Harun ar-Raschids Herrschaft in Bagdad
Das Omaijadenreich hatte mit immer größeren Problemen zu kämpfen, und die Zahl der Unzufriedenen vergrößerte sich im Osten, wo die Anhänger des ermordeten Kalifen Ali, die Schiiten, mächtig wurden. Die Aufständischen erhoben sich und konnten 749 in die irakische Stadt Kufa einmarschieren. Dort wurde einem Mitglied der Familie des Onkels des Propheten, Abul Abbas As Saffah (749-54), als neuem Kalifen gehuldigt.
Dieser erste Herrscher aus der Dynastie der Abbasiden ging erbarmungslos gegen die Omaijaden vor und ließ deren Familienmitglieder bei einem Festbankett köpfen. Der letzte Kalif von Damaskus, Merwan II., wurde 750 geschlagen und fand einige Monate später in Ägypten den Tod. Der zweite abbasidische Kalif, Abu Djafar Al Mansur (754-75), ließ eine neue Hauptstadt errichten, die den Namen »Stadt des Friedens« (»Madinat As Salam«) erhielt, jedoch setzte sich der Name des alten Ortes, Bagdad, durch. Diese groß angelegte Stadt mit ihren Toren, die in die vier Himmelsrichtungen wiesen, sollte den Anspruch des Herrschers auf Weltmacht unterstreichen.
Doch erst mit Harun Ar Raschid (786-809, »Harun«, »der Weise, Vernünftige«), sollte das Reich seinen Höhepunkt erleben. Bagdad durchlief seine Blütezeit als Hauptstadt, und Harun ging nicht zuletzt als Förderer von Kunst und Wissenschaft in die Geschichte ein. Er ließ unzählige Handschriften aus Konstantinopel nach Bagdad schaffen, wo sie bearbeitet werden sollten. Unter dem zweiten Sohn von Ar Raschid, Al Mamun (813-33), konnten die Wissenschaften einen hohen Entwicklungsstand erreichen. Der aufgeklärte Kalif gründete ein Schulzentrum (»Bait Al Hikma«, »Haus der Weisheit«), in dem systematisch die erworbenen altgriechischen Handschriften durch christliche Übersetzer ins Arabische übertragen wurden. Die islamischen Gelehrten beschäftigten sich damit und kommentierten sie. So vermittelten sie dem europäischen Mittelalter das Erbe der antiken hellenischen Welt häufig besser als die meisten lückenhaften und verfälschten späteren griechischen Versionen.
Islamische Gelehrte, wie etwa der bedeutendste Arzt und Philosoph des Islam, Avicenna (Ibn Sina, 980-1037), ferner Averroes (Ibn Ruschd, 1126-98), der als wichtigster und bekanntester Kommentator des Aristoteles Religion und Philosophie zu verbinden suchte, oder der maghrebinisch-arabische Historiograph Ibn Chaldun (1332-1406) genossen im Abendland lange Jahrhunderte großes Ansehen.
Die politische Organisation des Reiches als ein islamisches mit nicht-arabischer Teilbevölkerung wurde unter Harun Ar Raschid und seinen Nachfolgern durch einen persisch geprägten Verwaltungsapparat bestimmt. Die Kultur der Araber wurde wesentlich bereichert, indem auf persisch-sassanidische Modelle zurückgegriffen wurde. Das Arabische, die Sprache des Korans, bekam eine universale Dimension als Sprache der Religion und der Wissenschaften.
Haruns Reich erstreckte sich vom westlichen Mittelmeer bis nach Indien, und abendländischen Quellen zufolge soll er mit Karl dem Großen Gesandtschaften und Geschenke getauscht haben. Die beiden Herrscher verband ihre Gegnerschaft zu den Omaijaden und zu Byzanz; die Beziehungen beider Höfe führten zu einem Schutzrecht Karls über die heiligen Stätten in Jerusalem, das ihm arabische Gesandte 800 in Rom antrugen.
Die zunehmende Ausdehnung des Reiches ließ die innergesellschaftlichen Widersprüche sichtbar werden, und im 9. Jahrhundert begannen sich in den einzelnen Provinzen zentrifugale Mächte zu bilden, die die Autori tät des theokratisch regierenden Kalifen schwächten. Im 10. Jahrhundert wurde der arabische Kalif zur Marionette der iranischen Bujiden, deren Emir sich 978 vom Kalifen in Bagdad selbst zum König krönen ließ, während in Ägypten die schiitische Dynastie der Fatimiden den Kalifentitel führte; später residierte selbst der Bagdader Kalif bis zu seiner endgültigen Entmachtung durch die Osmanen im Jahre 1517 in Kairo.
Universal-Lexikon. 2012.