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serielle Musik
seriẹlle Musik,
 
Kompositionstechnik und Stilphase innerhalb der Neuen Musik seit etwa 1950, die in konsequenter Weiterentwicklung der Reihentechnik der Zwölftonmusik (v. a. A. Webern) darauf abzielt, alle musikalischen Strukturelemente (Parameter) eines Werkes nach vorher festgelegten Gesetzmäßigkeiten (Zahlen-, Proportionsreihe) zu ordnen, sodass jeder Ton mit möglichst allen seinen Eigenschaften (z. B. Tonhöhe, Oktavlage, Tondauer, Klangfarbe, Lautstärke, Artikulation) sich aus dem einmal gewählten rationalen Ordnungsprinzip ergibt. Allerdings kann die Reihentechnik, die A. Schönberg nur zur Regelung von Tonhöhen- beziehungsweise Intervallfolgen vorsah, nicht ohne weiteres sinnvoll auf alle anderen Parameter eines Tones übertragen werden. So ist es unmöglich, z. B. für Tondauern und Tonstärken oder gar für Klangfarben und Artikulationsarten Reihenprinzipien aufzustellen, die sich zwingend aus einer der chromatischen (zwölfstufigen) Tonleiter vergleichbaren Skala ergeben. Anzahl und Stufenfolge solcher Elemente sowie deren Zuordnung zu den Elementen der übrigen Parameterreihen müssen daher willkürlich bestimmt werden, wie das folgende Beispiel einer Reihenordnung zeigt, in welchem die Tondauern leicht vermehrt werden könnten, die Tonstärkegrade akustisch kaum noch unterscheidbar sind und die Anschlagsarten ohnehin nur zehn Stufen enthalten:
 
Die Frage der Ausführbarkeit serieller Musik ist somit ein fast unlösbares Problem, das nur im Rahmen der elektronischen Musik entfällt. Daher entwickelte sich nach frühen radikalen Versuchen der punktuellen Musik, bei der jedem einzelnen Ton eine gleichwertige Bedeutung zukommt und der Tonsatz entsprechend dem gewählten Ordnungsprinzip mehr oder weniger automatisch durch das Zusammenspiel der Reihen entsteht (z. B. P. Boulez, »Structure I a«, 1952; K. Stockhausen, »Kontra-Punkte«, 1953), eine großflächiger angelegte serielle Kompositionsweise (statistische Musik), in der die einzelnen Töne zugunsten von Tongruppen (Tonmenge, Gruppendauer, Dichte, Umfang usw.) zurücktreten und nur die übergeordneten Eigenschaften des Tonsatzes im Voraus festgelegt sind, während die Beziehungen der Einzeltöne dem Reihenzwang entzogen sind, d. h. im Detail freie Ausgestaltung zulassen (Stockhausen, »Gruppen für drei Orchester«, 1957).
 
Die ersten Versuche serieller Komponisten (Stockhausen, Boulez, H. Pousseur, L. Nono) wurden angeregt durch das Klavierstück »Mode de valeurs et d'intensités« (1949/50) von O. Messiaen, das jeder Tonhöhe eine bestimmte Dauer, Stärke und Anschlagsart zuordnet, ohne damit reihenmäßig zu verfahren. Als extremes Ergebnis einer fortschreitenden Durchorganisation des musikalischen Materials zeitigte die serielle Musik alsbald einen Umschlag in ihr absolutes Gegenteil. Denn im hörbaren klanglichen Ergebnis ist total determinierte Musik von total undeterminierter nicht zu unterscheiden. Das ließ die streng serielle Phase rasch abklingen und förderte seit dem Ende der 1950er-Jahre neuartige Kompositionsexperimente, für die der Begriff postserielle Musik eingeführt wurde und die etwa dem Zufall (Aleatorik), der Collage und dem spontanen Einfall der Interpreten wieder breiteren Raum gewähren.
 
Literatur:
 
K. Stockhausen: Texte zur Musik, 6 Bde. (1-31963-89);
 H. Eimert: Grundlagen der musikal. Reihentechnik (Wien 1964);
 
Karlheinz Stockhausen, wie die Zeit verging, hg. v. H.-K. Metzger u. a. (1981);
 
Die Musik der fünfziger Jahre, hg. v. C. Dahlhaus (1985);
 Y. Höller: Fortschritt oder Sackgasse? Krit. Betrachtungen zum frühen Serialismus (1994);
 G. Nauck: Musik im Raum - Raum in der Musik. Ein Beitr. zur Gesch. der s. M. (1997).
 
Weitere Literatur: Neue Musik.

Universal-Lexikon. 2012.