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Des|in|te|gra|ti|on auch: Des|in|teg|ra|ti|on 〈f. 20〉 Auflösung, Aufteilung eines Ganzen, Zerstreuung, Zerspaltung; Ggs Integration (1) [<lat.- frz. des- „von weg, ent-“ + Integration]
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1. (Fachspr.)
a) Spaltung, Auflösung eines Ganzen in seine Teile:
die D. der Sowjetunion;
b) nicht vollzogene Integration; fehlende Eingliederung in ein größeres Ganzes:
soziale D.
2. <o. Pl.> durch Desintegration (1) bewirkter Zustand.
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Des|integration,
1) allgemein: Auflösung, das Auseinanderfallen eines Ganzen in Teile.
2) Charakterkunde: von E. R. Jaensch eingeführte Bezeichnung zur Typisierung eines Menschen, bei dem die seelisch-geistigen Funktionen nur wenig koordiniert sind, im Gegensatz zum integrierten Typus, der ein harmonisches und ausgeglichenes Wesen besitzt.
3) Psychiatrie, Psychopathologie: Bezeichnungen für den Persönlichkeitsverfall bei psychotisch Erkrankten (v. a. bei Schizophrenie).
4) Soziologie: Vorgang gesellschaftlich-kultureller Auffächerung, Ausgliederung und Umstrukturierung: Entstehung von Subkulturen, von Gruppen mit abweichenden Normen, Auflösung von Institutionen.
In den 1990er-Jahren ist der Begriff der Desintegration in den Sozialwissenschaften (wenn auch nicht unbestritten) zu einem der Schwerpunkte geworden, wenn es darum geht, Fremdenfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft und rechtsextremistische Orientierungen v. a. im Zusammenhang mit den sozialen Veränderungen in der Lebenswelt von Jugendlichen zu erforschen beziehungsweise zu erklären. Desintegration beschreibt somit die negative Seite eines fortschreitenden Modernisierungsprozesses heutiger Gesellschaften. Der mit Desintegration bezeichnete Vorgang bezieht sich nunmehr auf einen die gesamte Gesellschaft betreffenden Prozess und nicht allein auf die Erfahrungen und die Konstitution von Randgruppen oder auf individuelle Lebenserfahrungen. Im Wesentlichen sind es drei Bereiche, die als soziale, berufliche und politische Desintegrationsprozesse bestimmt werden können. Hierbei handelt es sich um: 1) Auflösungserscheinungen in persönlichen Lebenszusammenhängen und Beziehungen, zu denen z. B. Familien und Ehen, Freundschaften, Lebensgemeinschaften und Altersgruppen, aber auch soziale Milieus gezählt werden; 2) Abnahme von Bereitschaft und Interesse an politischer Partizipation, was sich z. B. in Form von Wahlenthaltung und am sinkenden Interesse an der Mitwirkung in politischen oder gesellschaftlichen Institutionen zeigt; 3) wachsende Verständigungsschwierigkeiten über für Gruppen, Individuen und die Gesellschaft insgesamt wichtige gemeinsame Normen und Wertvorstellungen. Desintegrationserfahrungen stellen besonders für die Arbeitsgebiete staatsbürgerlicher Bildung und schulische Ausbildung (Sozialisation) eine Herausforderung dar, da sie die bisherigen Vorstellungen über Zielvorgaben und Selbstverständnis gesellschaftlicher Integration infrage stellen und damit die zentrale Basis innergesellschaftlicher Konfliktregelungsmuster und Entscheidungsstrukturen gefährden.
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Des|in|te|gra|ti|on, die; -, -en [aus ↑des-, Des- u. ↑Integration] (bes. Politik, Soziol., Psych.): 1. Spaltung, Auflösung eines Ganzen in seine Teile: Stimmen, die in jeder regionalistischen Regung ... ein sicheres Indiz für die D. der Indischen Union zu finden glauben (NZZ 30. 8. 86, 5). 2. <o. Pl.> durch ↑Desintegration (1) bewirkter Zustand: Soziologen ... sehen die Ursprünge des Linksterrorismus letztlich in der D. der Familie und der traditionellen Werte (NZZ 22. 12. 83, 5).
Universal-Lexikon. 2012.