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Pergamon und Rhodos
Pergamon und Rhodos
 
Alexander der Große war von der Idee beseelt, die großen alten Kulturregionen des Mittelmeerraumes, den Orient, Ägypten und Hellas zueinander zu führen und ihre Leistungen zum Nutzen aller zu verschmelzen. Politisch hat er dieses Ziel nicht erreicht, sein früher Tod ließ ihm nicht die Zeit, das erfolgreich begonnene Werk zu vollenden. Die Entfaltung des religiösen Lebens, der Literatur und der Kunst hat durch den Tatendrang Alexanders jedoch nachhaltige neue Impulse erfahren.
 
Alexander ist in die Geschichte vornehmlich als kühner und genialer Feldherr eingegangen. Rückblickend besteht seine ungleich folgenreichere Leistung zweifellos darin, dass er politische Macht wie selbstverständlich in ein Umfeld geistiger Regsamkeit gestellt hat. Er umgab sich mit Philosophen, Literaten und Künstlern. Solche »Hofkunst« ist in der Nachfolge Alexanders durchgängig zu einem Kennzeichen der Machtzentren geworden. Alexandria, die von Alexander am Nildelta gegründete und mit seinem Namen belegte Stadt, ist für die übrigen Herrschersitze zum anregenden Vorbild geworden. Heute zeugen von ihrem Glanz allerdings nur literarische Denkmäler. Das antike Alexandria ist völlig zerstört.
 
Den besten Einblick in die kulturellen Ambitionen hellenistischer Herrscher gewährt der Burgberg von Pergamon. Unter den neuen Bedingungen der Ära nach Alexander dem Großen steigt die an einem 300 m hohen Berg gelegene Stadt im Laufe des 3. Jahrhunderts v. Chr. zum Sitz einer einflussreichen Dynastie auf. Attalos I. (241-197 v. Chr.) nimmt den Königstitel an. Sein Nachfolger Eumenes II. (197-159 v. Chr.) führt Pergamon an der Seite Roms stehend zu seiner größten Machtfülle. Er ist es aber auch, der Pergamon zu einem kulturellen Zentrum ausbaut.
 
Das Herzstück dieser Maßnahme ist die grundlegende Neugestaltung des alten Athenaheiligtums. Das Plateau, das bereits zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. für einen Tempel der Athena angelegt worden war, wurde nun an zwei Seiten um einen zweigeschossigen Hallenbau bereichert. Eumenes füllte dessen Untergeschoss mit Kunstwerken, während er im Obergeschoss eine Bibliothek einrichtete, die mit ihren 200 000 Schriftrollen eine der größten ihrer Art wurde.
 
In seiner Bibliothek ließ Eumenes eine Statue der Athena aufstellen, hier zweifellos auch in ihrer Rolle als Göttin der Gelehrsamkeit. Das Motiv dieser Statue orientierte sich an dem seinerzeit prominentesten Bild der Göttin, der Athena Parthenos auf der Akropolis von Athen. Darin lag eine Huldigung an das klassische Athen als Wegbereiterin des Geisteslebens. Es ist bezeichnend für die pergamenische Kunst, dass sich die Annäherung an das Vorbild aus der klassischen Epoche nur auf allgemeine Anspielungen beschränkte. Die Kunst der hellenistischen Zeit hatte einen eigenständigen Stil geprägt, der sich bewusst mit älterem Formengut auseinander setzte, dem dabei aber getreues Kopieren völlig fremd war.
 
Die pergamenische Kunst offenbart sich uns am eindrucksvollsten in dem gewaltigen Altar, den Eumenes zu Ehren von Zeus und Athena - der beiden Schutzgottheiten Pergamons - als bleibendes Zeichen seines Sieges über die Galater im Jahr 190 v. Chr. errichten ließ. Die Form des Stufenaltars mit dem von seitlichen Wangen eingefassten Hof hat an der kleinasiatischen Küste eine lange Tradition, nur sind die Abmessungen (etwa 34x36 m) ins Monumentale gesteigert. Es ist nur folgerichtig, dass unter diesen Voraussetzungen die glatten Einfassungsmauern in repräsentative Säulenhallen umgewandelt wurden.
 
Zwei Friese schmücken den gewaltigen Bau. Im Innern des Altarhofes wird der Gründung Pergamons gedacht - übertragen in die Welt des Mythos. Die Hauptgestalt dieser Sage ist Telephos, ein Sohn des Herakles, gezeugt mit einer arkadischen Athenapriesterin. Kunstgeschichtlich ist der Fries deshalb von Bedeutung, weil der verworrene Lebensweg des Telephos bis hin zur abschließenden Gründung Pergamon in einer dichten Folge von Einzelszenen vorgetragen wird. Als Vorlage diente hier vermutlich die Buchmalerei, die in den Bibliotheken der hellenistischen Kunstzentren - so auch in Pergamon selbst - ihre erste Blüte feierte.
 
Der Fries, der die Außenseite des Altars an der Sockelzone schmückt, folgt dem alten Kompositionsschema des ununterbrochenen Erzählflusses. Das Thema ist die Zurschaustellung des triumphalen Sieges der Pergamener über die Galater - nach griechischer Manier aber dargeboten im Gewande eines Mythos: hier ist es der Sieg der gesitteten olympischen Gottheiten über das Geschlecht der starken, aber ungezügelten Giganten. In dramatischen Szenen voller Pathos entfaltet die pergamenische Bildhauerei ihre »barocke« Kunstfertigkeit: fein gratige, hauchdünne Gewänder werden überlagert von gewaltigen, tief durchfurchten Stoffmassen. Entschlossenheit im Antlitz der Götter ist dem Schmerz und der Verzweiflung im Ausdruck der Giganten gegenübergestellt. Athena als Schutzherrin von Pergamon nimmt in dem großen Fries eine zentrale Position ein.
 
Zu den Kunstzentren der hellenistischen Welt gehört auch die Insel Rhodos. Die Architektur dieser Zeit ist am eindrucksvollsten im Athenaheiligtum der Stadt Lindos zu studieren. Offenbar unter dem Eindruck der älteren achaimenidischen Palastarchitektur - Alexander der Große hatte die Griechen ja auch nach Persepolis geführt - wird die repräsentative griechische Architektur in hellenistischer Zeit auffallend stark von künstlich angelegten Terrassen geprägt. Alle noch so unwegsamen Geländekonstellationen werden dadurch als Baugrund verfügbar.
 
Rhodische Kunst tritt uns auch in vielfigurigen Skulpturengruppen entgegen. Dramatische Szenen der griechischen Mythologie sind auf diese Weise monumentalisiert worden: der Tod des trojanischen Priesters Laokoon und seiner Söhne oder Stationen aus der Irrfahrt des Odysseus. Als »lebende Bilder« schmückten sie die Parks, in denen sich rhodischer Lebensstil einen künstlerisch gestalteten Raum geschaffen hat. Später imitierten römische Kaiser dieses Ambiente, holten sich so bekannte Bildhauer wie Hagesandros, Athanodoros und Polydoros und andere uns namentlich nicht bekannte rhodische Künstler zur Ausgestaltung ihrer Paläste, Gärten und Villen, zum Beispiel nach Rom, Baia und Sperlonga.
 
Prof. Dr. Ulrich Sinn
 
Literatur:
 
Lauter, Hans: Die Architektur des Hellenismus. Darmstadt 1986.

Universal-Lexikon. 2012.