Jạspers,
Karl, Philosoph und Psychiater, * Oldenburg (Oldenburg) 23. 2. 1883, ✝ Basel 26. 2. 1969; Studium der Medizin in Berlin, Göttingen und Heidelberg, danach Assistent an der psychiatrischen Klinik in Heidelberg, seit 1916 Professor für Psychologie in Heidelberg, seit 1920 für Philosophie ebenda, unter dem Nationalsozialismus Lehrverbot (1933-45), weil seine Ehefrau Jüdin war; nach Kriegsende wieder Professor in Heidelberg. Aus Enttäuschung über die politische Entwicklung verließ Jaspers Deutschland und war 1948-61 Professor für Philosophie in Basel. Jaspers erhielt 1958 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1959 den Erasmuspreis. - Jaspers war auf drei Gebieten tätig: 1) der Psychiatrie, 2) der Philosophie, 3) als politischer Schriftsteller. Im Zentrum aller seiner Aktivitäten stand jedoch seine Philosophie der möglichen Existenz.
Zunächst schuf Jaspers eine geisteswissenschaftlich orientierte Psychopathologie des »einfühlenden Verstehens« (»Allgemeine Psychopathologie«, 1913). Bereits mit dem von W. Dilthey und M. Weber beeinflussten Versuch einer Typologie der möglichen Weltanschauungen (»Psychologie der Weltanschauungen«, 1919) wandte er sich aus der Erfahrung der Begrenztheit und Ergänzungsbedürftigkeit rationalwissenschaftlicher Welterkenntnis der Existenzphilosophie zu. In seinem ersten philosophischen Hauptwerk, das er »Philosophie« (1932, 3 Bände) betitelte, greift er die drei großen Themenfelder traditioneller Philosophie - Welt, Seele (Existenz) und Gott - auf und zeigt deren Verknüpftheit sowie ihre je spezifische Zugangsweise: Die »philosophische Weltorientierung« klärt die Kategorien der sich dem Menschen als unbegreiflich und nicht wissenschaftlich fassbar darstellenden Realität und steckt die Grenzen menschlichen Wissens ab. In der »Existenzerhellung«, zu der der Mensch über die Erfahrung von Grenzsituationen wie Schuld, Leiden und Tod gelangt, werden die Signa der Existenz (z. B. Kommunikation, Geschichtlichkeit, Freiheit) herausgestellt; Existenz wird dabei als getragen durch etwas »Umgreifendes«, Transzendentes bewusst gemacht. Die »Metaphysik« thematisiert schließlich die Chiffren der Transzendenz als das menschlichem Fragen sich darbietende Absolute, wie Gott, Eines oder Ursprung. Die Methode seines Philosophierens, die den Übergang von einem zum anderen Bereich ermöglicht, nennt Jaspers »Transzendieren«. Mögliche Existenz kann nur in der Form indirekter Mitteilung beziehungsweise appellierend angesprochen und in der Kommunikation mit dem Anderen verwirklicht werden.
In seinem zweiten philosophischen Hauptwerk, »Von der Wahrheit« (1947), erweitert und vertieft Jaspers seine Philosophie der möglichen Existenz zu einer Lehre vom Umgreifenden (»Periechontologie«) und stellt dabei Existenz und Vernunft als die Pole unseres Seins heraus, die in allen Weisen des Umgreifenden (Dasein, Bewusstsein überhaupt, Geist, Welt, Existenz und Transzendenz) sich begegnen. Beide sind wechselweise aufeinander angewiesen: »Existenz wird nur durch Vernunft sich hell; Vernunft hat nur durch Existenz Gehalt.«
Jaspers kennzeichnet sein Philosophieren, das sich ausdrücklich zur Philosophia perennis bekennt und den Dialog mit den »Großen Philosophen« und die geschichtliche »Aneignung« ihres Philosophierens sucht, als »philosophischen Glauben«, das heißt als einen Glauben, der sich nicht auf die Offenbarung und das Dogma stützt, sondern immer im Bunde mit dem Wissen ist, der sich mit I. Kant der prinzipiellen Grenzen der wissenschaftlichen Welterkenntnis bewusst ist, der aber zugleich weiß, dass das Denken nicht dort aufzuhören braucht, wo die wissenschaftliche Erkenntnis nicht hinreicht, vielmehr sich dort anderer Methoden der Vergewisserung und Wahrheitsfindung bedienen kann.
Der zutiefst ethische Charakter des Philosophierens von Jaspers führte insbesondere nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zu einem engagierten politischen Schriftstellertum. Jaspers' Maxime lautete: »Philosophie und Politik sollten sich treffen«; denn die Philosophie der Freiheit muss sich in der Politik bewähren. Letztes Kriterium aller politischen Kritik von Jaspers, die sich besonders gegen die totalitären Systeme und die freiheitsgefährdende Atom- und Blockpolitik der Weltmächte, aber auch gegen politische Vorgänge in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg richtete (in »Die Schuldfrage«, 1946, über die Frage einer kollektiven Kriegsschuld der Deutschen; in »Wohin treibt die Bundesrepublik?«, 1966, u. a. zur Entwicklung oligarchischer Regierungsstrukturen), ist die Wahrung der (existenziellen und politischen) Freiheit.
Nach Jaspers' Tod an den deutschen Universitäten zunächst weitgehend in Vergessenheit geraten, erfuhr sein philosophisches Denken seit den 80er-Jahren - auch international - wieder zunehmende Würdigung, wobei v. a. auch das Verhältnis von Jaspers und M. Heidegger, die seit 1920 freundschaftlich verbunden waren, nach 1933 aber auch durch Heideggers politisches Verhalten getrennte Wege gingen, großes Interesse fand.
Weitere Werke: Die geistige Situation der Zeit (1931); Vernunft und Existenz (1935); Nietzsche (1936); Existenzphilosophie (1938); Der philosophische Glaube (1948); Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (1949); Einführung in die Philosophie (1950); Rechenschaft und Ausblick (1951); Die Atombombe und die Zukunft des Menschen (1958); Philosophie und Welt (1958); Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung (1962); Die großen Philosophen, 3 Bände (1957-64); Hoffnung und Sorge (1965); Antwort (1967); Chiffren der Transzendenz (herausgegeben 1970); Notizen zu Martin Heidegger (herausgegeben 1978).
Ausgaben: Martin Heidegger und K. Jaspers Briefwechsel. 1920-1963, herausgegeben von W. Biemel und H. Saner (1992); Hannah Arendt und K. Jaspers Briefwechsel 1926-1969, herausgegeben von L. Köhler und H. Saner (Neuausgabe 1993).
K. J., hg. v. P. A. Schilpp (a. d. Engl., 1957);
R. Wisser: Verantwortung im Wandel der Zeit (1967);
R. Wisser: K. J.: Philosophie in der Bewährung. Vorträge u. Aufsätze (21995);
K. J. in der Diskussion, hg. v. H. Saner (1973);
Erinnerungen an K. J., hg. v. K. Piper (1974);
J. Hersch: K. J. (a. d. Frz., 1980);
F. P. Burkard: K. J. (1985);
K. Salamun: K. J. (1985);
K. J. Philosoph, Arzt, polit. Denker, hg. v. J. Hersch u. a. (1986);
Y. Örnek: K. J. Philosophie der Freiheit (1986);
H. Saner: K. J. Mit Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (38.-40. Tsd. 1991).
Universal-Lexikon. 2012.