Xenophobie (fachsprachlich); Ausländerfeindlichkeit
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Frẹm|den|feind|lich|keit 〈f. 20; unz.〉 fremdenfeindliches Verhalten, ablehnende Haltung gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen ● eine zunehmende \Fremdenfeindlichkeit beobachten
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Frẹm|den|feind|lich|keit, die:
1. <o. Pl.> fremdenfeindliche Gesinnung.
2. (selten) fremdenfeindliche Handlung.
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Fremdenfeindlichkeit,
Xenophobie [von griechisch xénos »Fremder«, aber auch »Gastfreund«, und phóbos »Furcht«], bezeichnet Haltungen, Einstellungen, Wertentscheidungen und Handlungen, die sich darauf beziehen, Menschen, die von Einzelnen sozialen Gruppen oder ganzen Gesellschaften als »fremd« empfunden werden, oder Verhaltensweisen und kulturelle Muster, die »fremden« Menschen zugeschrieben werden, abzulehnen beziehungsweise aus dem jeweils eigenen Erfahrungsbereich auszugrenzen und die »Fremden« zu vertreiben oder gar zu vernichten.
Der Bandbreite und Häufigkeit der Begriffsverwendung kommt dabei eine empirische und definitorische Unschärfe des Begriffs entgegen, die es möglich macht, ihn als Schlagwort der öffentlichen, politischen und sozialen Auseinandersetzungen zu gebrauchen und ihn somit der politischen Rhetorik zuzuschlagen; in dieser Perspektive gilt Fremdenfeindlichkeit dann nicht so sehr als Beschreibung einer tatsächlich vorhandenen Einstellung oder eines entsprechenden Verhaltens, sondern wird vielmehr als Mittel betrachtet, die Öffentlichkeit zu mobilisieren oder ein politisch unerwünschtes Verhalten zu kritisieren.
Demgegenüber findet sich unter verschiedenen wissenschaftlichen Zugängen (Soziobiologie und Ethologie, Sozialpsychologie, Soziologie, Ethnologie, Pädagogik, Geschichte, Medienwissenschaft, historische Verhaltensforschung und politische Kulturforschung) eine Fülle von Ansätzen, die den Begriff der Fremdenfeindlichkeit theoretisch und empirisch zu fundieren suchen. Schließlich gibt es auch Ansätze einer interdisziplinär angelegten, v. a. kultur- und wissenschaftsgeschichtlich orientierten Fremdenfeindlichkeitsforschung (Xenologie).
Dass sich aus den angesprochenen Arbeitsfeldern keine eindeutige beziehungsweise verbindliche Begriffsdefinition der Fremdenfeindlichkeit ergibt, ist allerdings weniger auf das Unvermögen einer Abstimmung einzelner Forschungsperspektiven noch auf einen möglicherweise undifferenzierten öffentlichen Gebrauch des Wortes zurückzuführen. Vielmehr muss für die Herstellung eines Bedeutungsfeldes Fremdenfeindlichkeit ein Wechselbezug sozialhistorischer und begriffssystematischer Aspekte in Blick genommen werden, da es sich bei Fremdenfeindlichkeit um eine Ableitung handelt, die auf den »asymmetrischen Gegenbegriffen« des »Eigenen« und des »Fremden« beruht, auf Begriffen also, die in einer wechselseitigen Zuschreibung von Eigenschaften des einen, die dem jeweils anderen fehlen, zugleich »darauf angelegt sind, eine wechselseitige Anerkennung auszuschließen« (Reinhart Koselleck [* 1923]) und die, um sozialhistorisch wirksam zu werden, die Existenz einer »Wir-Gruppe« voraussetzen.
Vor diesem Hintergrund stellen die im 19. Jahrhundert einsetzende Ausformung der Fremdenfeindlichkeit zu einem gesellschaftlich umfassenden und mobilisierbaren Vorstellungsmuster (Ideologie) und die (ideologie-)kritische Betrachtung der Fremdenfeindlichkeit im Rahmen der Sozialpsychologie, der politischen Bildung und der damit verbundenen Vorurteilsforschung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aktuelle Formen der Bezugnahme auf Fremdenfeindlichkeit dar. Wissenschaften und Massenmedien können dabei als Verstärkung und Kritik zugleich fungieren und müssen so für die Erklärung, Beschreibung und Bearbeitung des Phänomens der Fremdenfeindlichkeit in all ihrer Zwiespältigkeit in Betracht gezogen werden.
Dass es sich bei Fremdenfeindlichkeit um keine feste Bezugsgröße handelt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die inhaltlichen Bezugsobjekte des Begriffs (»Was ist fremd?«) wechseln können und es hinsichtlich der implizierten Abwehr beziehungsweise der Diskriminierung des Fremden und der verweigerten Anerkennung (Verachtung von Fremdem oder Fremden) Überschneidungen mit den Phänomenen der Ausländerfeindlichkeit (gebunden an die Frage der Staatsbürgerschaft), des Rassismus (gebunden an die Konstruktion von Rasse[n] ) und nicht zuletzt des Antisemitismus (»die« Juden als Fremde par excellence) gibt.
Schließlich ist auch zu bedenken, dass der oder »das Fremde« keineswegs - wie möglicherweise verbreitet angenommen - von sich aus schon die Reaktionen der Abwehr, der Befremdung und Verunsicherung, aus denen dann Feindschaft erwachsen kann, mit sich bringt, sondern zunächst Abwehr und Anziehung zugleich bewirken (D. Claessens), ja nicht zuletzt die Funktion eines neutralen Dritten, eines Beobachters und Schiedsrichters, eines Vermittlers und Erneuerers, in einem für die aufnehmende Gesellschaft notwendigen oder wünschenswerten Sinn (G. Simmel) einnehmen kann.
Für moderne Gesellschaften, die darauf gründen, dass offene Kommunikations- und Mobilitätsstrukturen irreversibel und gesteigert zugleich vorkommen, stellt Fremdenfeindlichkeit ein Hindernis und zugleich eine Aufgabe der politischen, sozialen, pädagogischen und sozialpsychologischen Aufklärung dar.
Geschichte der Fremdenfeindlichkeit und Erklärungsansätze
Als gesellschaftlich relevantes Deutungsmuster setzt Fremdenfeindlichkeit die Existenz eines Gruppenbewusstseins und damit gesellschaftliche Organisation bereits voraus. Während nun soziobiologische und ethologische Ansätze Fremdenfeindlichkeit auf Abwehrmuster zurückzuführen suchen, die in den menschlichen Anlagen bereits vorhanden sein sollen, wobei das »Fremdeln« kleiner Kinder als Beleg dafür genommen wird, dass Unsicherheit, Unbehagen und Abwehr als universale Reaktionsformen gegenüber Fremdheit aufgefasst werden können, weisen Soziologen, Historiker und Anthropologen zum einen darauf hin, dass die Ausbreitung und die Förderung von Fremdenfeindlichkeit gerade nicht universal oder mit evolutionsbiologischer Notwendigkeit verknüpft vorkommen, sondern, wie andere soziale Verhaltensmuster und Einstellungen auch, sozial hergestellt werden, an gesamtgesellschaftlichen Leitvorstellungen, an soziale Erfahrungen und ebenso an soziale Konflikte und individuelle Problemlagen geknüpft sind und mit diesen in ihren Funktionen und Erscheinungsformen variieren können. Zum anderen kann der Zivilisationsprozess als Form sozialer Evolution gerade so verstanden werden, dass er darauf angelegt ist, atavistische Reaktionsmuster, zu denen dann auch eine unvermittelte Fremdenfeindlichkeit zu zählen wäre, einzudämmen, aufzuweichen und durch weniger rigide Verhaltensmuster zu ersetzen. Dies nicht allein deshalb, weil Fremdenfeindlichkeit inhuman wäre, sondern v. a. auch deshalb, weil die Öffnung abgeschlossener Gruppengrenzen eine Voraussetzung für Kommunikation und Handel und damit für den Prozess der sozialen Evolution schlechthin darstellt.
Tatsächlich aber ist gerade für die geschichtliche Perspektive wichtig, dass eine heutige Betrachtung der Fremdenfeindlichkeit unter zwei miteinander konkurrierenden, aber auch einander ergänzenden Leitvorstellungen steht, die beide als Ergebnis eines in Europa im 18. Jahrhundert einsetzenden, inzwischen global wirksam gewordenen Industrialisierungs- und Modernisierungsprozesses zu sehen sind: Ökonomisches Nutzenkalkül und Menschenrechte (Leo Kreutzer) stellen für die Beschreibung, die Analyse und auch für die Kritik der Fremdenfeindlichkeit die Maßstäbe dar, unter denen - von heute aus - individuelle oder kollektive Handlungen und Einstellungen, soziale und rechtliche Regelungen sowie politische Entscheidungen stehen und gewertet werden können. Eine Geschichte der Fremdenfeindlichkeit, beginnend mit den frühen Hochkulturen, muss daher immer beides im Blick halten: Einrichtungen und Erscheinungen im Umgang mit dem Fremden dienen, funktionalistisch betrachtet, in der Regel der Steuerung des Zugangs zu einer bestimmten Gruppe oder dem Erhalt der bestehenden Gruppenstrukturen. Wie stark dabei Fremdheit als Regelungs- und nicht nur als Ausgrenzungsproblem gesehen wird, kann bereits am Wortfeld des griechischen »xénos« abgelesen werden: »der Fremde, Fremdling, im fremden Lande Verweilende...« Er stand als solcher unter dem Schutze des »Zeus xénios« und konnte deshalb früher überall auf Hilfe und Schutz rechnen.« Historisch stehen daher bis zur Neuzeit Erscheinungen und soziale Reaktionsmuster der Fremdenfeindlichkeit stets im Wechselbezug zu gesellschaftlichen Bezugnahmen und Institutionen der Befreundung mit dem (den) Fremden, der Schutzgewährung, der Assimilation und der Integration.
Eine radikale Fremdenfeindlichkeit mit dem Ziel der Ausmerzung und Vernichtung des Fremden blieb dagegen dem 20. Jahrhundert, genauer den seit dem 19. Jahrhundert sich entwickelnden Ideologien der Ausgrenzung vorbehalten, die wie der Kronjurist des Nationalsozialismus Carl Schmitt es formulierte, im Verhältnis zum Fremden die Möglichkeit äußerster Feindschaft begründet sehen: »Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein... Er bleibt aber ein Anderer, ein Fremder. (...) Der Feind ist in einem besonders intensiven Sinne existenziell ein Anderer und Fremder, mit dem im extremen Fall existenzielle Konflikte möglich sind.«
Werden dagegen Ergebnisse der Ethnologie auf frühere vorstaatliche Gruppenstrukturen zurückbezogen, so erscheint der Umgang mit dem Fremden bereits dort von einer grundlegenden Doppelgesichtigkeit geprägt zu sein: Abgrenzung und Austausch treten als Möglichkeiten nebeneinander; eine im modernen Sinn ausschließende Fremdenfeindlichkeit scheint es, von extrem hierarchisch und militärisch gegliederten Eliten oder äußersten Notlagen abgesehen, nicht gegeben zu haben, vielmehr hat W. E. Mühlmann in diesem Zusammenhang auf die Ethnogenese antiker Völker durch Asylgewährung hingewiesen. Als gesellschaftliches Phänomen lässt sich Fremdenfeindlichkeit daher nur im Zusammenhang wechselnder Strömungen und Konjunkturen der Auseinandersetzung mit Fremdheit und im Rahmen jeweiliger gesellschaftlicher Problemlagen beschreiben. Treten in der jüdischen Tradition Abgrenzung gegenüber dem Fremden und Zuwendung, ja Achtung des Fremden als eines möglichen Boten Gottes als Gegenpole in Erscheinung, wobei der Akzent aufseiten des Schutzes der Fremden liegt, wird der Umgang mit dem Fremden in der antiken griechischen Kultur zur Aufgabe der städtischen Politik, die sich ihrerseits allerdings auf göttlichen und mythische Vorgaben (Asylgewährung im Namen lokaler oder übergreifender Gottheiten) berufen kann. Stoische Philosophie und christliche Weltverständnis erweitern die Bedeutung des Fremden dahin, dass potenziell jeder als Fremder auf Erden, damit zugleich aber auch als möglicher Vertrauter anzusehen ist; Fremdheit wird transitorisch begriffen und umfasst dabei auch die Dimensionen eines Wanderns zwischen Diesseits und Jenseits und zwischen verschiedenen Sphären des Universums, eine Erfahrung, die jeden betreffen kann. Im Unterschied zur Neuzeit kennen weder Antike noch Mittelalter den Fremden als grundlegend (substanziell) unterschiedene Kategorie; Fremdenfeindlichkeit bleibt auf das Verhalten von Individuen und Gruppen und deren Interessenpolitik beschränkt, ohne den Organisationsgrad und die Legitimität eines gesellschaftlich relevanten oder gar durchschlagenden Ideensystems zu erreichen. Vorläufer und Probestück der modernen Fremdenfeindlichkeit ist dagegen die in der Folge der Kreuzzüge in Europa einsetzende Judenfeindlichkeit, aus der sich im 19. Jahrhundert der moderne Antisemitismus als vermeintlich »wissenschaftlich« begründbare Weltanschauung entwickelt, in deren Folge die Juden zu »den Fremden« schlechthin (Hannah Arendt) werden können und die die Verfolgung und Ausgrenzung der Juden zum Muster der Fremdenfeindlichkeit für spätere Verfolgungen und Vernichtungsaktionen werden lässt.
In entsprechender Weise sehen sich die Europäer durch die Ergebnisse ihrer Entdeckungsfahrten vor die Notwendigkeit gestellt, die dort gemachten unerwarteten Erfahrungen zu deuten; vor diesem Hintergrund lässt sich die europäisch-überseeische Geschichte als Reservoir der Konstruktionen von Fremdheit und als Formationsraum neuzeitlicher Fremdenfeindlichkeit untersuchen. Eine weitere Quelle der Fremdenfeindlichkeit mit dem Hang zur systematischen Bekämpfung und Ausgrenzung des Fremden stellen Entstehung und Formation der frühneuzeitlichen Territorialstaaten in Europa seit dem 16. Jahrhundert dar. Angesichts ausgeprägter räumlicher Mobilität, die einerseits die fließenden, noch unerfassten Übergänge und Passagemöglichkeiten des Mittelalters fortsetzt (Julia Kristeva) und andererseits durch die den Umbruch zur Neuzeit begleitenden Kriege, Katastrophen und soziale Veränderungen verstärkt wird, geht es bei der Durchsetzung territorialstaatlicher Regelungen vor allem darum, die Anerkennung von Herrschaft (und der damit verbundenen Ordnungsmuster) durchzusetzen. »Aufrichtung von Herrschaft bedarf der Definition des »Normalen« durch Ausgrenzung. (...) Die Abwehr der Fremden dient der Binnenstabilisierung, sowohl der Individuen als auch des ganzen Gemeinwesens.« (Michael Stolleis [* 1941]). Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in den Jahrhunderten der »großen Einschließung« (M. Foucault), nimmt dabei die Fremdenfeindlichkeit immer systematischere Züge an, wobei, auch dies charakteristisch für die mit der modernen Staatenbildung einhergehende Monopolisierung der Gewaltprozesse, brutale Austreibung zunehmend von gesetzlichen Regelungen wenn nicht ersetzt, so doch begleitet wird. Sicherheitspolitische, kriminologische und hygienische (Fremde als Träger ansteckender Krankheiten) Aspekte stehen bei der Abwehr von Fremden im 17. Jahrhundert im Vordergrund. Erste wohlfahrtsstaatliche Ansätze spielen ebenfalls eine Rolle und überlagern die älteren, noch aus christlichen Ordnungsmodellen des Spätmittelalters bestehenden kommunalen und klerikalen Hilfseinrichtungen für Landlose, Arme und andere Fremde.
Im 18. Jahrhundert werden die Grundlagen für die bis in die Gegenwart andauernde zwiespältige Behandlung des Fremden und damit auch für die moderne Fremdenfeindlichkeit gelegt. Zum einen entsteht mit festen Staatsgrenzen und den im 19. Jahrhundert diese legitimierenden nationalen Ausgrenzungsstrategien sowie mit einer entsprechenden Arbeitsethik und einer nationalstaatlich entwickelten Marktökonomie ein Rahmen für entsprechende Ausgrenzungen und Abwehrhaltungen, den auch die klassifikatorischen Bestrebungen der Aufklärung noch zu stützen vermögen. Zum anderen werden aber im 18. Jahrhundert universalistisch auslegbare Menschenrechte formuliert, zu denen auch die Rechte der Freizügigkeit und der sozialen Mobilität zählen, sodass sich von ihnen aus ein Standard für einen humanen Umgang mit Fremden formulieren lässt. So sehr sich auch im 19. und 20. Jahrhundert einerseits Erfahrungen und Regelungen bestimmen lassen, die darauf zielen, den Umgang mit Fremden zu humanisieren, so sehr schaffen die zur gleichen Zeit durch globale Modernisierung und Industrialisierung angestoßenen Umbruchs-, Desintegrations- und Diskriminierungserfahrungen andererseits die Voraussetzungen dafür, dass sich mit der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert Fremdenfeindlichkeit in einer historisch beispiellosen Weise zeigen konnte.
Unter den Bedingungen einer zunehmenden globalen Mobilität und Migration, die sich auf weltweit operierende Informationsnetze, Produktions- und Konsumstrukturen sowie auf global spürbare Auswirkungen ökologischer Katastrophen und politischer Krisen zurückführen lassen, nehmen in der Gegenwart - gerade angesichts auch binnenstaatlich verschärfter Verteilungskämpfe um gesellschaftlich knappe Güter (Arbeitsplätze, Rohstoffe, Erfolgsaussichten, Bildung) - auch in den reichsten Staaten fremdenfeindliche Haltungen, Einstellungen und Aktionen in ihrer öffentlichen Beachtung wieder zu.
Dabei ist festzustellen, dass es nicht nur einzelne Akteure oder bestimmte soziale Gruppen sind, die zur Kompensation eigener Misserfolge oder zur Mobilisierung im Sinne eigener Interessendurchsetzung Fremdenfeindlichkeit nutzen, sondern ebenso kulturelle Eliten und Massenmedien, die Fremdenfeindlichkeit mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger offen, als Thema und Mittel der eigenen Selbststabilisierung in Gebrauch nehmen.
Bis zum Aufstieg bürgerlicher Gesellschaft an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war Fremdenfeindlichkeit in der Regel fragmentarisiert, unsystematisch und niemals ganz durch die jeweils herrschenden Ideensysteme legitimiert. Erst mit einer als Grundstruktur der europäischen Neuzeit anzusprechenden »Fundamentalpolitisierung« (K. Mannheim) aller gesellschaftlichen Beziehungen konnte Fremdenfeindlichkeit zu einem Politikmittel, mehr noch zur Legitimation gewalttätiger Politik und zu einer Ideologie werden, die - wie im Nationalsozialismus und bei Carl Schmitt - die »totale« Vernichtung der Fremden als Ziel ausweisen konnte.
Das Gegenstück zu dieser Entwicklung findet sich in der UN-Menschenrechts-Charta von 1948, die in der Tradition der Menschenrechtserklärungen der Aufklärung individuelle Fremdenfeindlichkeit einzugrenzen und Fremdenfeindlichkeit als mobilisierende soziale Erscheinungen aufzulösen oder zu überwinden trachtet. An sie und das damit verbundene Modell einer auf Freiheit, Gleichheit, Gewaltverzicht und Menschenrechten aufbauenden Politik knüpfen politische, soziologische und pädagogische Bemühungen an, die darauf zielen, Fremdenfeindlichkeit zu überwinden.
Fremdenfeindlichkeits-Forschung
In ihren Anfängen stand die Erforschung von Fremdenfeindlichkeit unter dem Eindruck der Erfahrungen organisierter Fremdenfeindlichkeit im Zusammenhang des Nationalsozialismus. Erste, v. a. sozialpsychologisch orientierte Erklärungsansätze und Untersuchungen entstanden im Rahmen mit der nach 1945 sich formierenden Vorurteilsforschung (T. W. Adorno, G. W. Allport), den Studien zum Antisemitismus (Ernst Simmel, Hannah Arendt) und, anschließend an ältere Konzepte der Migrationsforschung in den USA (Chicago-Schule), im Zusammenhang mit der Erforschung von Wanderungs- und Assimilationsprozessen. Nachdem sich in den 1960er-Jahren, nicht zuletzt unter dem Eindruck der sich stabilisierenden demokratischen Strukturen in Westeuropa auch hinsichtlich der Fremdenfeindlichkeit die Erwartung fand, sie werde durch die Ausbreitung von Massenkonsum und wohlfahrtsstaatlichen Sicherungen sowie durch weltweite Demokratisierungs-, Bildungs- und Entwicklungsschübe abgebaut werden können, und marxistisch beeinflusste sozialwissenschaftliche Ansätze in den 1970er-Jahren in Fremdenfeindlichkeit vor allem einen Reflex kapitalistischer Strukturen sehen wollten, der mit der Beseitigung derselben auch als Problem sich auflösen würde, haben die wirtschaftlich, politisch und soziostrukturell unübersichtlicheren 1980er-Jahre hier die Aufmerksamkeit erneut auf das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit selbst gelenkt. Dabei haben Untersuchungen über andauernde Fremdenfeindlichkeit gerade in den hoch entwickelten Ländern (SINUS 1981) ebenso eine Rolle gespielt wie die Zunahme weltweiter Migrationsbewegungen, wenn auch die meisten nicht direkt mit Europa zu tun hatten, das Öffnen von bisher im Ost-West-Konflikt erstarrten Grenzen und kontinuierlich anhaltende fremdenfeindliche Aktionen, die zumal in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften Westeuropas Jugendliche und zum Teil gesellschaftlich gut situierte Tätergruppen am Werk sahen, was die Hoffnungen auf Bildungsprozesse und soziale Maßnahmen als Hilfen gegen Fremdenfeindlichkeit erheblich minderte. Zudem haben auch ein wachsendes Wählerpotenzial für Parteien und Politikstile, die auf Fremdenfeindlichkeit bauen, in einer Reihe von europäischen Staaten (Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien) und erneut in Erscheinung tretender Antisemitismus sowie eine sich offen zeigende Fremdenfeindlichkeit in den postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas das Interesse an der Erforschung von Fremdenfeindlichkeit verstärkt.
Neben dieser aus einer Abwehr von Fremdenfeindlichkeit reagierenden Perspektive gibt es allerdings auch eine in den USA und anderen Einwanderungsländern seit längerem betriebene Forschungsrichtung, die Fremdenfeindlichkeit unter der Perspektive eines erwünschten Zusammenlebens von unterschiedlichen Gruppen (Multikulturalismus) betrachtet und entsprechend als Störfaktor untersucht.
Schließlich haben fremdenfeindliche Politikkonzepte erneut Vorstellungen belebt, die in Fremdenfeindlichkeit eine »natürliche« oder sonstwie vorgegebene Disposition sehen wollen und denen weniger Fremdenfeindlichkeit als die Fremden Anlass der Beunruhigung zu sein scheint.
Anthropologische, damit sich überschneidend, auch ethologische und soziobiologische Ansätze verweisen in der Regel auf mehr oder weniger im Einzelnen Menschen und in sozialen Gruppen anzutreffende Abwehrhaltungen gegenüber Fremdem, die sich im Falle der Fremdenfeindlichkeit unter bestimmten Bedingungen, z. B. Herrschaftssicherung, Zuwanderungsdruck, materielle Not oder andere Stressfaktoren verschärfen können und damit als soziale Reaktionsmuster, z. B. als Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit, in Erscheinung treten können.
In individual- und sozialpsychologischer Hinsicht werden v.a. Ichschwäche, repressive Selbstkonzeptionen und mangelnde Gruppenidentität oder fehlende soziale Stabilisierungen angeführt, wenn es darum geht, fremdenfeindliche Reaktionsmuster zu erklären, wobei aus der Sicht beider Zugänge Fremdenfeindlichkeit einen Mangel an Stärke bezeugt und damit auf misslingende Sozialisations- und Identitätsfindungsprozesse verweist.
In soziologischer Hinsicht werden v. a. soziale Rahmenbedingungen genannt, die als »gesellschaftliche Desintegrationserfahrungen« (Wilhelm Heitmeyer [* 1945]) Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft erzeugen können; hierzu sind etwa sich auflösende familiäre Bindungen, Chancenlosigkeit in der Berufsperspektive, die Auflösung von traditionellen Milieus, Wohnformen und Handlungsräumen im Zuge beschleunigten sozialen Wandels und eine Pluralisierung oder ein Verlust von gesellschaftlichen Normen und Werten zu zählen.
In politikwissenschaftlicher Hinsicht werden zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit mangelnde politische Bildung, z. B. hinsichtlich möglicher Toleranz und hinsichtlich des Zusammenlebens in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft genannt, ebenso werden aber auch die schwindende Bindekraft der herkömmlichen Parteien und politischen Lager sowie nicht zuletzt mangelnde politische Steuerung oder die mehr oder weniger bewusste Manipulation von Fremdenfeindlichkeit zur jeweils eigenen Interessendurchsetzung ins Feld geführt. Unter eher interdisziplinärer Perspektive findet sich der Ansatz, psychoanalytische Sozialisationstheorie mit historischen Studien und soziologische Analyse zu verbinden, Fremdenfeindlichkeit als Ausdruck einer Abwehr des eigenen Unbewussten und der damit verbundenen Gefährdung der mühsam erworbenen Ichbalance samt aller Unterdrückungsmechanismen zu verstehen.
Auch in anderen Wissenschaften, so in der Pädagogik (»antirassistische Erziehung«), in der Frauenforschung (da vielfach Frauen und Fremde vergleichbaren Diskriminierungen unterworfen sind) und in der Medienanalyse, ist Fremdenfeindlichkeit ein zentrales Thema geworden; hier nicht zuletzt unter der Perspektive, den Beitrag der Medien zur Herstellung und Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit zu untersuchen, Medien zugleich aber auch zur Aufklärung über und zur Abwehr von Fremdenfeindlichkeit zu nutzen. Dieser Ansatz wird nicht zuletzt durch Untersuchungen gestützt, die - Kommunikationstheorie mit historischen Studien verbindend - darauf hinweisen, dass öffentliche Sanktionen auch langfristige individuelle Einstellungen verändert haben und verändern können.
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
menschliches Verhalten: Zwischen Kooperation und Konkurrenz
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Frẹm|den|feind|lich|keit, die: 1. feindselige Haltung gegenüber Menschen aus einer anderen Region, einem anderen Volk od. Kulturkreis: die F. nimmt immer mehr zu. 2. (selten) fremdenfeindliche Handlung.
Universal-Lexikon. 2012.