Wohl|stands|ge|sell|schaft 〈f. 20〉 Gesellschaft eines Wohlfahrtsstaates
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Wohl|stands|ge|sell|schaft, die:
Gesellschaft, für die der Wohlstand das einzig Erstrebenswerte im Leben ist.
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Wohlstandsgesellschaft,
in der gesellschaftspolitischen Diskussion der 1960er-Jahre entstandene und seither allgemein verbreitete Bezeichnung für eine Gesellschaft, die dem überwiegenden Teil der Bevölkerung die Befriedigung materieller Bedürfnisse weit über dem Existenzminimum sowie umfassende Möglichkeiten des Konsums ermöglicht und in der viele auch am »Prestigekonsum« sowie an Luxusgütern teilhaben, während wirtschaftliche und soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, gesellschaftliche Desintegration, Armut und eingeschränkte Konsummöglichkeiten lediglich als Randgruppenphänomene (Randgruppe) in Erscheinung treten. Kennzeichnend für Wohlstandsgesellschaften sind eine hoch industrialisierte, durch kontinuierliches Wachstum und einen relativ hohen Beschäftigungsgrad geprägte Wirtschaft sowie beträchtlich über dem Existenzminimum liegende Pro-Kopf-Einkommen. Wohlstandsgesellschaften sind eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts und geschichtlich aus dem Prozess der Industrialisierung und den mit diesem verbundenen sozialen Auseinandersetzungen hervorgegangen, nachdem Armut sowie existenzielle Notlagen wie z. B. der Hunger - die noch im 19. Jahrhundert auch in Europa das Leben breiter Bevölkerungsschichten (zeitweilig) geprägt hatten - als gesellschaftliche Massenphänomene dauerhaft zurückgedrängt werden konnten. Aus globaler Sicht sind die Wohlstandsgesellschaften bis heute weitestgehend auf die westlichen Industriestaaten beschränkte »Wohlstandsinseln«. Ihre bislang erfolgreichste Prosperitätsphase (Konjunktur) erlebten sie zwischen 1950 und 1973. Das Wirtschaftswachstum war höher als jemals zuvor, es gab keine großen Krisen und Konjunktureinbrüche wie in den 30er-Jahren, die Inflationsrate hielt sich in Grenzen, die Arbeitslosigkeit wurde de facto bis zur Vollbeschäftigung reduziert und die Einkommenszuwächse eröffneten Verteilungsspielräume für alle an den Verteilungsauseinandersetzungen beteiligte Gruppen, sodass auch vom »goldenen Zeitalter des Kapitalismus« gesprochen wurde. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor diesem Hintergrund die auf L. Erhard zurückgehende programmatische Formulierung »Wohlstand für alle« als das Leitmotiv der sozialen Marktwirtschaft schlechthin postuliert.
Kritiker des Gesellschaftsmodells der Wohlstandsgesellschaft, für das J. K. Galbraith in den 60er-Jahren den Begriff der Überflussgesellschaft geprägt hatte, stellten zunächst besonders das von Galbraith postulierte Missverhältnis von privater Verschwendung und öffentlicher Armut heraus. Kernpunkt der Kritik in den 70er-Jahren war die die Wohlstandsgesellschaft in dieser Zeit kennzeichnende einlinige Ausrichtung auf quantitatives Wirtschaftswachstum, wobei der Club of Rome erstmals auf die Grenzen solchen Wachstums hinwies. Kritische Diskussionen seit den 80er-Jahren sind durch die Fragen bestimmt, ob beziehungsweise in welcher Form die Wohlstandsgesellschaft ein Gesellschaftsmodell darstellt, das auch angesichts des Wandels der westlichen Industriegesellschaften zu Dienstleistungs-, Informations- und Wissensgesellschaften und der gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung zukunftsfähig ist, oder ob es sich bei ihr lediglich um »einen kurzen Traum immer währender Prosperität« (Burkhart Lutz, * 1925) gehandelt hat, der spätestens seit Anfang der 90er-Jahre seine Systemkrise erlebt und angesichts einer sich herausbildenden neuen sozialen Realität, gekennzeichnet durch Polarisierung und Individualisierung der Arbeitswelt, das Anwachsen tarif- und sozialrechtlich nur minimal abgesicherter Arbeitsverhältnisse, oft instabile Beschäftigungslagen und die Abkopplung großer Teile der Bevölkerung von der Entwicklung des Lebensstandards (bis hin zum Entstehen von neuer Armut), keinen Bestand mehr haben kann. Zahlreiche Kritiker sehen hierin den Beginn einer nur noch schwer beziehungsweise nicht mehr umkehrbaren Entwicklung von der Wohlstandsgesellschaft zur Zweidrittelgesellschaft.
B. Lutz: Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Eine Neuinterpretation der industriell-kapitalist. Entwicklung im Europa des 20. Jh. (Neuausg. 1989);
H. Afheldt: Wohlstand für niemand? Die Marktwirtschaft entläßt ihre Kinder (1997);
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Wohl|stands|ge|sell|schaft, die: vgl. ↑Wohlstandsbürger.
Universal-Lexikon. 2012.