dem Bild der sinnlich-erotischen Ischtar der Semiten, betont wurde jetzt ihre kriegerische Eigenschaft. Ihr Geliebter Dumuzi wurde als Tammuz weiterhin verehrt. Stärker wurden die neuen Einflüsse bei anderen Gottheiten bemerkbar: Der Sonnengott Utu fand nun als Schamasch, Herr der Weissagung und des Gerichts, als Inbild der segenspendenden Kräfte der Sonne große Verehrung. Der Sturm- und Gewittergott Ischkur, bei den Sumerern unbedeutend, wurde als Adad oder Mer Bringer der Fruchtbarkeit und eine Zentralgestalt des Pantheons. Marduk, Stadtgott von Babylon, wurde schließlich mit der Erhebung Babylons zur Hauptstadt (um 1700) zum obersten Reichsgott.
 
Den Kult besorgte eine reichgestufte, mächtige Priesterschaft. Die babylonischen Mythen (Weltschöpfung, Sintflut) haben auf viele vorderasiatische Völker, auch auf die Juden, gewirkt.
 
 Wissenschaft
 
Von den Sumerern bis in die Seleukidenzeit wurden im Zweistromland Naturwissenschaft und Mathematik gepflegt. Für den letzten Zeitraum liegen zum Teil schon griechische Quellen (z. B. Berossos) vor, für frühere fast ausschließlich Keilschrifttafeln in sumerischer Sprache (Ideogramme), die auch den späteren zum Teil vielsprachigen Völkerschaften der verschiedenen Reiche bis zur Verdrängung durch das Griechische (letzte Keilschrifttafel 75 n. Chr.) als einheitliche Schriftsprache der Wissenschaft diente. Dadurch bleibt die Datierung einzelner Funde oft unsicher, wenn der genaue Fundort unbekannt ist. Andererseits wird aber wahrscheinlich, dass zumindest die Grundlagen der babylonischen Mathematik zusammen mit der Sprache von den Sumerern stammen. Das schon früh ausschließlich verwendete sexagesimale Ziffernsystem ist wohl entstanden durch die Verbindung eines älteren Dezimalsystems mit einem ebenfalls älteren Duodezimalsystem; aus ihm ging v. a. zum kaufmännischen Rechnen ein gemischtes Zehner-Sechziger-System hervor. In dem zu den Stellenwertsystemen zählenden Sexagesimalsystem wurden nur zwei Zeichen kombiniert, und zwar ein senkrechter Strich (Keil) für die Zahl 1 und die Potenzen der Grundzahl 60 und ein »Winkelhaken« für die Zahl 10. Auch (sexagesimale) Brüche konnten so dargestellt werden. Die Multiplikation wurde mittels Multiplikationstafeln, die Division mittels Reziprokentafeln (Kehrwerttafeln) vollzogen. Quadratwurzeln konnten durch Verwendung einer Näherungsformel berechnet werden.
 
Die eigentlichen mathematischen Texte umfassen zwei Gruppen: 1) die Tabellentexte seit dem 3. Jahrtausend; sie wurden besonders im 1. Jahrtausend für astronomische Zwecke erweitert; 2) die Aufgabentexte, zum Teil Sammlungen mit steigendem Schwierigkeitsgrad, hauptsächlich aus altbabylonischer Zeit (etwa 1900-1600). Die Tabellen enthalten für bestimmte »Kopfzahlen« die entsprechenden Werte der Quadrate, Kuben, Reziprokwerte, Wurzeln, Potenzen und Potenzsummen (v. a. n2 ± n und n3 + n2) sowie die pythagoreischen Zahlentripel (der Satz des Pythagoras war bekannt, wenn auch nicht bewiesen) u. a. In den Aufgabentexten finden sich neben den Lösungen oft die Lösungswege. Behandelt wurden arithmetische Reihen, geometrische Folgen sowie Aufgaben der Zinseszinsrechnung, ferner lineare Gleichungen mit einer und mehreren Unbekannten, quadratischen und kubischen Gleichungen (meist gelöst durch Rückführung auf die Tabellen) sowie biquadratische Gleichungen, die auf quadratische Gleichungen zurückgeführt werden können. Neben Aufgaben aus der Praxis finden sich reine Lehrtexte algebraischen Charakters. Aufgaben und Tabellen lassen erstaunliche Einsichten in zahlentheoretische Zusammenhänge erkennen. Dass in altbabylonischer Zeit ein Höchststand erreicht worden war, zeigt der gelegentliche Hinweis auf eine ältere, »akkadische« Methode.
 
In der Elementargeometrie waren Rezepte zur exakten und näherungsweisen Bestimmung einfacher Flächeninhalte (Rechteck, Dreieck, Trapez und allgemeines Viereck) bekannt, außerdem die Ähnlichkeit von Dreiecken und die zugehörigen Verhältnisse. Aus der Bautechnik stammt die Kenntnis der Rauminhalte von Würfel, Quader, Prisma, von Dämmen und Gräben; auch der Inhalt des geraden Pyramidenstumpfs war bekannt. Neben dem Wert 3 für die Kreiszahl π findet sich auch der durch ein Näherungsverfahren bestimmte, genauere Wert 31/8. Einen Höhepunkt stellt die Verwendung des Trapezsatzes dar, der den Aufbau einer winkelfreien Geometrie in der Ebene erlaubt, wobei anstelle von Sätzen über Proportionen (wie sie sich bei Euklid finden) Produkt-, d. h. Flächenbeziehungen treten.
 
Die babylonische Astronomie entstand im 1. Jahrtausend v. Chr. aus der genauen Beobachtung von Gestirnen, v. a. Mond und Planeten, wie sie sicher seit etwa 1500 v. Chr. nachweisbar ist. Aus dieser Zeit stammt auch das aus 70 Tafeln bestehende astrologisch-astronomisches Kompendium »Enuma Anu Enlil«, von dem Bruchstücke einer Kopie aus der Bibliothek Assurbanipals erhalten blieben. Die babylonische Astronomie beschränkte sich anfänglich auf die arithmetische Bestimmung von Planetenörtern am sichtbaren Himmel unter astrologischen Aspekten. Die Planeten galten als Götter, die die Geschicke der Reiche lenkten. So mussten die Hofastrologen die Konstellationen der Gestirne (und damit das irdische Geschehen) voraussagen.
 
In ihrer Blütezeit (2. Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr.) wurden jedoch besonders von Nabu-riannu (um 500) und Kidinnu (um 380) Verfahren entwickelt, mit denen die Örter der sich »ungleichförmig bewegenden« Planeten und des Mondes in Länge und Breite mittels einfacher und mehrfacher Differenzenregeln extrapoliert werden konnten. Beobachtungsreihen, die teilweise über ein Jahrtausend zurücklagen (die erhaltenen Keilschriftkopien stammen meist aus der Zeit Assurbanipals), und regelmäßige Beobachtungen in den astronomischen Schulen von Babylon, Uruk und Sippar lieferten das Ausgangsmaterial. Älter noch ist die Kenntnis von Finsternisperioden, z. B. die Sarosperiode (18 Jahre und 101/3 Tage), und von Zyklen zum Ausgleich von Mond- und Sonnenjahr. Der alte babylonische Kalender enthielt noch 12 Monate zu 30 Tagen; etwa alle 6 Jahre wurde durch königlichem Dekret ein Schaltmonat eingesetzt. Bereits vor 505 war allerdings ein achtjähriger Zyklus in Gebrauch, von 505 bis 383 ein 27-jähriger und danach ein 19-jähriger Zyklus (von Meton um 430 in Athen eingeführt und deshalb nach ihm benannt).
 
Aus der Blütezeit der babylonischen Astronomie stammt auch die Einführung der Himmelskreise (zwölfteiliger Tierkreis, Horizont, Äquator) und die 360-Grad-Teilung des Kreises. All dies haben die Griechen übernommen und ihrer erstmals kosmologisch-physikalisch ausgerichteten Astronomie zugrunde gelegt. Noch Ptolemäus griff vielfach zur Berechnung der Perioden in seinem System auf Beobachtungen der Babylonier zurück.
 
In Stand und Ansehen der Medizin geben die Gesetzestexte Hammurapis Einblick. Schon aus der Zeit um 2100 v. Chr. sind Rezepte mit Drogen anorganischer, pflanzlicher und tierischer Herkunft und Anwendungsvorschriften erhalten. Häufig war die medikamentöse Behandlung von Magie und Beschwörung begleitet, da man Krankheiten auf das Eingreifen böser Dämonen zurückführte. Diese magische Medizin hatte über Bolos von Mendes (3. Jahrhundert v. Chr.) starken Einfluss auf die spätantike Medizin. - In der chemischen Technik waren die empirisch erworbenen Kenntnisse beträchtlich. Tafeln mit einzelnen Rezepten (für Seifen, Glas, Farben, Glasuren u. a.) sind seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. erhalten, Brennöfen und einfache Destilliergeräte bereits seit etwa 3500 v. Chr.
 
Literatur:
 
Gesellschaft:
 
B. Meissner: Babylonien u. Assyrien, 2 Bde. (1920-25);
 I. Mendelsohn: Slavery in the ancient Near East (New York 1949, Nachdr. Westport, Conn., 1978);
 G. Contenau: So lebten die Babylonier u. Assyrer (a. d. Frz., 1959);
 
Kulturgesch. des Alten Orient, hg. v. H. Schmökel (1961);
 J. Klíma: Gesellschaft u. Kultur des alten Mesopotamien (a. d. Tschech., Prag 1964);
 
Ancient Mesopotamia. Socio-economic history, hg. v. I. M. Diakonoff (Moskau 1969);
 H. W. F. Saggs: Mesopotamien. Assyrer, Babylonier, Sumerer (a. d. Engl., 1976);
 A. L. Oppenheim: Ancient Mesopotamia (Chicago, Ill., 21977).
 
Kunst:
 
W. Orthmann: Der Alte Orient (1975);
 
P. Amiet: Die Kunst des Alten Orient (a. d. Frz., 1977);
 
Sumer, Assur, Babylon. Ausst.-Kat., bearb. v. K. Ådahl u. a. (1978);
 
S. Lloyd: Die Archäologie Mesopotamiens (a. d. Engl., 1981);
 
Babylon. Kunstschätze zw. Euphrat u. Tigris, bearb. v. M. V. Seton-Williams (a. d. Engl., 1981);
 
J. Börker-Klähn: Altvorderasiat. Bildstelen u. vergleichbare Felsreliefs, 2 Bde. (1982);
 
E. Heinrich: Die Paläste im alten Mesopotamien (1984);
 
A. Moortgat: Die Kunst des Alten Mesopotamien, Bd. 2: Babylon u. Assur (Neuausg. 1984).
 
Literatur:
 
W. von Soden: Zweisprachigkeit in der geistigen Kultur Babyloniens (Graz 1960);
 R. Borger: Hb. der Keilschriftlit., 3 Bde. (1967-75);
 E. Reiner: Die akkad. Lit., in: Altoriental. Lit., hg. v. W. Röllig (1978).
 
Musik:
 
M. Wegner: Die Musikinstrumente des Alten Orients (1950);
 
W. Stauder: Die Harfen u. Leiern Vorderasiens in babylon. u. assyr. Zeit (1961);
 
W. Stauder: Oriental. Musik. In: Hb. der Orientalistik, 1. Abt., Erg.-Bd. 4 (Leiden 1970);
 
H. M. Kümmel: Zur Stimmung der babylon. Harfe, in: Orientalia, Jg. 39 (Rom 1970).
 
 
J. van Dijk: Sumer. Religion, sowie J. Læssøe: Babylon. u. assyr. Religion, in: Hb. der Religionsgesch., hg. v. J. P. Asmussen u. a., Bd. 1 (a. d. Dän., 1971);
 
D. O. Edzard: Mesopotamien, in: Wb. der Mythologie, hg. v. H. W. Haussig, Abt. I, Bd. 1 (21983).
 
 
M. Levey: Chemistry and chemical technology in Ancient Mesopotamia (London 1959);
 
K. Vogel: Vorgriech. Mathematik, Bd. 2: Die Mathematik der Babylonier (1959);
 
B. L. van der Waerden: Erwachende Wiss., Bd. 2: Die Anfänge der Astronomie (a. d. Niederl., 1968).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Mesopotamien und Kleinasien: Städte, Staaten, Großreiche
 
altbabylonische und kassitische Tempel
 
assyrischer Palast
 
Babylon: Das Ischtartor
 
babylonisch-assyrische Wissenschaft: Im Zeichen der Sterne
 
babylonische Musik: Die Laute und Trommel
 
Felsreliefs an Wasserläufen und Passstraßen Mesopotamiens
 
Kalach, Dur-Scharrukin und Ninive: Die episch erzählende Reliefkunst
 
Zikkurat: Von der Tempelterrasse zum Stufenturm
 

Universal-Lexikon. 2012.