Reichs|idee,
die in einem Herrschaftsbereich bestehenden Vorstellungen, die diesen als universal, mit einer höheren Weihe versehen und in eine bestimmte Tradition eingebunden begreifen und mit denen hegemoniale Ansprüche verbunden werden. Die Reichsidee des Altertums erlangte ihre klassische Form im Römischen Reich seit der Zeit des Augustus (Imperium Romanum); ihren Inhalt bildeten die Befriedung des Erdkreises (Pax Romana) und die Ausbreitung städtischer Zivilisation.
An das Imperium Romanum, das bereits die Kirchenväter des 4. und 5. Jahrhunderts als eine Vorstufe des Imperium Christianum gedeutet hatten, knüpfte die byzantinische Reichsidee an; von daher ging die Forderung einer überstaatlichen Einheit aller christlicher Völker und einer durch den Kaiser als Statthalter Gottes zu wahrenden Friedensordnung in die abendländische Reichsidee ein. Dieser universalistisch-theologische Zug ist dem Oströmischen Reich eigen geblieben, während im Westen die Reichsidee 476 zunächst erlosch.
Seit 751 übertrugen die Päpste die Vorrechte der in Konstantinopel regierenden Kaiser schrittweise auf den fränkischen König; die Kaiserkrönung Karls des Großen (800) bezeichnete die »translatio imperii« auf die Franken, die Kaiserkrönung Ottos I. (962) die auf die Deutschen. In den Wandlungen des Reichsnamens und -titels (deutsche Geschichte) spiegeln sich die Auseinandersetzungen der kaiserlichen mit der päpstlichen Gewalt, die Spannungen mit dem byzantinischen Kaisertum und die politische Zielsetzung einzelner Römischer Kaiser.
Den gedanklichen Inhalt der Reichsidee bildete im Mittelalter die Überlegenheit des Heiligen Römischen Reichs über alle anderen Staatenbildungen des Abendlands, seine übernationale Zusammensetzung (Deutschland, Italien, Burgund) und seine religiöse und institutionelle Verbindung mit der römischen Kirche (Sacrum Imperium; Bezeichnung seit Kaiser Friedrich I. Barbarossa). Trotz eines universalistischen Anspruchs der Reichsidee überwog der Charakter einer defensiven Ordnungsidee, erst recht, seit der Reichsidee mit Beginn der Neuzeit die Idee des nationalen souveränen Staates entgegentrat.
Die erfolglosen großen Entwürfe Karls V. (1519-56) sind zwar an der Reichsidee orientiert, stehen aber bereits in der Wirklichkeit des sich territorialstaatlich organisierenden und nach Übersee ausgreifenden neuzeitlichen Europa. Die Reichsmetaphysik des Mittelalters wich der »ständischen Libertät«. Trotz des tatsächlichen politischen Verfalls der Reichsmacht blieb die Reichsidee auf deutschem Boden in Gestalt eines Reichspatriotismus bis zum Ende des Reichs (1806) erhalten. Elemente der Reichsidee, im Wesentlichen auf den großdeutschen Gedanken reduziert, hielten sich, v. a. im außerpreußischen Deutschland und in den habsburgischen Ländern (z. B. Metternichs Prinzip der europäischen Mitte). Sie wurden in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 ohne politischem Erfolg vertreten. Nach Gründung des Deutschen Reiches 1871 lebten sie in der großdeutschen Opposition gegen das (kleindeutsche) bismarcksche Reich fort und wurden in einigen Prinzipien der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wieder wirksam. Der Nationalsozialismus (1933-45) benutzte die Reichsidee als propagandistisches Werkzeug seiner Großmachtpolitik (»Großstädtisches Reich«).
Universal-Lexikon. 2012.