Akademik

Chemienobelpreis 1959: Jaroslav Heyrovský
Chemienobelpreis 1959: Jaroslav Heyrovský
 
Der tschechische Chemiker erhielt den Nobelpreis für die »Entdeckung und Entwicklung der polarographischen Analysemethode«.
 
 Biografie
 
Jaroslav Heyrovský, * Prag 20. 12. 1890, ✝ Prag 27. 3. 1967; ab 1924 Professor an der Karls-Universität in Prag, dort Direktor des Instituts für Physikalische Chemie, während des Zweiten Weltkriegs Fortsetzung der Arbeit im besetzten Prag, ab 1950 Leiter des neu gegründeten Polarographie-Institutes der Karls-Universität (später Heyrovsky-Institut); Arbeiten über die Analysemethode »Polarographie«.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Oft war es in der Chemie ein augenscheinlich kleines Problem, dessen Lösung eine völlig neue Methode eröffnete, um Substanzen genau zu analysieren. So auch im Fall von Jaroslav Heyrovský. Als der tschechische Chemiker Bohumil Kučera von der Prager Karls-Universität seinen Mitarbeiter Heyrovský darum bat zu untersuchen, weshalb Quecksilber so unregelmäßig aus kleinen Glasröhrchen tropft, ahnte niemand, dass sich daraus eine Methode entwickeln würde, mit der man unter Zuhilfenahme von elektrischem Strom Verbindungen analysieren konnte. Und doch sollte der junge Chemiker aufgrund dieser Methode rund 40 Jahre später den Nobelpreis erhalten. Polarographie nennen Wissenschaftler das Verfahren, das Heyrovský 1922 entwickelte. Seine gesamte weitere wissenschaftliche Laufbahn widmete der Forscher der Weiterentwicklung dieses neuen Zweigs der Elektrochemie.
 
 Besinnung auf frühere Experimente
 
Wie es wohl jeder Wissenschaftler an seiner Stelle getan hätte, wog Jaroslav Heyrovský zunächst einmal die Quecksilbertropfen, die aus einer Glaskapillare herausquellen. Diese Methode war jedoch nicht so ergiebig, wie er sich das vorgestellt hatte, und er kam nur sehr langsam voran. Da er bereits während seiner Doktorarbeit in England bei William Ramsay (Nobelpreis 1904) und Frederick Donnan kontinuierlich tropfendes Quecksilber benutzt hatte, um Aluminium zu analysieren, versuchte er die damaligen Experimente auf seine neue Arbeit zu übertragen.
 
Damals hatte er die Quecksilbertropfen benutzt, um Strom zu leiten. Wie jedes andere Metall auch leitet Quecksilber Elektrizität. Im Gegensatz zu anderen Metallen ist Quecksilber aber bei Raumtemperatur flüssig und kann daher auseinem Glasröhrchen auf den Boden eines Versuchsgefäßes tropfen. Jaroslav Heyrovský legte eine Spannung an das Quecksilber im Glasröhrchen und an das Quecksilber, das sich aus den Tropfen am Boden des Gefäßes sammelt. Da er die Tropfen nicht durch die Luft, sondern durch eine Salzlösung zu Boden fallen ließ, floss ein elektrischer Strom. Und dieser hängt von der Dicke des Quecksilbertropfens am Ende des Glasröhrchens ab, lehrt die Physik. Statt Tropfen zu wiegen, konnte Jaroslav Heyrovský einfach den Stromfluss ablesen, um die Dicke des Quecksilbertropfens zu bestimmen.
 
Aber auch die Salze in der Wasserlösung beeinflussen den Stromfluss. Je mehr Salz in der Lösung ist, umso stärker ist der Stromfluss bei steigender elektrischer Spannung. Das wusste man schon vor den Untersuchungen Heyrovskýs aus Experimenten mit normalen Elektroden aus Platin, zwischen denen elektrischer Strom durch eine Lösung fließt. An dieses Platin aber heften sich alle möglichen Substanzen und verfälschen so die Messung. Deshalb konnte mit solchen Elektroden niemand feststellen, wie sich der Stromfluss genau ändert.
 
 Eine Methode zur Messung des elektrischen Stroms: die Polarographie
 
Ganz anders die Situation dagegen bei den Quecksilbertropfen, die Jaroslav Heyrovský als Elektroden benutzte. Nach wenigen Sekunden fielen sie zu Boden und ein neuer Tropfen mit völlig reiner Oberfläche erschien. Verschmutzungen der Oberfläche, die das Experiment verändern könnten, kamen daher nicht mehr vor. Erstmals konnte der tschechische Chemiker genau messen, wie sich der Stromfluss in einer Lösung bei wachsender Spannung verhält: Er steigt wahrnehmbar auch bei geringsten Mengen an Salz in der Lösung an.
 
Richtig interessant wird die ganze Messung, wenn sich verschiedene Arten von Salzen in der Lösung befinden. Dann verändert sich der Stromfluss stufenweise, weil jede der Verbindungen bei einer bestimmten Spannung Elektronen abgibt, die den Strom in der Lösung weiterleiten. Es sind praktisch immer die Metalle in den Verbindungen, die Elektronen verlieren. Das beginnt bei niedriger Spannung bei demjenigen Metall, das sich am leichtesten von seinen Elektronen trennt. Zunächst sind nur einzelne Atome dieses Metalls betroffen. Steigt die Spannung, verlieren immer mehr solcher Metallatome ihre Elektronen, der Stromfluss steigt weiter. Besonders in der Nähe der Elektroden, die Elektronen aufnehmen, verarmt die Lösung mit der Zeit zunehmend an denjenigen Metallatomen, die am leichtesten Elektronen abgeben. Wenn keine weiteren Atome Elektronen zur Verfügung stellen, wächst der Stromfluss auch bei steigender Spannung nicht mehr weiter. Die Chemiker berechnen nun die Differenz zwischen der Spannung, bei der die ersten Elektronen abgegeben werden und derjenigen, bei der keine Zunahme des Stromflusses mehr stattfindet. Je größer diese Differenz ist, umso mehr der entsprechenden Metallatome befinden sich in der Lösung. Anders formuliert: Die Konzentration von metallhaltigen Salzen kann so über die Stromkurve bestimmt werden.
 
Irgendwann erreicht die Spannung einen Wert, bei dem die Atome eines anderen Metalls ihre Elektronen verlieren. Erneut gibt es nun Elektronen, die den Stromfluss erhöhen. Dieser wächst mit steigender Spannung solange, bis die Lösung an den zweiten Metallatomen verarmt. Wieder nimmt er dann bei wachsender Spannung nicht weiter zu, bis die Spannung erreicht wird, bei der die Atome eines dritten Metalls ihre Elektronen verlieren. Demnach kann man mit der Polarographie auch die Konzentration verschiedener Metalle oder Salze bestimmen.
 
1924 baute Heyrovský den ersten Polarographen, der den Verlauf solcher Spannungskurven automatisch registrieren konnte.
 
 Anwendungen der Polarographie
 
Da solche Messungen bereits bei sehr geringen Salzmengen funktionieren, kann man sie zum Beispiel auch benutzen, um die Konzentration bestimmter Spurenelemente im Blut zu bestimmen. Durch Jaroslav Heyrovský und die von ihm entwickelte Polarographie wurde daher auch manche medizinische Untersuchung beschleunigt und zuverlässiger gemacht.
 
Die Spannung, bei der ein bestimmtes Metall seine Elektronen abgibt, ist charakteristisch für das jeweilige Element. Deshalb gibt diese Spannung auch Auskunft darüber, welches Metall sich in der Lösung befindet. Die Polarographie kann also auch dazu dienen, Metalle oder Verbindungen zu identifizieren.
 
R. Knauer, K. Viering

Universal-Lexikon. 2012.