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Sozialwissenschaften
Sozialwissenschaften,
 
Sammelbezeichnung für diejenigen Wissenschaften und Forschungszweige, in denen die gesellschaftlichen Aspekte menschlichen Verhaltens und Zusammenlebens sowie die Organisationsgrundlagen, -formen und Rahmenbedingungen menschlicher Vergesellschaftung im Zentrum stehen. Im engeren Sinn gehören hierzu Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften sowie ergänzend Ethnologie, Anthropologie und Sozialpsychologie. Zum weiteren Bereich gehören auch Rechtswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Psychologie und Pädagogik. Vor dem Hintergrund der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft und der Differenzierung zwischen staatlich-politischer, wirtschaftlicher, historischen und im engeren Sinn soziologische Fragestellungen entwickelten sich die Sozialwissenschaften zunächst im 19. Jahrhundert, wobei ältere Einflüsse, Philosophie und Menschenbild der Aufklärung, aber auch die schottische Moralphilosophie und die »Klassiker« der modernen Gesellschaftslehre (A. de Tocqueville, L. von Stein, G. W. F. Hegel und K. Marx) eine wichtige Rolle spielten. In dem Maße, in dem die Naturwissenschaften in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Vorbildcharakter gewannen, entwickelten sich auch für die Geistes-, Kulturwissenschaften und Sozialwissenschaften Versuche, entweder durch die klare Bestimmung eines eigenen Forschungsgegenstandes und einer eigenen Methode oder durch die Übernahme naturwissenschaftlich ausgerichteter Maßstäbe wissenschaftstheoretischer, gesellschaftlicher und politischer Anerkennung zu erlangen (A. Comte, J. S. Mill, W. Dilthey, H. Spencer). Auch wenn in der Folge Selbstverständnis und Eigenwert der Sozialwissenschaften in einer Reihe von Kontroversen (»Methodenstreit« zwischen G. Schmoller und C. Menger; Werturteilsstreit, Positivismusstreit) zur Diskussion standen, hat sich bis heute weder eine genaue Grenze gegenüber den Naturwissenschaften ziehen noch eine am Maßstab der naturwissenschaftlichen Methoden ausgerichtete eigenständige Form der Sozialwissenschaften entwickeln lassen; vielmehr stehen die Sozialwissenschaften als »dritte Kultur« (W. Lepenies) zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und tragen dadurch eher dem Bewusstsein einer wechselnden Zuständigkeit von Theorien für das Sozialwesen Mensch Rechnung.
 
Literatur:
 
G. C. Homans: Was ist S.? (a. d. Amerikan., 21972);
 
Forschungsarbeiten in den S. Dokumentation, hg. vom Informationszentrum für Sozialwiss. Forschung (1973 ff.; jährl.);
 P. G. Winch: Die Idee der S. u. ihr Verhältnis zur Philosophie (a. d. Engl., Neuausg. 1974);
 
Theorienvergleich in den S., hg. v. K. O. Hondrich u. a. (1978);
 K. Achalm: Philosophie der S. (1983);
 J. Habermas: Zur Logik der S. (Neuausg. 1985);
 W. Lepenies: Die drei Kulturen. Soziologie zw. Lit. u. Wiss. (1985);
 R. Dahrendorf: Pfade aus Utopia (41986);
 E. U. von Weizsäcker: Brückenkonzepte zw. Natur- u. S. Selbstorganisation, offene Systeme u. Evolution (21989);
 
Logik der S., hg. v. E. Topitsch (121993);
 M. Hollis: Soziales Handeln. Eine Einf. in die Philosophie der S. (a. d. Engl., 1995).

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So|zi|al|wis|sen|schaf|ten <Pl.>: Gesellschaftswissenschaft (2).

Universal-Lexikon. 2012.