Karäer
[hebräisch qạrạ'îm, wohl »Leute der (heiligen) Schrift«, zu qạrạ̄ »lesen«, »zitieren«, »verkünden«], im mesopotamischen Judentum des 8. Jahrhunderts unter Anan ben David (um 760-770) entstandene jüdische Sondergemeinschaft. Sie hatte großen Zulauf und umfasste in der Folge weite Teile des orientalischen Judentums. In Konkurrenz zum rabbinischen Judentum tretend, erkannten die Karäer allein die hebräische Bibel an und lehnten die »mündliche Thora« (Mischna und Talmud) - und damit die Autorität der Rabbinen - ab. Die Karäer entwickelten eine vom Talmud unabhängige Gesetzestradition mit zum Teil strengeren Bestimmungen (Beschneidung, Ehe zwischen Verwandten, Sabbatruhe, rituelle Reinheit). Teile der Karäer vertraten eine strenge asketische Frömmigkeit, andere übernahmen für ihre Kritik des rabbinischen Judentums Bildungstraditionen aus dem Islam und trugen so zur Entwicklung einer jüdischen Philosophie bei; maßgeblich wurde ihre Pflege der biblischen Textüberlieferungen (Masora) und des Hebräischen. Durch die rabbinischen Autoritäten, den Gaon Saadja und M. Maimonides, im Orient mehr und mehr verdrängt, wurden Ende des 11. Jahrhunderts Konstantinopel, später auch die Krim (13. Jahrhundert) und Litauen (14. Jahrhundert) zu Zentren der Karäer wie im Russischen Reich (1897 rd. 12 900 Karäer), galten die Karäer auch während der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa nicht als Juden. Ihr Schicksal in der Sowjetunion nach 1945 (Deportation zusammen mit den Krimtataren) ist weithin ungeklärt. Heute (1996) leben die meisten Karäer in Israel (rd. 12 000), dazu wohl noch wenige Hundert (?) in der Türkei (Istanbul) und in Polen sowie eine geringe Zahl in der südlichen Ukraine; eine kleine karäische Gemeinde besteht in Litauen (Trakai, westlich von Vilnius).
J. Fürst: Gesch. des Karäerthums, 3 Bde. (1862-69, Nachdr. 1975, 1 Bd.);
S. Szyszman: Das Karäertum (a. d. Frz., Wien 1983);
A.-Y. Ya'qūb al-Qirqisānī u. a.: On Jewish sects and christianity (a. d. Arab., Frankfurt am Main 1984);
Das Gute behaltet. Kirchen u. religiöse Gemeinschaften in der Sowjetunion u. ihren Nachfolgestaaten, hg. v. H.-C. Diedrich u. a. (1996).
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Ka|rä|er, der; -s, - [hebr. qạrạ'îm, eigtl. = die Biblischen, zu: qạrạ̄ = lesen, zitieren, verkünden]: Angehöriger einer (Anfang des 8. Jh.s in Persien gegründeten) jüdischen Sekte, die nur das A. T., nicht aber den Talmud anerkennt.
Universal-Lexikon. 2012.