Akademik

Tristan
Trịstan,
 
Hauptgestalt eines im Mittelalter in weiten Teilen Europas verbreiteten Stoffkreises der epischen Dichtung. Die Erzählung von der durch einen Liebestrank bewirkten leidenschaftlichen Liebe zwischen Tristan und Isolde, die mit Tristans Onkel Marke verheiratet ist, ist wahrscheinlich keltischen Ursprungs. Die tatsächlich überlieferten kymrischen (walisischen) und irischen Erzählungen erlauben aber nicht, eine geschlossene keltische Tristan-Dichtung romanhaften Umfangs zu rekonstruieren. Für die Entwicklung der Tristan-Dichtung sind neben keltischen Elementen international verbreitete Märchen- und Schwankmotive, antike Sagen und vielleicht auch orientalische Dichtungen (Wis und Ramin) wichtig geworden. Der Tristan-Roman ist erst im 12. Jahrhundert in Frankreich entstanden (die von der Forschung postulierte »Estoire«). Eine relativ altertümliche Form weist der Tristan-Stoff noch bei Berol auf (spätes 12. Jahrhundert), ebenso wie in der ältesten deutschen Tristan-Version, dem »Tristrant« Eilharts von Oberg (etwa 1170). Seine klassische Gestaltung hat der Stoff im Kontext der höfischen Kultur durch Thomas d'Angleterre etwa um 1170 und, auf ihm fußend, durch Gottfried von Strassburg um 1210 erhalten. Die weiteste Verbreitung fand der französische »Tristan en prose« (seit etwa 1230), in dem der Tristan-Stoff mit dem Artuskreis verbunden worden ist, wie dann auch in der italienisch »Tavola ritonda« (um 1300) und in T. Malorys »Le morte Darthur« (entstanden 1469/70). In Deutschland wurde der französische Prosaroman kaum rezipiert: Der deutsche Prosaroman von »Tristrant und Isalde« (erster Druck 1484) beruht - wie schon im 13. Jahrhundert die höfischen Tristan-Fortsetzungen in Versen durch Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg - auf dem »Tristrant« Eilharts. Er ist die Grundlage für sechs Meisterlieder (1551 und 1553) und eine »Tragedia« (1553) von H. Sachs. Neben den episch-romanhaften Ausformungen des Tristan-Stoffes gibt es episodische Gedichte, vielfach schwankhaften Inhalts, so zwei französische von der Narrheit Tristans (spätes 12. Jahrhundert). - Innerhalb der neuzeitlichen Tristan-Rezeption steht R. Wagners Oper »Tristan und Isolde« (Text vom Komponisten, Uraufführung 10. 6. 1865 in München) im Mittelpunkt. Andere Versuche, v. a. in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, den mittelalterlichen Roman in die dramatische Form umzusetzen, konnten sich nicht auf der Bühne behaupten. Besonders zahlreich sind Neugestaltungen des Tristan-Stoffes durch englische Dichter des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (u. a. A. Tennyson, A. C. Swinburne, T. Hardy, E. A. Robinson).
 
Ausgabe: T und Isold. Originaltext (nach F. Ranke), bearbeitet von W. Spiewok (21991).
 
Literatur:
 
P. Wapnewski: T., der Held Richard Wagners (1981);
 
La légende de T. au moyen âge, hg. v. D. Buschinger (Göppingen 1982);
 
T.-Studien. Die T.-Rezeption in den europ. Literaturen des MA., hg. v. D. Buschinger u. a. (1993);
 A. Keck: Die Liebeskonzeption der mittelalterl. T.-Romane. Zur Erzähllogik der Werke Bérouls, Eilharts, Thomas' u. Gottfrieds (1998).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nibelungenlied und Tristan: Die Infragestellung des höfischen Modells
 

Universal-Lexikon. 2012.