bürgerliches Trauerspiel,
Drama, das tragische Konflikte im bürgerlichen Milieu gestaltet; meist in Prosa abgefasst. Das bürgerliche Trauerspiel entstand mit dem Aufstieg des bürgerlichen Standes; die klassizistische Poetik hatte die Möglichkeit tragische Wirkungen bürgerlicher Konflikte verneint, weil den betroffenen Personen das Heldische und damit die »Fallhöhe« fehle. Am Anfang des bürgerlichen Trauerspiels steht nach Vorstufen (A. Gryphius' »Cardenio und Celinde«; Schuldramen C. Weises) »The London merchant« von G. Lillo (1731). In Frankreich entwickelte sich das bürgerliche Trauerspiel von der Komödie her über die Comédie larmoyante; Beispiele sind die bürgerlichen Rührstücke D. Diderots »Le fils naturel« (1757) und »Le père de famille« (1758). In Deutschland bildete C. F. Gellert das französische bürgerliche Rührstück nach. G. E. Lessing knüpfte an das englische Vorbild an in »Miß Sara Sampson« (1755). In seinem Stück »Emilia Galotti« (1772) erscheint ein Grundmotiv des bürgerlichen Trauerspiels der Folgezeit: die Auseinandersetzung mit dem Absolutismus, mit Adelswillkür und -übermut; besonders das bürgerliche Trauerspiel des Sturm und Drangs wird von diesem Thema bestimmt (Schillers »Kabale und Liebe«, 1784). Daneben behauptete das bürgerliche Rührstück seinen Platz (F. L. Schröder, A. W. Iffland, A. von Kotzebue). Mit F. Hebbels »Maria Magdalene« (1844) wurde das bürgerliche Trauerspiel zur Tragödie des bürgerlichen Standes in seiner kleinbürgerlichen und moralischen Verhärtung. Im Naturalismus wurde das bürgerliche Trauerspiel im Wesentlichen sozialkritisch: Auseinandersetzung mit bürgerlichen Scheinmoral und bürgerliche Härte gegenüber sozialem Elend (H. Ibsen, G. Hauptmann). Seitdem lässt sich das bürgerliche Trauerspiel vom tragischen Schauspiel nicht mehr als eigene Form abheben.
A. Eloesser: Das bürgerliche Drama (1898);
R. Daunicht: Die Entstehung des b. T.s in Dtl. (21965);
K. S. Guthke: Das dt. b. T. (41984);
Universal-Lexikon. 2012.