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Psychiatrie
Nervenklinik; Irrenhaus (umgangssprachlich); Nervenheilanstalt; Irrenanstalt (umgangssprachlich); Klapse (umgangssprachlich); Klapsmühle (umgangssprachlich)

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Psych|i|a|trie auch: Psy|chi|at|rie 〈f. 19; unz.〉
1. Fachgebiet der Medizin, das sich mit der Erkennung u. Behandlung psych. Krankheiten befasst
2. 〈umg.〉 psychiatr. Klinik

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Psy|ch|i|a|t|rie, die; -, -n [zu griech. iatrei̓a = das Heilen]:
1. <o. Pl.> Teilgebiet der Medizin, das sich mit der Erkennung u. Behandlung von geistigen u. psychischen Störungen befasst:
ein Facharzt für Neurologie und P.
2. (Jargon) psychiatrische Abteilung, Klinik:
in die P. eingeliefert werden.

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Psychiatrie
 
[zu griechisch iatreía »das Heilen«] die, -, Teilgebiet der Medizin, das sich mit der Erkennung und Behandlung sowie Rückfallverhütung psychischer Störungen (Psychosen, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Abhängigkeiten, Abbauerkrankungen) befasst.
 
Spezielle Ziele verfolgen die verschiedenen Untergebiete und Arbeitsbereiche, zu denen v. a. Psychopathologie, experimentelle und klinische Psychiatrie, forensische Psychiatrie (Teil der Rechtsmedizin), Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Sozialpsychiatrie und Pharmakopsychiatrie (Teil der Psychopharmakologie) gehören. In Verbindung mit der Neurologie besteht die Psychiatrie als ärztliches Fachgebiet der Nervenheilkunde und schließt dabei Erkrankungen des zentralen, peripheren und vegetativen Nervensystems ein.
 
Die Ausbildung zum Psychiater (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) erfordert eine Weiterbildung nach der Approbation (vier Jahre Psychiatrie und Psychotherapie, ein Jahr Neurologie). Spezialkenntnisse sind für den Nervenarzt (Arzt für Psychiatrie und Neurologie) und den Kinder- und Jugendpsychiater erforderlich.
 
Die Diagnostik der Psychiatrie stützt sich auf die in Gespräch, Beobachtung und Verlaufskontrolle gewonnene Erfassung der Symptomatik (klinisches Erscheinungsbild) und die objektiven Befunde aus Anamnese, Verhalten und körperliche Störungen. Ergänzend werden psychologische Testverfahren sowie besonders Elektroenzephalographie, Computertomographie und Blut- oder Liquoruntersuchungen eingesetzt. Zur Steigerung der Verlässlichkeit (Reliabilität) der Diagnose wurden spezielle methodische Kriterien erstellt, die in Form von Diagnosemanualen internationale Geltung besitzen. Zur Sicherung der Gültigkeit (Validität) von Diagnosen festgelegte Aspekte sind v. a. der Zusammenhang typischer Symptome (symptomatische Kohärenz), der kennzeichnende Verlauf von Erkrankungen, das Vorliegen einer genetischen Belastung, das Ansprechen bestimmter Therapieverfahren und die Beziehung zu körperlichen Befunden.
 
Die Behandlung stützt sich hauptsächlich auf die sich oft ergänzenden Methoden der Psycho-, Pharmako- und Soziotherapie. Sie wird entsprechend der Erkrankung stationär oder halbstationär in einer psychiatrischen Klinik oder ambulant durchgeführt. Hinzu kommen Mal-, Musik-, Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, die teils auch in Kombination angewendet werden; die reine Verwahrung von Patienten ist inzwischen selten. Etwa 6-8 % der Erkrankten werden stationär behandelt (überwiegend auf offenen Stationen). Wesentliche Bedeutung kommt neben der Pharmako- und Psychotherapie der psychosozialen Wiedereingliederung nach einer akuten Krankheitsphase zu. In den letzten Jahren wurden die Angehörigen des Patienten sowie dessen weiteres Umfeld zunehmend in den Behandlungsplan mit einbezogen.
 
Dies gilt auch als Erfolg der Reformbestrebungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die sich v. a. auf die Verminderung der Patientenzahlen in den großen Sonderkrankenhäusern und die Schaffung von Behandlungsmöglichkeiten in Wohnortnähe der Patienten gerichtet haben. Die extremen Forderungen der Antipsychiatrie gelten als überholt. Die wissenschaftlichen Bemühungen der Psychiatrie richten sich auf die Erforschung der Ursachen und die Entwicklung verbesserter Behandlungsmöglichkeiten. In beiden Bereichen wurden während der letzten Jahrzehnte große Fortschritte erzielt.
 
Geschichte:
 
Die Bezeichnung Psychiatrie wurde erstmals 1808 von Johann Christian Reil (* 1759, ✝ 1813) geprägt. Die systematische Zuordnung zum Bereich der Medizin vollzog sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, der erste psychiatrische Lehrstuhl wurde 1811 in Leipzig eingerichtet und von Johann Christian August Heinroth (* 1773, ✝ 1843) vertreten; im selben Jahr kam es zur Gründung des ersten psychiatrischen Krankenhauses in Dresden.
 
Die wissenschaftliche Erforschung der Ursachen ist seit dem 19. Jahrhundert durch zwei widerstreitende Richtungen gekennzeichnet, die bis heute fortwirken. Die Psychiker führten damals alle Erscheinungen auf Erkrankungen der Seele selbst als Folge übermäßiger Emotionen, von Sünde oder moralischer Schuld zurück und betrachteten alle körperlichen Veränderungen als Auswirkung. Heute finden sich diese Gedanken als psychosoziale und biographische Ursachen-Hypothesen, während die Somatiker die alleinige Ursache in körperlich-biologischen Veränderungen (Gehirnstörungen im weitesten Sinn) sehen. Bestimmend für die Vorherrschaft der somatischen Auffassung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert war die Lehre von W. Griesinger, der sich auch für eine »offene Psychiatrie« einsetzte. E. Bleuler verschaffte Anfang des 20. Jahrhunderts der von seelischen Ursachen ausgehenden Psychoanalyse Eingang in die Psychiatrie, die im Laufe des 20. Jahrhunderts zunächst v. a. in den USA, bis etwa Mitte der 1970er-Jahre in abgeschwächter Form auch in Europa, ihren Einfluss verstärkte. Die Psychopathologie erhielt durch K. Jaspers 1913 ihre methodische Begründung.
 
Erste wesentliche Schritte zu einer wissenschaftlichen begründeten Behandlung waren das von J. Wagner von Jauregg 1917 durch Impfmalaria hervorgerufene Heilfieber, die von Hermann Simon (* 1867, ✝ 1947) in den 1920er-Jahren eingeführte Arbeitstherapie, die in den 1930er-Jahren erprobten Formen der Schockbehandlung und die 1936 von A. C. Moniz Egas begründete Methode der Leukotomie (Psychochirurgie). Diese Verfahren wurden überwiegend durch die Einführung der Psychopharmaka in den 1950er-Jahren abgelöst, welche die psychiatrische Behandlung im positiven Sinne revolutionierten. Fortschritte in den Bereichen der Biochemie, Genetik, Neurophysiologie und der bildgebenden Verfahren (Computer- und Kernspintomographie) führten zu einer Verstärkung der somatischen Ursachenforschung, die sich v. a. auf den Einfluss von Hirnstoffwechselstörungen und genetischen Faktoren richtet (so genannte biologische Psychiatrie). Zu einem Missbrauch der Psychiatrie zu totalitären politischen Zwecken kam es in Deutschland während der nationalsozialistischen Herrschaft, in der etwa 200 000 Patienten den Vernichtungsprogrammen zum Opfer fielen; in der Sowjetunion wurden während des Kommunismus Regimekritiker durch Zwangseinweisung in psychiatrischen Kliniken ausgeschaltet.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Gemeindepsychiatrie · Kinder- und Jugendpsychiatrie · Neurose · psychiatrische Klinik · Psychoanalyse · Psychopathie · Psychopathologie · Psychopharmaka · Psychose · Psychotherapie · Schizophrenie · seelische Krankheiten · Sozialpsychiatrie
 
Literatur:
 
D. Eicke: Vom psychiatr. Krankenhaus zur sozialtherapeut. Station (1978);
 Christian Müller: Psychiatr. Institutionen. Ihre Möglichkeiten u. Grenzen (1981);
 E. Bleuler: Lb. der P., bearb. v. M. Bleuler (151983);
 
Lex. der P., hg. v. Christian Müller (21986);
 
Neurolog. u. psychiatr. Therapie, hg. v. K. A. Flügel (21987);
 G. Jervis: Krit. Hb. der P. (a. d. Ital., Neuausg. 1988);
 
P. der Gegenwart, hg. v. K. P. Kisker u. a. (1989);
 U. H. Peters: Wb. der P. u. medizin. Psychologie (41990);
 
Prakt. P., hg. v. H. Barz (Bern 41991);
 
Leitfaden der P., hg. v. A. Friedmann u. K. Thau (Wien 41992);
 T. R. Payk: Checkliste P. (1992);
 G. Huber: P. (51994);
 K. Dörner: Bürger u. Irre. Zur Sozialgesch. u. Wissenschaftssoziologie der P. (31995);
 K. Dörner: u. U. Plog: Irren ist menschlich. Lb. der P./Psychotherapie (Neuausg. 1996);
 D. Ebert: P. systemat. (1995);
 
P., hg. v. V. Faust (1995);
 R. Tölle: P. (111996).

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Psy|chi|a|trie, die; -, -n [zu griech. iatreía = das Heilen]: 1. <o. Pl.> Teilgebiet der Medizin, das sich mit der Erkennung u. Behandlung von Geisteskrankheiten u. seelischen Störungen befasst: ein Facharzt für Neurologie und P.; Beseitigung von Missständen in der P. 2. (Jargon) psychiatrische Abteilung, Klinik: er ... gefährdet sich nun selbst und andere und wird in die P. eingewiesen (Klee, Pennbrüder 118).

Universal-Lexikon. 2012.