Tschẹchow,
Čẹchov [tʃ-], Anton Pawlowitsch, russischer Schriftsteller, * Taganrog 29. 1. 1860, ✝ Badenweiler 15. 7. 1904; Arzt, Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften; unternahm 1890 eine Informationsreise zur Strafkolonie auf Sachalin (Schrift »Ostrov Sachalin«, 1893, als Buch 1895; deutsch »Die Insel Sachalin«). Ab 1898 lebte er, an Tuberkulose erkrankt, in Südrussland und in westeuropäischen Kurorten; 1901 heiratete er die Schauspielerin Olga L. Knipper.
Tschechow, der seine literarische Laufbahn mit kurzen, humoristischen Prosaskizzen begann, bevorzugte als Erzähler die Kleinform (längere Erzählungen wie »Step'«, 1888, deutsch »Die Steppe«, bilden die Ausnahme). Zwar bezeugt auch sein reifes Erzählwerk den Sinn für Humor, doch weicht hier die anfangs direkte Komik und Satire einer teils heiteren, teils melancholischen Ironie, die auch die tragischen Aspekte menschlichen Zusammen- und Alleinseins zur Geltung bringt. Die Schilderungen der zeitgenössischen russischen Gesellschaft, des sich auflösenden Gutsadels, des neu entstandenen Kleinbürgertums und der »Intelligenzija« setzen einerseits durch die liebevolle, aber unbestechliche Analyse menschlichen Verhaltens und sozialer Missstände die Tradition des kritischen Realismus fort; andererseits sind sie in der subtilen Darstellung und Deutung seelischer Zustände und nuancierter Stimmungen dem europäischen Impressionismus und Symbolismus verbunden (Klangwiederholungen, Iterationen von thematischen und formalen Motiven).
Dies gilt in noch höherem Maß für die Dramen, in denen zunächst ebenfalls die humoristische Kleinform überwiegt (»Medvěd'«, 1888, deutsch »Der Bär«; »Predloženie«, 1889, deutsch »Der Heiratsantrag«). Dann aber entwickelte Tschechow in seinen dramatischen Hauptwerken »Čajka« (1896; deutsch »Die Möwe«), »Djadja Vanja« (1897; deutsch »Onkel Wanja«), »Tri sëstry« (1901; deutsch »Drei Schwestern«) und »Višnevyj sad« (1904; deutsch »Der Kirschgarten«) einen neuen Typus des »impressionistischen« Stimmungsdramas, das bei weitgehendem Verzicht auf äußere dramatische Handlung seine Wirkung aus dem Neben- und Gegeneinander von Seelenzuständen und Stimmungen bezieht. Das erforderte einen eigenen, neuen Inszenierungsstil, der von K. S. Stanislawskijs Moskauer Künstlertheater an diesen Stücken erarbeitet wurde und die neuere Bühnenkunst ebenso nachhaltig prägte wie die Wirkung Tschechows als Dramatiker.
Weitere Werke: Erzählungen: Smert' činovnika (1883; deutsch Der Tod des Beamten); Tolstyj i tonkij (1883; deutsch Der Dicke und der Dünne); Skučnaja istorija (1889; deutsch Eine langweilige Geschichte); Duel' (1891; deutsch u. a. als Das Duell); Palata No. 6 (1892; deutsch Krankenstation Nummer 6); Ariadna (1895; deutsch); Moja žizn' (1896; deutsch Mein Leben); Mužiki (1897; deutsch Die Bauern); Dušečka (1898; deutsch Seelchen); Čelovek v futlare (1898; deutsch Der Mensch im Futteral); Dama s sobačkoj (1899; deutsch Die Dame mit dem Hündchen); V ovrage (1900; deutsch In der Schlucht).
Drama: Ivanov (1889; deutsch Iwanow).
Ausgaben: Polnoe sobranie sočinenij i pisem, herausgegeben von N. F. Belčikov und anderen, 30 Bände (1974-83).
Werke, herausgegeben von J. von Guenther, 3 Bände (1963); Das dramatische Werk, herausgegeben von P. Urban, 8 Bände (1973-83); Das erzählende Werk, herausgegeben von demselben, 10 Bände (Neuausgabe 1976); Briefe, herausgegeben von demselben (Neuausgabe 1983); Tagebuch, Notizbuch, herausgegeben von demselben (1983); Humoresken und Satiren, herausgegeben von demselben (2001).
P. M. Bicilli: A. P. Čechov. Das Werk u. sein Stil (a. d. Russ., 1966);
G. Selge: A. Čechovs Menschenbild (1970);
A. P. Čudakov: Poetika Čechova (Moskau 1971);
A. P. Čudakov: Mir Čechova. Vozniknovenie i utverždenie (ebd. 1986);
S. Melchinger: A. T. (21974);
L. M. Cilevič: Sjužet čechovskogo rasskaza (Riga 1976);
V. Kataev: Proza Čechova (Moskau 1979);
K. Hielscher: T. Eine Einf. (1987);
R.-D. Kluge: A. P. Čechov. Eine Einf. in Leben u. Werk (1995);
E. Wolffheim: A. Čechov (19.-20. Tsd. 1996).
Universal-Lexikon. 2012.