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Re|a|lis|mus [rea'lɪsmʊs], der; -:1. wirklichkeitsnahe Einstellung, [nüchterner] Sinn für die tatsächlichen Verhältnisse, für das Nützliche:
ihr Realismus bewahrte sie vor allen Hirngespinsten.
2. um Übereinstimmung mit der Wirklichkeit bemühte, sie nachahmende Art der künstlerischen Darstellung:
die Romane dieses Schriftstellers sind dem Realismus zuzurechnen.
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Re|a|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉
1. 〈Philos.〉
1.1 Lehre, die die Wirklichkeit als außerhalb u. unabhängig vom Bewusstsein stehend betrachtet
1.2 〈Scholastik〉 Lehre, die besagt, dass die allgemeinen Begriffe die eigentlich realen Dinge sind
2. Wirklichkeitssinn, Sachlichkeit
3. 〈bildende Kunst; Lit.〉
3.1 wirklichkeitsnahe Darstellung
3.2 Stilrichtung, die diese Darstellungsweise vertritt
[→ real]
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Re|a|lịs|mus, der; -, …men:
1. <o. Pl.>
a) Wirklichkeitssinn;
der R. des Alltagslebens.
2.
a) mit der Wirklichkeit übereinstimmende, die Wirklichkeit nachahmende künstlerische Darstellung[sweise] in Literatur u. bildender Kunst;
b) <o. Pl.> Stilrichtung in Literatur u. bildender Kunst, die sich des Realismus (2 a), der wirklichkeitsgetreuen Darstellung bedient:
sozialistischer R. (in der Kunst der sozialistischen Staaten die wahrheitsgetreue historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung, verbunden mit der Aufgabe der ideologischen Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus);
fantastischer R. (Mitte der 1950er-Jahre aufgekommene Richtung der Malerei, die, vertreten bes. durch die Wiener Schule, die Realität vor allem durch fantastische Gestalten u. Ä. verfremdet);
c) Periode des Realismus (2 b), bes. die der europäischen Literatur in der Zeit zwischen 1830 u. 1880.
3. <o. Pl.> (Philos.) Denkrichtung, nach der eine unabhängig vom Bewusstsein existierende Wirklichkeit angenommen wird, zu deren Erkenntnis man durch Wahrnehmung u. Denken kommt:
naiver R. (Philos.; Auffassung, nach der die Außenwelt so besteht, wie sie wahrgenommen wird);
kritischer R. (Philos.; Auffassung, nach der die Beziehung Erkenntnis – Wirklichkeit als problematisch gilt, da Gegenstände immer nur über ihre vorstellungsmäßigen Abbilder gegeben sind).
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Realịsmus
der, -,
1) allgemein: Wirklichkeitssinn, wirklichkeitsnahe Einstellung.
2) bildende Kunst: allgemeine Bezeichnung für die Abbildlichkeit dargestellter Wirklichkeit (oft synonym mit Naturalismus gebraucht). Angesichts der mehrdeutigen Anwendung des Begriffs Realismus drängt seine Inanspruchnahme durch verschiedene Kunstrichtungen der 60er- und 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts zu einer wenigstens teilweisen theoretischen Übereinstimmung, die neuerdings in den Vordergrund tritt: In Abgrenzung vom Naturalismus, nun als künstlerische Darstellungsmittel im Sinne illusionistischer Abbildung verstanden, bezeichnet Realismus ein außerkünstlerisches, primär weltanschauliches Prinzip, dessen Formulierung sich heute noch weitgehend an der Realismusdebatte im Anschluss an G. Courbets programmatischer Ausstellung »Le réalisme« (1855) orientiert. Realismus wird präzisiert als prinzipieller Gegenentwurf sowohl zur normativen Ästhetik wie zur hierarchisch nach »höheren« und »niederen« Gegenständen geordneten philosophischen Weltordnung idealistischer Kunstauffassung. Realistische Kunst bekennt sich zur Darstellung der vorgefundenen alltäglichen Realität, zur kritischen Zeitgenossenschaft. Realismus in diesem Sinne gab es schon vor Courbet, besonders in der spätmittelalterlichen Kunst bei N. Gerhaert von Leiden, H. Bosch, M. Grünewald, J. Ratgeb, dann zum Teil im Porträt (A. Dürer, H. Holbein der Jüngere, L. Cranach der Ältere) oder später bei P. Bruegel dem Ältere, Caravaggio, J. de Ribera, D. Velázquez, J. Callot, W. Hogarth, F. de Goya y Lucientes, T. Géricault. Erst im 19. Jahrhundert tritt Realismus mit demokratischem Selbstbewusstsein als materialistische Antithese zum »aristrokratischen« Idealismus auf und prägt stärker die theoretische Auseinandersetzung als das allgemeine Kunstschaffen.
Bezeichnend für den Realismus ist sein Interesse an der Freilichtmalerei und die Wahl bislang ungewöhnlicher Themen (arbeitende Menschen, Industrieanlagen). Frührealistische Ansätze fanden sich zuvor v. a. in der englischen Landschaftsmalerei (J. Constable, R. P. Bonington), bei C. Corot, P. Huet und J. Dupré in Frankreich, in Deutschland bei K. Blechen, später A. von Menzel, in Österreich bei R. von Alt und G. Waldmüller. In Frankreich verlief die Weiterentwicklung über die »Paysage intime« der Schule von Barbizon (T. Rousseau, C. Daubigny, N. Diaz de la Peña). Seit den späteren 1840er-Jahren standen ländliche Thematik (J. F. Millet, J. Breton; Jules Bastien-Lepage, * 1848, ✝ 1884) und städtische Thematik (H. Daumier, François Bonvin, * 1817, ✝ 1887; T. Ribot) nebeneinander, dazu traten Porträts (H. Fantin-Latour). In Deutschland bestanden seit den frühen 1850er-Jahren enge Verbindungen von Künstlern aus Frankfurt am Main zu Courbet, der 1858/59 längere Zeit dort arbeitete (O. Scholderer, Victor Müller). L. Eysen vermittelte die Kenntnis der Landschaftsmalerei im Sinne der Schule von Barbizon. 1869 kam Courbet zur Internationalen Kunstausstellung nach München, wo er Freundschaft mit W. Leibl schloss, dessen Figurenkompositionen und Porträts als deutscher Beitrag zum Realismus zu verstehen sind. Wie Courbet zog Leibl einen Kreis Gleichgesinnter um sich (W. Trübner, R. von Alt, C. Schuch, A. Lang, R. Hirth du Frênes, J. Sperl, H. Thoma, K. Haider). Ferner gab es eine unmittelbare Wirkung Courbets auf die belgische Malerei (A. Stevens). In Holland fand J. Isräels zu einer Millet verwandten Auffassung. In Italien nahmen die Macchiaioli Anregungen der Schule von Barbizon und Courbets auf. Je weiter die Entfernung zu diesen französischen Ausgangspositionen blieb, umso unentschiedener entwickelten sich Richtungen, die nur meist in losem Zusammenhang stehen, wie in Russland die Malerei der Peredwischniki. Eine realistische Auffassung auf dem Gebiet der Plastik zeigt sich im 19. Jahrhundert in Werken von Daumier, J. Dalou, A. Rodin und C. Meunier.
Im 20. Jahrhundert entstanden neue, übersteigerte Formen des Realismus, meist als Reaktion auf expressionistische oder abstrakte Tendenzen. Dazu gehören der vielsinnige Illusionismus der surrealistischen Malerei, der magische Realismus der Neuen Sachlichkeit und vergleichbarer Strömungen, Präzisionismus, Regionalismus und fantastischer Realismus. Oft steht der Realismus im Dienst einer Kunst, die bewusst in die Gesellschaft wirken will (u. a. R. Guttuso) und sich häufig mit sozialkritischen oder revolutionären Zielen verbindet, so im Muralismo und im sozialistischen Realismus. In Abgrenzung zu diesem wurden die deutschen Spielarten der Pop-Art auch als »kapitalistischer Realismus« bezeichnet. Ein eigener Realismusbegriff lag dem 1960 begründeten Nouveau Réalisme zugrunde, der, in Anlehnung an M. Duchamp, die realen Gegenstände einsetzte, statt sie abzubilden.
Die sekundäre Wirklichkeit vorgegebener Bildwelten der Reproduktion oder Fotografie rückt beim Fotorealismus an die Stelle der primären Wirklichkeit. V. a. in Berlin schlossen sich zeitweise Künstler zusammen, die Formen eines kritischen Realismus vertreten, z. B. P. Sorge, H. J. Diehl, W. Petrick, K. Vogelgesang oder, kritisch-ironisch (unter der Bezeichnung »Neue Prächtigkeit«), W. Petrick. Als kritische Realisten arbeiten u. a. auch K. Staeck, S. Neuenhausen oder M. M. Prechtl, in den USA Leon Golub (* 1921).
F. Baumgart: Idealismus u. R. 1830 bis 1880 (1975);
R. u. Realität, bearb. v. E. Huber, Ausst.-Kat. (1975);
P. Sager: Neue Formen des R., Kunst zw. Illusion u. Wirklichkeit (Neuausg. 1977);
Y. M. u. G. P. Weisberg: The realist debate, a bibliography of French realist painting, 1830-1885 (New York 1984);
W. Wilhelmy: Der altniederländ. R. u. seine Funktionen (1993);
E. Lucie-Smith: Amerikan. R. (a. d. Engl., 1994);
G. Lammel: Preußens Künstlerrepublik von Blechen bis Liebermann. Berliner Realisten des 19. Jh. (1995);
E. Roters: Malerei im 19. Jh., 2 Bde. (1998).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Realismus: Das Gesicht der eigenen Epoche
Realismus nach 1945: Zwischen Illusion und Wirklichkeit
3) in der Literaturwissenschaft auf mehreren Ebenen gebrauchter Begriff, dem von unterschiedlichen wissenschaftlichen Schulen verschiedene Inhalte unterlegt werden. Er wurde an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aus der Philosophie in die ästhetischen Debatten übernommen und dient seitdem der Beschreibung oder Wertung literarischer Werke. Die wertende Bedeutung nutzte die Doktrin des sozialistischen Realismus für ihre schematischen Beurteilungen. Heute ist der Begriff geläufig zum einen zur Kennzeichnung eines Stilmerkmals, zum anderen als Epochenbezeichnung.
Als Stilmerkmal ist Realismus eng an das Verständnis von Mimesis gebunden. Nimmt man als allgemeinste Qualität die konkrete Mitteilung des Faktischen, dann kann Realismus als überzeitliche Konstante besonders in Spät- und Übergangszeiten beobachtet werden, in denen Elemente der äußeren Wirklichkeit Eingang in die Literatur finden. So spricht man von einem Realismus der spätattischen Tragödie (Euripides) und der Komödien (Aristophanes), von einem spätrömischen Realismus (Petronius), besonders aber von einem Realismus des Spätmittelalters für jene Gattungen, in denen Brüche oder Umformungen hinsichtlich der Kunst der höfischen Welt (höfisches Epos) deutlich werden: Schwänke, Fabliaux, Novellen, Fazetien, Satiren; auch Osterspiele, Passionsspiele und Fastnachtsspiele, der Meistersang sowie die Werke der Lehrdichtung spiegeln die wirkliche Welt, im Zeitalter des Barock der Schelmenroman. Die Aufklärung, v. a. in ihrer späten Phase (Empfindsamkeit, Sturm und Drang) erschloss den Realismus für die Gestaltung psychologischer Vorgänge. Bei Schiller (»Über naive und sentimentalische Dichtung«, in: »Die Horen«, H. 11 und 12, 1795, H. 1, 1796) und F. Schlegel (»Ideen«, in: »Athenäum«, Band 3, 1800) taucht der Begriff selbst auf: Die gegensätzlichen Weltanschauungsweisen des Realismus und des Idealismus und ihre Verwirklichungsmöglichkeiten in der Poesie werden erörtert, Realismus ist bereits als stilistischer Kontrastbegriff ausgeführt. 1826 erscheint das Wort in Frankreich (im »Mercure du XIXe siècle«) zunächst auf die bildende Kunst bezogen, als literarisches Programm formuliert 1856 von J. Champfleury (»Le réalisme«, 1857). Damit ging die stiltypologische Bedeutung in die literaturhistorische über.
Für nahezu alle europäische Literaturen bezeichnet Realismus als Periodenbegriff die Zeit zwischen 1830 und 1880. Führend in der Praxis wie in der programmatischen Auseinandersetzung war Frankreich. Der französische Realismus ist bestimmt von einer gesellschaftskritischen Thematik und einer zum Teil desillusionistischen Haltung. Im Erzählverfahren wird - entsprechend der Ausklammerung der erkenntnistheoretischen Fragestellung in der Positivismusphilosophie A. Comtes - eine Darstellungsmethode entwickelt, die auf den individuell vermittelnden Erzähler verzichtet. Dies erreichte konsequent G. Flaubert (»Madame Bovary«, 1857). Zu den bedeutendsten literarischen Realisten Frankreichs zählen (neben Flaubert) Stendhal, H. de Balzac und die Brüder E. und J. Goncourt. Um die Zeitschrift »Le réalisme« (1856-57) sammelte sich eine Gruppe von Autoren, die - in enger Bindung an die Malerei (v. a. G. Courbet) - die genaue Abbildung der Wirklichkeit zum Programm erhob (u. a. Champfleury). In Deutschland wurde der literarische Realismus trotz bedeutender Vorläufer im Drama (G. Büchner, C. D. Grabbe), in der Kunst der Restaurationszeit (Biedermeier) und des Vormärz (K. Gutzkow, H. Heine, G. Weerth; Junges Deutschland) erst nach der Revolution 1848 zur bestimmenden, auch theoretisch diskutierten Stilrichtung. Kennzeichnend für den Realismus der deutschsprachigen Literatur ist die weniger gesellschaftskritische Haltung, die Neigung zu Resignation und zu einer Erzählweise, die sich des distanzierenden Humors bedient. Die von O. Ludwig (»Shakespeare-Studien«, herausgegeben 1871) dieser Kunstperiode zugedachte, auf eine Prägung F. W. J. Schellings zurückgehende Bezeichnung poetischer Realismus beschreibt eine Wirklichkeitsnachbildung, die sich einerseits vom französischen Realismus, andererseits vom berichtenden Journalismus dadurch unterscheidet, dass sie Realität verklärt, eine subjektive Erzählperspektive wählt und weithin auf den Einbezug extremer Wirklichkeit (z. B. des abstoßend Hässlichen) verzichtet. Neben einigen Romanen sind für diese Literatur kürzere Erzählformen (Novelle) entscheidend geworden. Zu den Vertretern des poetischen Realismus zählen J. Gotthelf, A. Stifter, B. Auerbach, T. Storm, G. Keller, C. F. Meyer, W. Raabe, während für die Romane T. Fontanes wie auch für die T. Manns der Terminus bürgerlicher Realismus zur stilistischen und historischen Unterscheidung geprägt wurde. Der Naturalismus bezeichnete sich zunächst selbst als »Realismus« (im Sinne der naturwissenschaftlichen exakten Wiedergabe der Wirklichkeit).
Dass der Realismus des 19. Jahrhunderts eine übernationale Erscheinung - gleichwohl mit nationaler Eigenheit - ist, belegen die einerseits vielfach satirisch-distanzierten, andererseits oft von emotional-sozialkritischem Mitleidspathos erfüllten Werke des englischen Realismus (W. M. Thackeray, C. Dickens, George Eliot, A. Bennett, A. Trollope), der - in Spiegelung der englischen Sozialgeschichte - die Gattung des »industrial novel« hervorbrachte (Elizabeth Gaskell, B. Disraeli, C. Kingsley, C. Reade), und die sozialutopisch engagierten und zu detaillierter Beschreibung psychologischer Individualwirklichkeit neigenden Romane der russischen Realisten (F. M. Dostojewskij, L. N. Tolstoj, I. S. Turgenjew, Im Allgemeinen Gontscharow).
In enger Bindung zu romantischer Literaturpraxis stehen in den USA die mitunter mit der Bezeichnung »symbolischer Realismus« belegten Werke N. Hawthornes und H. Melvilles; die europäischen Ausprägungen des Realismus nahe stehende literarhistorische Periode wird dagegen in den USA zeitversetzt mit etwa 1865-1910 eingegrenzt. Bedeutendster Vertreter eines vom Pragmatismus geprägten, vorsichtig sozialkritischen, bürgerlichen Realismus ist dort W. D. Howells, während Mark Twains engagierte Sozialkritik alle sozialen Schichten und v. a. den amerikanischen Westen umfasst. H. James' psychologischer Realismus und seine Subjektivierung des Wirklichkeitsverständnisses weisen bereits auf die literarische Moderne. Unter deren Bedingungen - und denen der Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts - wird Realismus als Stilmerkmal künstlerischer Weltsicht und -reflexion infrage gestellt. Zwar wird etwa für die Kunst A. Döblins, L. Feuchtwangers, E. Hemingways, H. Manns die Kennzeichnung kritischer Realismus noch verwendet, doch verweist die scheinbar widersinnige Bestimmung magischer Realismus auf ein völlig anderes Verständnis. Durch das eklekt. Konzept der Postmoderne erhalten realistische Gestaltungselemente wieder neue Möglichkeiten.
Sigisbert Meier: Der R. als Prinzip der schönen Künste (1900);
G. Lukács: Werke, Bd. 4-6: Probleme des R. (1964-71);
F. Gaede: R. von Brant bis Brecht (1972);
H. Steinmetz: Der vergessene Leser. Provokator. Bemerkungen zum R.-Problem, in: Dichter u. Leser, hg. v. F. van Ingen u. a. (Groningen 1972);
Theorie u. Praxis (1973);
H. Kreuzer: Zur Theorie des dt. R. zw. Märzrevolution u. Naturalismus, in: R.-Theorien in Lit., Malerei, Musik u. Politik, hg. v. R. Grimm u. a. (1975);
S. Kohl: R. Theorie u. Gesch. (1977);
W. Preisendanz: Wege des R. Zur Poetik u. Erzählkunst im 19. Jh. (1977);
Der Streit mit Georg Lukács, hg. v. Hans-Jürgen Schmitt (1978);
Europ. R., hg. v. R. Lauer (1980);
H. Aust: Lit. des R. (21981);
W. Klein: Der nüchterne Blick. Programmat. R. in Frankreich nach 1848 (1989);
B. W. Seiler: Das Wahrscheinliche u. das Wesentliche. Vom Sinn des R.-Begriffs u. der Gesch. seiner Verundeutlichung, in: Zur Terminologie der Lit.wiss., hg. v. C. Wagenknecht (1989);
E. Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländ. Lit. (91994);
H. V. Geppert: Der realist. Weg. Formen pragmat. Erzählens bei Balzac, Dickens, Hardy, Keller, Raabe u. a. Autoren des 19. Jh. (1994).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Realismus in der Literatur: Wirklichkeitstreue und Idealisierung
4) Musik: Der musikalische Realismus ist keine Epoche der Musikgeschichte, sondern umfasst in der Zeit zwischen H. Berlioz und R. Strauss eine Reihe stilistischer Kriterien, die getrennt in einzelnen Werken oder verbunden mit spät- oder neuromantischen Merkmalen begegnen. Kompositorisch prägt sich Wirklichkeitsnähe v. a. in unstilisierter Affektdarstellung und Tonmalerei, realistische Orientierung am Sprechtonfall und Auflösung der Periodenstruktur in musikalische Prosa aus. In der Oper ist Realismus vom Libretto her durch das Aufgreifen historischen und politischen Sujets, sozialer Probleme und Menschenschicksale aus dem Alltag gegeben, z. B. in »Boris Godunow« von M. P. Mussorgskij, »Jenufa« und »Kát'a Kabanová« von L. Janáček, »La Traviata« von G. Verdi, »Carmen« von G. Bizet oder in den naturalistischen Opern des Verismo (Verismus).
C. Dahlhaus: Musikal. R. (21984);
U. Zierau: Die verist. Oper in Dtl. (1994).
5) Philosophie: 1) Bezeichnung für die in der mittelalterlichen Philosophie dem Nominalismus (u. a. Roscelin von Compiègne, Abaelardus) und Konzeptualismus (v. a. W. von Ockham, vorbereitend wirkte z. B. Petrus Aureoli) entgegengesetzte Position im Universalienstreit. Die Vertreter des Realismus behaupteten, dass Allgemeinbegriffe (Universalien) wie z. B. die Schönheit, die Röte, das Gute eine von Erkenntnis, Bewusstsein und Sinneswahrnehmung unabhängige, externe Realität bezeichnen und nicht lediglich bloße Worte sind (z. B. Thomas von Aquino, Wilhelm von Champeaux, Bernhard von Chartres, Johannes Scotus Eriugena, J. Duns Scotus). Zur Diskussion stand dabei v. a. Platons Verständnis der Ideen, aber auch Aristoteles' Begriff des Ganzen. 2) Bezeichnung für grundsätzlich dem Idealismus und Individualismus entgegengesetzte, aber auch vom Phänomenalismus zu unterscheidende philosophische Positionen, die behaupten, dass die Realität unabhängig von der Erkenntnis, dem Bewusstsein und der Sinneswahrnehmung besteht. Die grundsätzliche Problematik liegt darin, dass es einerseits fraglich ist, ob das Erkenntnisobjekt »an sich« so ist, wie es erkannt wird, und andererseits, ob das Objekt überhaupt ein bewusstseinsunabhängiges Gegenüber (Realismus) und nicht vielmehr eine Leistung des Bewusstseins selbst ist (Idealismus).
Zu unterscheiden sind neben den jeweiligen philosophischen Positionen dabei v. a. die verschiedenen Aspekte innerhalb der Diskussion: a) der erkenntnistheoretische, b) der semiotische oder logische, c) der ontologische oder metaphysische und d) der ethische Aspekt. Die erkenntnistheoretische Frage richtet sich auf das Verhältnis von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt, wobei zu unterscheiden ist, ob das Objekt durch die Erkenntnis beziehungsweise das Subjekt konstituiert, wenn nicht gar konstruiert ist und somit mit in den Bereich des subjektiven Bewusstseins fällt, oder ob im realistischen Sinne das subjektive Bewusstsein zur Objekterkenntnis ein unabhängiges und somit externes Gegenüber benötigt. Diese Position wird in unterschiedlichen Formen v. a. vom »naiven Realismus« (z. B. J. Rehmke), dem »Neo-R.« (z. B. die amerikanischen Philosophen Edwin Bissell Holt, * 1873, ✝ 1946, William Pepperell Montague, * 1873, ✝ 1953, R. B. Perry), einem »natürlichen Realismus« (W. Hamilton), einem auf den natürlichen Menschenverstand (Commonsense) gegründeten Realismus (z. B. in Großbritannien T. Reid, J. L. Austin, G. E. Moore), dem variantenreichen »kritischen Realismus« des 19./20. Jahrhunderts (z. B. in den USA G. Santayana, Arthur Oncken Lovejoy, * 1873, ✝ 1962, Roy Wood Sellar, * 1880, ✝ 1973; in Großbritannien H. Spencer; in Deutschland H. Driesch, J. F. Herbart, O. Külpe, H. Lotze, A. Riehl, F. J. von Rintelen, J. I. Volkelt), der bestimmte Formen eines »naturwissenschaftlichen Realismus« und an diesem orientierte materialistische Positionen prägte, sowie dem »empirischen« (I. Kant) oder »transzendentalen Realismus« (E. von Hartmann) vertreten. Vertreter eines naturwissenschaftlichen Realismus gehen heute in der Regel davon aus, dass die Referenz sprachlicher Terme unbestimmt ist, d. h. die Wahrheit wissenschaftlicher Begriffe und Theorien nur durch deren erfolgreiche Anwendung gesichert ist. Die semiotische oder logische Frage untersucht demgegenüber v. a. das begriffliche Verhältnis innerhalb der Sprache und die Art und Weise, sich sprachlich auf Außersprachliches zu beziehen oder grundsätzlicher: das relationenlogisch darstellbare Verhältnis von Zeichen zu Zeichen, Objekten und Interpreten beziehungsweise Bewusstseinsinhalten wie Interpretationen. Eine realistische Position geht dabei grundsätzlich von einer Objektwelt aus, auf die sprachlich Bezug genommen werden kann. Vertreter dieser Formen des Realismus sind v. a. C. S. Peirce und B. Russell. Der ontologische oder metaphysische Aspekt betrachtet das Gesamtverständnis von beschreibbarer Realität hinsichtlich der Frage nach der Einheit des Mannigfaltigen. Für eine realistische Antwort, die idealistischen Konzepten oft sehr nahe kommt, stehen dabei v. a. Platon, die mittelalterlichen Universalienrealisten, die jedoch auch alle einen logischen Realismus vertraten, sowie u. a. N. Hartmann, S. Alexander, A. N. Whitehead und C. S. Peirce. In ethischer Hinsicht wird schließlich nach der Art und Weise der Grundlagen des menschlichen Handelns gefragt, ob sie prinzipieller Natur sind oder sich im realistischen Sinne nach materiellen Werten oder abwägbarem, positivem Nutzen richten (z. B. J. Bentham, W. James, J. S. Mill).
6) Theater: In Bühnenbild und Inszenierungsstil setzte sich der Realismus, meist als »Naturalismus« bezeichnet, erst um 1890 weltweit durch (Théâtre Libre, Paris; Freie Bühne, Berlin; Theatre Independent, London; Moskauer Künstlertheater usw.). Er wurde von Thesen gegen den Illusionismus im Theater angefochten, veränderte sich auch durch den Impressionismus, blieb aber neben den gegen ihn gerichteten Formen bestehen und bildete immer neue Varianten aus.
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Re|a|lịs|mus, der; -, ...men: 1. <o. Pl.> a) Wirklichkeitssinn: ... die britischen Gewerkschaften zeigten seit dem Sieg der Regierung über die streikenden Bergarbeiter mehr R. als bisher (NZZ 12. 4. 85, 3); b) (selten) ungeschminkte Wirklichkeit; Realität: der R. des Alltagslebens. 2. a) mit der Wirklichkeit übereinstimmende, die Wirklichkeit nachahmende künstlerische Darstellung[sweise] in Literatur u. bildender Kunst: ... den auch für die Wissenschaft brauchbaren R. der alten Kupferstecher (Ceram, Götter 94); Andere Realismen Arrabalscher Art hingegen ... hielt er den Bochumern lieber fern (Spiegel 9, 1968, 128); b) <o. Pl.> Stilrichtung in Literatur u. bildender Kunst, die sich des ↑Realismus (2 a), der wirklichkeitsgetreuen Darstellung bedient: sozialistischer R. (in der Kunst der sozialistischen Staaten die wahrheitsgetreue historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung, verbunden mit der Aufgabe der ideologischen Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus; russ. socialistitscheski realism); fantastischer R. (Mitte der 50er-Jahre aufgekommene Richtung der Malerei, die, vertreten bes. durch die Wiener Schule, die Realität vor allem durch fantastische Gestalten u. Ä. verfremdet); c) Periode des ↑Realismus (2 b), bes. die der europäischen Literatur in der Zeit zwischen 1830 u. 1880. 3. <o. Pl.> (Philos.) Denkrichtung, nach der eine unabhängig vom Bewusstsein existierende Wirklichkeit angenommen wird, zu deren Erkenntnis man durch Wahrnehmung u. Denken kommt: naiver R. (Philos.; Auffassung, nach der die Außenwelt so besteht, wie sie wahrgenommen wird); kritischer R. (Philos.; Auffassung, nach der die Beziehung Erkenntnis-Wirklichkeit als problematisch gilt, da Gegenstände immer nur über ihre vorstellungsmäßigen Abbilder gegeben sind ).
Universal-Lexikon. 2012.