Kernstruktur,
die durch Angabe aller messbaren oder gemessenen Eigenschaften eines Atomkerns oder Nuklids charakterisierte Struktur, insbesondere die innere, durch Quantenzahlen beschriebene Struktur der einzelnen Kernzustände. Zur Kernstruktur gehören neben der Angabe der Kernladungs- und Neutronenzahl sowie der Kernmasse u. a. die Dichteverteilungen der Protonen (Ladungsverteilung) und der Neutronen. Die Ladungsverteilung lässt sich sehr genau durch Elektronenstreuung bestimmen, die Neutronenverteilung weniger genau und weniger eindeutig durch Streuung von Teilchen, die der starken Wechselwirkung der Kernkräfte unterliegen. Beide Verteilungen genügen sehr genau der so genannten Woods-Saxon-Verteilung
bei der ρ (r) die Dichte im Abstand r vom Mittelpunkt und ρ (0) die Dichte im Zentrum ist. R ist derjenige Abstand vom Zentrum, in dem die Verteilung auf den halben Wert abgefallen ist und der als (mittlerer) Kernradius bezeichnet wird, a ein Parameter, der die Diffusität (»Verbreiterung«) der Kernoberfläche charakterisiert. Aus den Messungen an schweren Kernen ergeben sich für die Parameter die Werte R = 1,1 · A1/3 fm und a = 0,6 fm (1 fm = 10-15 m). Dabei ist A die Massenzahl des Kerns. Aus der linearen Abhängigkeit des mittleren Kernradius von A1/3 folgt, dass die mittlere Dichte eines Kernes unabhängig von seiner Größe ist, was auf den Sättigungscharakter der Kernkräfte hinweist. Der angegebene Wert von R gilt für die Protonenverteilung, für die Verteilung der Neutronen ist er etwa 0,1 bis 0,2 fm größer.
Ein Kern ist ein quantenmechanisches System, dessen innere Eigenschaften z. B. in Form eines Diagramms (des Energieniveau- oder Termschemas) dargestellt werden, in dem die Quantenzustände zusammen mit allen messbaren Größen aufgeführt sind: Von diesen sind besonders Energie, Drehimpuls und Parität von Bedeutung. Die Energie wird im Allgemeinen vom niedrigsten Zustand, dem Grundzustand, aus gemessen und in Mio. Elektronenvolt (MeV) angegeben. Die Werte der Drehimpulse (Symbol J) sind für Kerne mit ungeradem A halbzahlig, für Kerne mit geradem A ganzzahlig (g-g-Kerne); das Quadrat des Drehimpulses ist J (J + 1) h̶2, wobei h̶ = h / 2 π gilt, mit h als planckschem Wirkungsquantum. Die Grundzustände aller Kerne mit gerader Neutronen- und Protonenzahl haben den Drehimpuls J = 0. Die Parität (Symbol π) ist ein rein quantenmechanischer Begriff, der die Transformationseigenschaften des betrachteten Systems unter der Inversion der Koordinaten, r → —r, beschreibt. Die Parität ist entweder positiv (+) oder negativ (—).
Weitere wichtige messbare Eigenschaften sind die Intensitäten elektromagnetischer Übergänge zwischen zwei Energieniveaus. Kerne können ebenso wie Atome unter Aussendung eines Photons (Gammaquants) aus einem Zustand höherer Energie in einen Zustand niedrigerer Energie übergehen. Diese Übergänge sind entweder magnetisch (M) oder elektrisch (E), mit der Multipolarität l = 0, 1, 2,. .. Die elektromagnetischen Übergänge genügen bestimmten, von den Drehimpulsen und Paritäten abhängenden Auswahlregeln, die die Stärke der einzelnen Übergänge bestimmen. Für elektrische Übergänge der Multipolarität l müssen die Paritäten von Ausgangs- (i) und Endzustand (f) der Bedingung πiπf = (—1)l genügen. Für magnetische Übergänge ist die entsprechende Bedingung πiπf = (—1)l + 1. Die mögliche Multipolarität eines Übergangs wird durch die Beziehung |Ji — Jf| ≦ l ≦ |Ji + Jf| beschränkt. Danach ist ein elektrischer Dipolübergang, auch als E1-Übergang bezeichnet (l = 1), zwischen einem Zustand mit = 2+ und einem Zustand mit = 0+ nicht erlaubt. Dagegen ist ein gleichartiger Übergang zwischen zwei Zuständen mit = 1- und = 0+ möglich. Andere gemessene Größen von Kernzuständen sind ihre statischen (magnetischen oder elektrischen) Kernmomente.
Universal-Lexikon. 2012.