Protẹstbewegungen,
Sammelbezeichnung für unterschiedlich stark strukturierte politische Bewegungen, die sich in der Ablehnung einer bestimmten politischen Entscheidung oder Maßnahme, einer politischen oder sozialen Tendenz oder einer soziokulturell oder ökonomisch bestimmten Entwicklung zusammenfinden und v. a. durch die Mobilisierung von Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern auf eine Änderung drängen. Gemeinsames Merkmal der Protestbewegungen ist die Berufung auf Menschen- und Bürgerrechte, d. h. die Strategie, durch die Wahrnehmung von Bürgerrechten (freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht) und begrenzte Gesetzesüberschreitungen (Blockaden, ziviler Ungehorsam) grundlegend allen Menschen zustehende Rechte einzuklagen oder Gefährdungen abzuwenden. In diesem Sinne stehen Protestbewegungen - auch wenn es in der Geschichte immer vielfältige Erscheinungen politisch, sozial oder ökonomisch motivierten Protests gegeben hat - in der Tradition der Aufklärung und entzünden sich in den westlichen Demokratien zumeist an politischen Entscheidungen oder gesellschaftlichen Entwicklungen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer politischen oder ethischen Überzeugungen ablehnen. Darüber hinaus können Protestbewegungen Ausdruck gefährdeter Gruppeninteressen sein. In autoritären und diktatorischen Staaten entstehen Protestbewegungen aus dem Bewusstsein mangelnder Kontrolle der Regierungsmacht sowie fehlender oder unzulänglicher Beachtung von Menschen- und Bürgerrechten (Widerstandsbewegung). Protestbewegungen sind so in modernen Gesellschaften häufig Anzeichen sozialer oder politischer Spannungen. Nach 1945 erlangten v. a. die Antiatombewegung der 1950er-Jahre, die Studentenbewegung der Jahre nach 1965, die Antikriegsproteste gegen den Einsatz amerikanischer Soldaten in Vietnam, aber auch die Demokratiebewegungen in Mittel- und Osteuropa seit 1956, nach 1968 und in den 1980er-Jahren (Bürgerbewegung) sowie die in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 sich entwickelnde ökologische Bewegung und die Friedensbewegung der 1980er-Jahre als Protestbewegung nachhaltigen Einfluss. Insoweit diese Protestbewegungen Ausdruck sich wandelnder Wertvorstellungen, sozialer Strukturveränderungen, des Generationswechsels und damit verbundener Legitimationsdefizite und Umstrukturierungen sind, fallen sie auch unter den Begriff neue soziale Bewegungen.
J. Habermas: P. u. Hochschulreform (31970);
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T. Balistier: Straßenprotest. Formen oppositioneller Politik in der Bundesrep. Dtl. zw. 1979 u. 1989 (1996);
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Universal-Lexikon. 2012.