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Entmythologisierung
Ent|my|tho|lo|gi|sie|rung 〈f. 20; unz.〉 das Entmythologisieren ● \Entmythologisierung der Bibel

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ent|my|tho|lo|gi|sie|ren <sw. V.; hat (bildungsspr.):
mythische od. irrationale Vorstellungen, die mit etw. verknüpft sind, beseitigen.
Dazu:
Ent|my|tho|lo|gi|sie|rung, die; -, -en.

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Entmythologisierung,
 
ein von R. Bultmann in seinem Aufsatz »Neues Testament und Mythologie« (1941) zum Programm erhobener, auf den Philosophen H. Jonas zurückgehender Begriff; sprachlich wenig glücklich (gemeint ist: Entmythisierung), fordert das hermeneutisch-exegetische Prinzip einer Entmythologisierung des Neuen Testaments die interpretierende Überwindung der mythischen Vorstellungen neutestamentlicher Texte, um deren eigentlichen Gehalt (Kerygma) dem modernen Menschen verstehbar zu machen. Mythos definiert Bultmann als »weltliche« Rede vom »Unweltlichen«, die objektivierte, d. h. in eine historische Form gekleidete Rede von einem nichtobjektivierbaren Transzendenten. Zum heute überholten mythischen Weltbild der Antike gehören nach Bultmann etwa die Vorstellungen, die Welt bestehe aus den drei »Stockwerken« Himmel, Erde und Unterwelt (Hölle), die Geschichte sei ein Kampfplatz überweltlicher Mächte (Engel, Dämonen), die den Menschen schützen beziehungsweise bedrohen, oder die Menschheit bedürfe eines stellvertretend sterbenden, vom Tode auferstehenden und als Weltenrichter wiederkehrenden Erlösers. Bultmann und seine Schule wollen aus der Zeitgebundenheit biblisch-mythologischer Rede die zeitlos gültige, den Menschen auch heute noch treffende und ihn zur Eigentlichkeit seines Daseins führende Wahrheit des Wortes Gottes herausarbeiten (»existenziale Interpretation«). Dieses Ziel eignet, längst vor Bultmann und auch ohne den Terminus »Entmythologisierung«, jeder die Bibel auslegenden Predigt. Entmythologisierung wird illegitim, wo sie mit dem Mythos das Kerygma beseitigt und rationalistischer Hyperkritik Vorschub leistet. Religions- und Tiefenpsychologie haben gezeigt, dass Mythos und Dichtung Erfahrungen des religiösen Bereichs zutreffender wiedergeben können als die entmythologisierende Reduktion der entsprechenden biblischen Aussagen (Schöpfung, Sündenfall, Schutzengel, Erlösung, Opfertod, Gericht). Die wissenschaftliche Diskussion der Entmythologisierung hat heute die Leidenschaftlichkeit der zwischen 1941 und 1960 geführten Debatte verloren, ist auch keine konfessionelle Frage mehr.
 
Literatur:
 
Kerygma u. Mythos, hg. v. H.-W. Bartsch, 7 Bde. (1948-79);
 F. Gogarten: E. u. Kirche (41966);
 E. Fuchs: Programm der E. (31967);
 R. Marlé: Bultmann u. die Interpretation des N. T. (a. d. Frz., 21967);
 
Die Frage der E., bearb. v. K. Jaspers u. R. Bultmann (Neuausg. 1981).

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Ent|my|tho|lo|gi|sie|rung, die; -, -en [nach dem Begriff der Entmythologisierung bei dem dt. ev. Theologen R. Bultmann (1884-1976), d. h. Betrachtung der christlichen Botschaft losgelöst vom Mythos u. ihre Erschließung für das moderne Verständnis]: das Entmythologisieren, Entmythologisiertwerden: Die Züge von E. und Humanität, welche die Menschheit im bürgerlichen Zeitalter aufweist (Adorno, Prismen 84).

Universal-Lexikon. 2012.