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Palestrina
I
Palestrina,
 
Stadt in der Provinz Rom, in Latium, Italien, 465 m über dem Meeresspiegel, am Fuß der Monti Prenestini, 16 600 Einwohner; Bischofssitz; Archäologisches Museum; Marktort.
 
Stadtbild:
 
Die reichen Funde (Grabbeigaben) aus den Fürstengräbern (Tomba Bernardini und Tomba Barberini, beide Mitte 7. Jahrhundert v. Chr.) sind wohl südetruskischer Herkunft (Caere). Im 4.-3. Jahrhundert v. Chr. besaß Palestrina bedeutende Bronzewerkstätten (gravierte Spiegel, praenestinische Cisten). Wohl in den letzten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde ein Neubau des alten Fortunaheiligtums errichtet: eine monumentale symmetrische Anlage auf mehreren künstlich angelegten Terrassen über einem Sockel am Westhang der Sabiner Berge (Monte Ginestro); oberer Abschluss ist ein halbkreisförmiger Portikus, der als Umgang über einem 10 m hohen runden Stufenbau (Theater) errichtet ist mit einem dahinter liegenden, leicht in den Portikus einschneidenden kleinen Rundbau, in dem das Kultbild der Fortuna Primigenia stand. In den Portikus eingebaut ist der Palazzo Colonna Barberini (11. Jahrhundert, 1493 erneuert, 1640 erweitert; heute Archäologisches Museum). Das Fortunaheiligtum gilt als bedeutendste Schöpfung der hellenistischen Architektur in Italien. Über die Gesamtanlage konnten erst nach Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs und damit mögliche Ausgrabungen (1952-55, 1962-68) genauere Vorstellungen gewonnen werden. Nahebei lag das Forum (heute Piazza Regina Margherita mit der Kirche Sant' Agapito, die über einem Tempel - vielleicht der Juno - liegt). Den Substruktionen der untersten Terrasse war in voller Breite ein zweigeschossiger Portikus vorgeblendet, zwei verdeckte Rampen führten hinauf und mündeten bei der axialen Mitteltreppe der Gesamtanlage. Auf der Terrasse lag, früher als »sakraler Bereich« bezeichnet, eine große profane Basilika (für Handel und städtische Verwaltung), heute stehen hier die Kathedrale sowie eine hellenistisch-römische Grottenanlage, die »Orakelhöhle«, die jedoch ein Nymphäum war (das berühmte Losorakel von Praeneste befand sich vermutlich auf der obersten Terrasse). Auf der »Terrasse der Excedren« (Hemizyklen, Apsiden) liegt ein großer Kultsaal, der an der Rückseite zwei Excedren mit Podium hat. In diesem »Apsidensaal« war vermutlich das berühmte Nilmosaik (Ende 2. Jahrhundert v. Chr.; Archäologisches Museum von Palestrina) verlegt. Möglicherweise wurde hier auch Isis verehrt. Bei der östlichen Apsis lag ein runder Brunnenbau, vielleicht mit Fortunastatue (er ist rekonstruiert und steht im Museumshof). Darüber liegt ein weiterer Platz, er war von Portikushallen umgeben, am Berg öffnete sich das Theater, über dessen 10 m hohem Halbrund sich der halbrunde Portikusbau befindet.
 
Geschichte:
 
Palestrina, das auf das latinische, später römische Praenẹste zurückgeht (90 v. Chr. Municipium), war im Mittelalter zwischen den Päpsten und den Colonna umstritten (häufige Zerstörungen der Stadt). Aufgrund einer Verständigung zwischen beiden wurde 1572 das Fürstentum Palestrina als päpstliches Lehen gebildet.
 
II
Palestrina,
 
Giovanni Pierluigi da, eigentlich G. Pi|erluigi [-lu'iːdʒi], italienischer Komponist, * Palestrina zwischen dem 3. 2. 1525 und dem 2. 2. 1526, ✝ Rom 2. 2. 1594. Palestrina war Chorknabe an Santa Maria Maggiore in Rom, ab 1544 sieben Jahre lang Organist und Kapellmeister in Palestrina, kam 1551 zurück nach Rom und wurde Kapellmeister an der zur Peterskirche gehörenden Cappella Giulia. Papst Julius III. berief ihn, obwohl er verheiratet war, 1555 in die Cappella Sistina, bald darauf wurde er jedoch unter Paul IV. aus eben diesem Grund wieder entlassen. Er ging als Kapellmeister an die Laterankirche, war 1561-66 an Santa Maria Maggiore tätig, wirkte kurze Zeit als Musiklehrer am Collegium Romanum, 1567-71 als Kapellmeister bei Kardinal Ippolito II. d'Este und ab 1571 bis zu seinem Tod wieder an der Peterskirche. In den 1560er-Jahren stand Palestrina als der führende Komponist der Römischen Schule in enger Verbindung zu den kirchenmusikalischen Reformbestrebungen des Konzils von Trient. Er soll mit seiner »Missa Papae Marcelli« (um 1562) die Konzilsmitglieder günstig gestimmt haben und damit zum »Retter der Kirchenmusik« geworden sein, was jedoch eine Legende ist. Immerhin wurden u. a. auch seine geistlichen Kompositionen, darunter möglicherweise eben diese besonders textverständlich angelegte Messe, unmittelbar nach dem Konzil begutachtet und im Sinne der neuen Prinzipien für würdig befunden.
 
Palestrina schrieb über 100 vier- bis achtstimmige Messen, teils über frei erfundene Themen, teils über geistliche oder (nur in wenigen Fällen) weltliche Cantus firmi, teils als Parodiemessen über geistliche Sätze als Vorlagen, ferner über 500 Motetten und über 100 Madrigale.
 
Palestrina repräsentiert, zusammen mit O. di Lasso, den Höhepunkt und Abschluss der Musik des 15. und 16. Jahrhunderts. Kennzeichnend für den Stil Palestrinas ist das vollendete Gleichgewicht aller musikalischen Elemente, eine Ausgewogenheit zwischen Horizontalität und Vertikalität, Linie und Klang, Polyphonie und Homophonie im Sinne einer Synthese zwischen frankoflämischem Kontrapunktik und italienischem Klangempfinden, zwischen rhythmischer Lebendigkeit und ruhigem Ebenmaß des metrischen Flusses mit behutsam zäsurierender Gliederung durch funktionale Kadenzen im vielstufig kirchentonalen Kontext, zwischen Deklamation und strömender Vokalität, ausdrucksvoller Textdarstellung und unmittelbarem Wohllaut. Besonders die Verständlichkeit und sinnbezogene Vertonung der Worte bei vollständiger imitatorisch kontrapunktischer Durchbildung sowie die strenge Dissonanzbehandlung innerhalb einer warmen, grundtönigen Dreiklangsbewegung und der maßvolle, überwiegend lyrisch fließende Grundcharakter ohne allzu scharfe Kontraste machten Palestrinas Musik zum Muster eines »wahren« und »reinen«, polyphon vokalen Kirchenstils mit dem Signum hoher Klassizität, eine Vorbildfunktion, die sie weit über ihre Zeit hinaus behalten sollte und die in der Palestrina-Renaissance des 19. Jahrhunderts (Caecilianismus) erneut wirksam wurde.
 
Als musikalische Technik im engeren Sinn und »Lehre vom strengen Satz« bildet der Palestrinastil - nach dem Vorbild von J. J. Fux' »Gradus ad Parnassum« (1725) - bis heute ein wichtiges Studienobjekt im Kompositionsunterricht und in der Theorie des Kontrapunkts.
 
Ausgaben: Le opere complete, herausgegeben von R. Casimiri und anderen, auf zahlreiche Bände berechnet (1939 ff.).
 
Werke, herausgegeben von T. de Witt und anderen, 33 Bände (1862-1907, Nachdruck 1968).
 
Literatur:
 
F. S. Kandler: Über das Leben u. die Werke des G. P. da P.. .. (1834);
 O. Ursprung: Restauration u. P.-Renaissance. .. (1924);
 K. Jeppesen: Der P.-Stil u. die Dissonanz (1925);
 K. G. Fellerer: Der P.-Stil u. seine Bedeutung in der vokalen Kirchenmusik des 18. Jh. (1929, Nachdr. 1972);
 K. G. Fellerer: P. (21960);
 K. G. Fellerer: P.-Studien (1982);
 E. Schmitz: G. P. da P. (Neuausg. Leipzig 1954);
 S. Hermelink: Dispositiones modorum. Die Tonarten in der Musik P.s. .. (1960);
 E. Apfel: Beitrr. zu einer Gesch. der Satztechnik von der frühen Motette bis Bach, Bd. 1 (1964);
 L. Bianchi u. K. G. Fellerer: G. P. da P. (Turin 1971);
 M. Heinemann: G. P. da P. u. seine Zeit (1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Bach- und Palestrina-Renaissance: Musik und ihre Geschichte
 
Dufay, Josquin, Lasso, Palestrina: Die Stellung des Komponisten
 

Universal-Lexikon. 2012.