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Staatshaftung
Staatshaftung,
 
Amtshaftung, die Verantwortlichkeit des Staates für Schäden, die Amtswalter (Beamte, Angestellte oder Arbeiter im öffentlichen Dienst) in Ausübung ihres Amtes bei einem Dritten verursachen. Das geltende Staatshaftungsrecht ist wenig übersichtlich; die gesetzlichen Regelungen werden durch richterrechtlich entwickelte Institute ergänzt. Der Versuch einer Kodifikation der Staatshaftung im Staatshaftungsgesetz vom 26. 6. 1981 ist wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes gescheitert.
 
Die Staatshaftung im engeren Sinn knüpft an die schuldhafte Verletzung einer den Schutz auch des geschädigten Dritten bezweckenden Amtspflicht durch einen Amtswalter gemäß § 839 BGB an. Handelt der Amtswalter hierbei hoheitlich (öffentlich-rechtlich), trifft die Verantwortlichkeit (d. h. die Schadensersatzpflicht) gemäß Art. 34 GG grundsätzlich den Staat, und zwar in der Regel die juristische Person des öffentlichen Rechts, die den Amtswalter angestellt beziehungsweise die ihm das Amt anvertraut hat. Die an sich in der Person des Amtswalters begründete Haftung wird also auf den Staat übergeleitet; gegen den Amtswalter selbst hat der geschädigte Dritte keinen Ersatzanspruch. Die Haftungsüberleitung auf den Staat ist spezialgesetzlich für einige Fälle ausgeschlossen, z. B. nach § 19 Bundesnotarordnung für die Notare; in diesen Fällen haftet der Amtswalter selbst. Bei bloß fahrlässiger Amtspflichtverletzung haftet der Staat nur, wenn der Geschädigte nicht von einem anderen Ersatz erlangen kann (§ 839 Absatz 1 Satz 2 BGB). Die Ersatzpflicht entfällt sogar, wenn der Geschädigte es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels - z. B. Einlegung eines Widerspruchs, Erhebung einer Klage - abzuwenden (§ 839 Absatz 3 BGB). Bei Amtspflichtverletzungen durch Richter greift die Staatshaftung nur ein, wenn die Pflichtverletzung eine Straftat (besonders Rechtsbeugung) darstellt (»Spruchrichterprivileg«). Die Staatshaftung greift nach vorherrschender Auffassung nicht bei Amtspflichtverletzungen durch die Gesetzgebung ein; wohl aber kann z. B. eine Gemeinde wegen bestimmter Pflichtverletzungen bei der Aufstellung eines in Satzungsform ergehenden Bebauungsplans haften.
 
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat 1991 entschieden, dass ein EU-Mitgliedstaat, der eine bürgerschützende Richtlinie der EG nicht fristgerecht umsetzt, dem Bürger zum Ersatz des dadurch entstehenden Schadens verpflichtet ist. Damit ist eine Staatshaftung für Pflichtverletzungen des Gesetzgebers geschaffen worden. Zweifel über die Reichweite dieser Haftung hat der EuGH durch eine Entscheidung 1996 behoben, die die Haftungsvoraussetzungen für die verschiedenen Konstellationen der Verletzung von Europarecht durch die Mitgliedstaaten präzisiert.
 
Für Amtspflichtverletzungen, die ein Amtswalter bei nichthoheitlicher (privatrechtlicher) Amtstätigkeit begeht, gilt die Haftungsüberleitung auf den Staat durch Art. 34 GG nach vorherrschender Auffassung nicht. In diesen Fällen haftet der Beamte persönlich nach § 839 BGB, der Angestellte oder Arbeiter im öffentlichen Dienst nach den allgemeinen Vorschriften über unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB). Den Staat trifft daneben die Haftung nach den allgemeinen Vorschriften des BGB über Erfüllungs- beziehungsweise Verrichtungsgehilfen (§§ 89, 31 BGB für die leitenden Beamten, § 831 BGB in den sonstigen Fällen und § 278 BGB bei Vertragsverletzungen).
 
Zu diesem Staatshaftungsrecht im engeren Sinn treten verschiedene, überwiegend durch die Rechtsprechung entwickelte Institute der Staatshaftung im weiteren Sinn Für Sonderopfer des Einzelnen, d. h. besonders für rechtswidrige Eingriffe in das Eigentum oder sonstige eigentumsrechtlich geschützte vermögenswerte Positionen stehen dem Geschädigten Ansprüche auf Entschädigung zu (Enteignung). Ferner sind Ansprüche des Einzelnen unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung denkbar, d. h. für Fälle, in denen der Staat in nicht vermögenswerte Güter (z. B. Gesundheit) im Allgemeininteresse eingreift. Die meisten Fälle sind inzwischen spezialgesetzlich geregelt; zu nennen ist die Entschädigung für Impfschäden oder für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. All diese Entschädigungsansprüche richten sich unmittelbar gegen den Staat, nicht gegen den handelnden Amtswalter. Eine Staatshaftung im weiteren Sinn kann sich aus öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen Staat und Bürger, aber auch aus gesetzlich begründeten verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen (z. B. bei Anschluss an die gemeindliche Wasserversorgung und Kanalisation) ergeben. Der ebenfalls durch die Rechtsprechung entwickelte Folgenbeseitigungsanspruch ist darauf gerichtet, dass noch andauernde rechtswidrige Folgen staatlichen Handelns beseitigt werden; z. B. hat der Betroffene, dessen Wohnung rechtswidrig zum Zwecke der Einweisung eines Obdachlosen beschlagnahmt wurde, nach Aufhebung der Einweisungsverfügung einen Anspruch darauf, dass die Behörde die Räumung der Wohnung veranlasst.
 
In Österreich ist die Amtshaftung im Amtshaftungsgesetz 1948 geregelt. Dieses sieht in Ausführung des Art. 23 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) vor, dass Bund, Länder und Gemeinden für den Schaden haften, den die als ihre Organe im Bereich der Hoheitsverwaltung handelnden Personen wem immer rechtswidrig schuldhaft zufügen. Umstritten ist, ob auch die Haftung als Mitgliedstaat der EU für Schäden, die ein Bürger durch Verletzung von Gemeinschaftsrecht (auch durch gesetzgeberisches Unterlassen) erlitten hat, innerstaatlich nach dem Amtshaftungsgesetz vor den ordentlichen Gerichten oder vor dem Verfassungsgerichtshof nach Art. 137 B-VG durchzusetzen ist.
 
In der Schweiz statuiert das Bundesgesetze über die Verantwortlichkeit des Bundes und seiner Behördenmitglieder und Beamten vom 14. 3. 1958 eine ausschließliche, verschuldensunabhängige Staatshaftung des Bundes für Schäden, die ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt. Die Kantone kennen analoge Regelungen.
 
Literatur:
 
L. M. Büchner u. J. Reinert: Einf. in das System der S. (1988);
 A. Teschner: Die Amtshaftung der Gemeinden nach rechtswidrigen Beschlüssen ihrer Kollegialorgane (1990);
 F. Ossenbühl: S.-Recht (41991);
 A. Wehlau: Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europ. Gemeinschaft zur S. der Mitgliedstaaten nach Gemeinschaftsrecht (1996);
 S. Pfab: S. in Dtl. (1997).

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Staats|haf|tung, die (Rechtsspr.): Amtshaftung.

Universal-Lexikon. 2012.