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Koordinationsverbindungen
Ko|ordinationsverbindungen,
 
chemische Verbindungen höherer Ordnung, in denen ein Zentralatom oder -ion von mehreren anderen Atomen, Ionen oder Molekülen, den Liganden, umgeben ist. Die Anzahl dieser um ein Zentralatom beziehungsweise -ion gelagerten Liganden, seine Koordinationszahl, ist unabhängig von seiner Wertigkeit und richtet sich nach dem vorhandenen Raum. In den Koordinationsverbindungen bilden die vom Zentralatom gebundenen Liganden regelmäßige räumliche Anordnungen (Koordinationspolyeder), z. B. Oktaeder mit der Koordinationszahl 6, Tetraeder mit der Koordinationszahl 4. Die aus Zentralatom und Liganden bestehende geschlossene Atomgruppe wird kurz als Komplex bezeichnet und bei den Formelzeichen durch eckige Klammern zusammengefasst. Die Koordinationsverbindungen bilden eine große Gruppe der Komplexverbindungen - häufig werden inzwischen auch die Begriffe Komplexverbindungen und Koordinationsverbindungen gleichgesetzt. Die Grundlagen der Wissenschaft von den Koordinationsverbindungen, ihrer chemischen Beschaffenheit und Zusammensetzung, der räumlichen Struktur ihrer Moleküle und den Bindungsverhältnissen (Koordinationslehre) wurden 1893 von A. Werner geschaffen.
 
Unter den Zentralatomen der Koordinationsverbindungen überwiegen Nichtmetallatome, wie Schwefel-, Chlor- oder Boratome; es gibt aber auch neutrale Komplexe, z. B. mit Nickelatomen als zentralen Teilchen. Die Zentralionen sind häufig Schwermetallionen, z. B. Eisen-, Kobalt-, Kupfer- oder Platinionen. Als Liganden kommen z. B. Halogenid-, Hydroxid- und Cyanidionen oder Wasser-, Ammoniak- und Kohlenmonoxidmoleküle vor. Kann ein Ligand nur eine Bindung mit dem Zentralteilchen eingehen, dann wird er einzähnig genannt. Einigen Liganden ist es möglich, gleichzeitig zwei oder mehrere Bindungen zu einem bestimmten Zentralteilchen herzustellen. Dazu müssen diese Liganden kettenförmig und biegsam sein und an weit voneinander entfernten Atomen je ein einsames Elektronenpaar besitzen. Ein zweizähniger Ligand ist z. B. das Äthylendiamin, H2N̄—CH2—CH2—N̄H2; mit seinen zwei einsamen Elektronenpaaren an den Stickstoffatomen ist es in der Lage, z. B. mit einem zentralen Kupfer(II)-Ion (Cu2+) zwei Bindungen einzugehen. Diese mehrzähnigen Komplexe werden auch Chelate genannt. Neben den einkernigen Komplexen (mit einem Zentralatom oder -ion) gibt es auch mehrkernige Komplexe, d. h. solche mit zwei oder mehr Zentralatomen beziehungsweise -ionen. Die Ladung eines Komplexes entspricht der Summe der ihn bildenden Einzelladungen; häufig handelt es sich bei den Koordinationsverbindungen um Komplexionen, seltener um neutrale Komplexe.
 
Nach den gegebenen Definitionen zählen zu den Koordinationsverbindungen u. a. die Anionen der Sauerstoffsäuren, wie das Sulfat- [SO4]2-, das Nitrat- [NO3]-, das Chlorat- [ClO3]- oder das Dichromation [Cr2O7]2-. Diese Sauerstoffkomplexe werden als Oxokomplexe bezeichnet, da hier als Liganden O2--Ionen vorliegen (diese werden jedoch in den Namen der einzelnen Komplexe nicht genannt). Ferner sind z. B. das Oxonium- [H3O]+, das Ammonium- [NH4]+ und das Tetrafluoroboration [BF4]- als Komplexionen aufzufassen. Viel zahlreicher und mannigfaltiger als diese Komplexe, die fast alle ein Nichtmetallatom als zentrales Teilchen enthalten, sind die Komplexe mit einem Metallatom oder -ion als Zentralteilchen. Liganden können hierbei Moleküle (z. B. Wassermoleküle bei den festen Hydraten, Ammoniakmoleküle bei den festen Ammoniakaten) oder Ionen sein. Beispiele für derartige Komplexverbindungen sind das Tetraamminkupfer(II)-chlorid [Cu(NH3)4]Cl2, ein Ammoniakatkomplex, Tetraaquakupfer(II)-sulfat [Cu(H2O)4]SO4, ein Hydratkomplex, oder Kaliumhexacyanoferrat(II) K4[Fe(CN)6], das »gelbe Blutlaugensalz«, ein Cyanokomplex.
 
In den Formeln der Komplexverbindungen, die innerhalb eckiger Klammern stehen, wird das Symbol des Zentralteilchens zuerst angegeben; anschließend werden die Symbole der geladenen und/oder neutralen Liganden angeführt. Zur rationellen Bezeichnung eines Komplexsalzes gibt man zuerst den Namen des Kations, dann den des Anions an, unabhängig davon, welches der beiden das Komplexion ist. Beim Komplexion selbst werden zuerst (in altgriechischen Zahlwörtern) die Ligandenzahl, dann die Art der Liganden und schließlich die Art des Zentralteilchens genannt. Die Oxidationsstufe des Zentralteilchens fügt man als in Klammern gesetzte römische Ziffer dem Namen des Komplexions bei. Die Namen der negativ geladenen Liganden enden auf -o (z. B. Cl- = chloro, CN- = cyano, OH- = hydroxo, S2O2-3 = thiosulfato), die der positiv geladenen oder neutralen Liganden bleiben meist unverändert. Allerdings werden Wassermoleküle (H2O) als aqua-, Ammoniakmoleküle (NH3) als ammin-, Kohlenmonoxidmoleküle (CO) als carbonyl- und Stickstoffmonoxidmoleküle (NO) als nitrosyl- bezeichnet. Bei der Bezeichnung komplexer Anionen wird allgemein an den (eventuell latinisierten) Namen des Zentralions die Endung -at angehängt, z. B. [AlF6]3- Hexafluoroaluminat-Ion, [Ni(CN)4]2- Tetracyanoniccolat(II)-Ion.
 
Nach den in den Komplexen vorliegenden Bindungen unterscheidet man (nach älterer, aber noch vielfach gebräuchlicher Definition) Anlagerungskomplexe, bei denen die Liganden schwache heteropolare Bindungen (Ion-Ion-Bindung oder Ion-Dipol-Bindung) zum Zentralatom (oder -ion) ausbilden, und Durchdringungskomplexe, bei denen die Liganden durch ein gemeinsames Elektronenpaar fester an das Zentralatom (oder -ion) gebunden sind. Anlagerungskomplexe sind allgemein nur wenig beständig und zerfallen z. B. beim Auflösen in Wasser leicht in ihre Bestandteile; derartige Komplexe liegen z. B. bei den Solvaten (wie Hydraten, Ammoniakaten, Alkoholaten) vor. Durchdringungskomplexe sind dagegen wesentlich beständiger; sie unterscheiden sich in ihrem chemischen Verhalten in der Regel erheblich von denen ihrer Komponenten, z. B. lassen sich in Lösungen von Komplexsalzen wie Kaliumhexacyanoferrat(II), K4[Fe(CN)6], weder Eisen noch Cyanidionen mit den üblichen Verfahren nachweisen. Die Bildung von Koordinationsverbindungen in Lösungen gehorcht dem Massenwirkungsgesetz. Entsprechend lassen sich Dissoziations- oder Beständigkeitskonstanten (Komplexkonstanten) zur Beschreibung der Stabilität von Koordinationsverbindungen angeben. Theoretisch beschrieben werden die Bindungsverhältnisse der Komplexverbindungen heute v. a. nach der Ligandenfeldtheorie.
 
Koordinationsverbindungen sind nicht nur von großem theoretischem, sondern häufig auch von wirtschaftlichem Interesse; komplexbildende Verbindungen werden z. B. für Wasch- und Reinigungsmittel, Korrosionsschutzmittel, in der Polymerisationstechnik und in der chemischen Analyse (Komplexometrie) verwendet.

Universal-Lexikon. 2012.