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Proletariat
besitzlose Klasse; Arbeiterklasse; Unterschicht; arbeitende Klasse

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Pro|le|ta|ri|at 〈n. 11Klasse der Proletarier

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Pro|le|ta|ri|at, das; -[e]s, -e <Pl. selten> [frz. prolétariat, zu: prolétaire < lat. proletarius, Proletarier]:
1. (marx.) in einer kapitalistischen Gesellschaft Klasse der abhängig Beschäftigten (die keine eigenen Produktionsmittel besitzen):
dem P. angehören.
2. Klasse der ärmsten Bürger im antiken Rom.

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Proletariat
 
[französisch, zu prolétaire, lateinisch proletarius »Bürger der untersten Klasse«, zu proles »Nachkomme«, »Kind«, »Sprössling«] das, -(e)s/-e, Plural selten, bezeichnet nach der servianischen Zenturienordnung (wohl 5./4. Jahrhundert), die das Fußvolk in fünf Steuerklassen einteilte, den Teil der Bevölkerung, der aufgrund seiner schlechten Lebenslage und mangelhafter Vermögensausstattung noch unterhalb der letzten Steuerklasse angesiedelt war. Die Proletarier (»proletarii«) wurden weder für die Steuerzahlung noch für den Kriegsdienst herangezogen und hatten als einzigen »Besitz« ihre Nachkommenschaft (»proles«). Durch die Kriege im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. wuchs das Proletariat. Es rekrutierte sich aus dem verarmten bäuerlichen Mittelstand und sammelte sich v. a. in Rom. Nachdem der Versuch der Gracchen, das Proletariat wieder landansässig zu machen, gescheitert war, wurden Proletarier von Gajus Marius als Freiwillige im Heer eingesetzt.
 
Die Humanisten nahmen dann, in deutlichem Bezug auf die altrömische Bedeutung, das Wort - zunächst im England des 16. und 17. Jahrhunderts - wieder auf. Als Proletariat galten soziale Außenseiter, Randexistenzen, dann aber v. a. die Gruppen von Armen und Bettlern, die als Folge der Umstrukturierung der mittelalterlich-agrarischen zur neuzeitlich-industriellen Gesellschaft beständig anwuchsen und seit dem 16. Jahrhundert zum Gegenstand umfangreicher Sozialdisziplinierung, aber auch sozialreformerischer Bestrebungen wurden. - Seine spezifisch sozialhistorische Ausprägung und seine Entwicklung zu einem politisch-publizistischen Begriff erfuhr der Begriff Proletariat im Diskussionszusammenhang der sozialistischen Bewegungen und sozialkritischen Analysen, wie sie nach der Französischen Revolution und besonders mit der um 1850 auf dem Kontinent sich durchsetzenden industriellen Revolution einsetzten. Zunächst wurde dabei die französische Form des »prolétaire« dazu benutzt, die unterhalb des dritten Standes angesiedelten besitzlosen Mitglieder der Gesellschaft zu bezeichnen. Innerhalb der in den 1840er-Jahren sich in Deutschland entwickelnden Pauperismusdebatte (F. von Baader und R. von Mohl sowie etwas später F. Harkort) bezeichnete Proletariat sowohl die vorindustriellen besitzlosen Massen als auch die durch die Industriearbeit in ihrer ökonomischen und sozialen Lage bestimmten Fabrikarbeiter. »Proletariat« und »Proletarier« wurden erst dadurch zum spezifischen Begriff, der in Korrelation zu »Pauperismus« gesetzt wurde (W. Conze).
 
Eine systematische und damit auch erkenntnistheoretische und geschichtsphilosophische Bedeutung erlangt der Begriff schließlich bei L. von Stein und K. Marx. Für von Stein bezeichnet Proletariat denjenigen Stand der Gesellschaft, der nichts besitzt als seine Arbeitskraft und der, mit einem korrelierenden Bewusstsein ausgestattet, nunmehr gegenüber der Gesellschaft eine Besserstellung fordert. Während von Stein damit auf eine Gefahr für die soziale Ordnung aufmerksam machen wollte und diese durch Sozialreform zu entschärfen hoffte, tritt der Begriff bei Marx in einem aufgewerteten Sinn in Erscheinung, nunmehr um das Subjekt des geschichtlichen Emanzipationsprozesses zu identifizieren. Das Kommunistische Manifest (1848) bezeichnet als Proletariat die Klasse der Lohnarbeiter, die in Ermangelung sonstigen Besitzes ihre Existenz aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft sichern müssen und die im Zuge der Bewusstwerdung ihrer Stellung im Klassenkampf die Beseitigung der privatkapitalistischen Eigentums-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anstreben und schließlich durchführen (Marxismus). Als Kampfbegriff verlor die Bezeichnung Proletariat im Rahmen der sich ausbreitenden, aber sich auch in unterschiedlichen Fraktionen differenzierenden Arbeiterbewegung an Schärfe und Präzision, behielt aber, v. a. im Rahmen kulturpolitischer Diskussionen (»Proletkult«), seine Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte der Begriff sowohl in der antikolonialen Analyse der außereuropäischen politischen Bewegungen eine Rolle als auch im Zusammenhang mit der Studentenbewegung und dem Neomarxismus in der Diskussion um das Ende der »alten« Arbeiterklasse in den Industriestaaten und das mögliche Auftreten neuer Erscheinungen des Proletariats. Auch in den kommunistischen Ländern verlor der Begriff seit den 1920er-Jahren an Bedeutung und wurde zunehmend durch den Begriff der Arbeiterklasse ersetzt. (Klasse)
 
Literatur:
 
R. Dahrendorf: Soziale Klassen u. Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft (1957);
 C. D. Kernig: P., in: Sowjetsystem u. demokrat. Gesellschaft, hg. v. C. D. Kernig: , Bd. 5 (1972);
 M. Vester: Die Entstehung des P. als Lernprozeß. Die Entstehung antikapitalist. Theorie u. Praxis in England 1792-1848 (31975);
 W. Conze: P., Pöbel, Pauperismus, in: Geschichtl. Grundbegriffe, hg. v. O. Brunner u. a., Bd. 5 (1984);
 E. P. Thompson: Die Entstehung der engl. Arbeiterklasse, 2 Bde. (a. d. Engl., 1987);
 A. Gorz: Abschied vom P. (a. d. Frz., Neuausg. 1988).

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Pro|le|ta|ri|at, das; -[e]s, -e <Pl. selten> [frz. prolétariat, zu: prolétaire < lat. proletarius, ↑Proletarier]: 1. (marx.) in einer kapitalistischen Gesellschaft Klasse der abhängig Beschäftigten (die keine eigenen Produktionsmittel besitzen): das städtische, ländliche, landwirtschaftliche, industrielle P.; In den Städten, wo Arbeit allein schon die Lebensbasis ausmachen kann, entsteht das P. (Gruhl, Planet 45); dem P. angehören; Ü akademisches P. (Akademiker, die aufgrund fehlender Stellen nicht entsprechend ihrer Ausbildung beschäftigt werden können). 2. Klasse der ärmsten Bürger im antiken Rom.

Universal-Lexikon. 2012.