Moskauer Vertrag
Die Vorverhandlungen in Moskau führte ab Ende Januar 1970 der Staatssekretär im Bundeskanzleramt und enge Vertraute Willy Brandts, Egon Bahr. Sie gestalteten sich anfänglich schwierig, da die sowjetische Seite auf der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch Bonn bestand, während die Bundesrepublik vorrangig ein Gewaltverzichtsabkommen anstrebte. Im Verlauf der Gespräche und nach Abstimmung mit dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon gab die Bundesregierung Bahr freie Hand, auch »konkrete Tatbestände« miteinzubeziehen, also auch über die Grenzen zu sprechen. Das deutsche Eingehen auf die von dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko geforderten Grenzgarantien hatte auf sowjetischer Seite zur Folge, dass jetzt die völkerrechtliche Anerkennung der DDR im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss fallen gelassen wurde. Das vorzeitig durch eine Indiskretion in der Bundesrepublik bekannt gewordene Verhandlungsdokument - als Bahr-Papier in einer westdeutschen Illustrierten veröffentlicht - führte zu einer heftigen innenpolitischen Auseinandersetzung, da die Opposition darin den Beweis zu erkennen glaubte, dass die Bundesregierung zu eilfertig verhandelt und unveräußerliche Rechtspositionen aufgegeben oder nicht sorgfältig genug abgesichert habe.
Die Abschlussverhandlungen in Moskau führte Bundesaußenminister Walter Scheel. Am 12. August 1970 unterzeichneten die Regierungschefs Brandt und Kossygin sowie die Außenminister Scheel und Gromyko in Moskau des Vertragswerk. Der Vertrag besteht aus vier Artikeln. Während in Artikel I beide Staaten bekunden, »die Normalisierung der Lage in Europa und die Entwicklung friedlicher Beziehungen zwischen allen europäischen Staaten zu fördern«, wird in Artikel II die Verpflichtung ausgesprochen, »sich. .. in ihren gegenseitigen Beziehungen. .. der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten«. In Artikel III verpflichten sich beide Staaten, »die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten, sie erklären, dass sie keine Gebietsansprüche gegen irgendjemand haben und solche in Zukunft auch nicht erheben werden, sie betrachten heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich. .. einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Volksrepublik Polen bildet, und der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik«. Artikel IV vermerkt, dass die von beiden Staaten früher abgeschlossenen zwei- und mehrseitigen Verträge durch diesen Vertrag nicht berührt werden.
Zur unmissverständlichen Klarstellung der Position der Bundesrepublik Deutschland schrieb Bundesaußenminister Scheel an den sowjetischen Außenminister Gromyko den »Brief zur deutschen Einheit«, der von der Sowjetunion zwar ohne formelle Bestätigung, aber auch ohne Widerspruch entgegengenommen wurde und somit nach völkerrechtlichen Gepflogenheiten Bestandteil des Vertragswerks wurde. In diesem Brief betonte Scheel, dass der »Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt«.
II
Mọskauer Vertrag,
Deutsch-Sowjetischer Vertrag, Vertrag vom 12. 8. 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR über einen umfassenden Gewaltverzicht (gemäß Art. 2 der UN-Charta) und die territoriale Unverletzlichkeit aller Staaten in Europa auf der Basis der bestehenden Grenzen, für die Bundesrepublik unterzeichnet von Bundeskanzler W. Brandt und Außenminister W. Scheel, für die UdSSR von Ministerpräsident A. Kossygin und Außenminister A. Gromyko, trat am 3. 6. 1972 in Kraft. Im Zuge der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung und zur Förderung der Entspannung in Europa erklärten beide Vertragspartner u. a., dass sie keine Gebietsansprüche gegen irgendjemand hätten und solche in Zukunft auch nicht erheben würden; sie betrachteten die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich, einschließlich der Oder-Neiße-Linie (als Westgrenze Polens) sowie der innerdeutschen Grenze. Damit erkannte erstmals eine Bundesregierung die territorialen Veränderungen des Zweiten Weltkrieges für Deutschland an; der Vertrag selbst schuf eine neue Grundlage für die deutsch-sowjetischen Beziehungen. - In einem Brief zur deutschen Einheit stellte die Bundesrepublik fest, dass der Vertrag nicht im Widerspruch zu ihrem Ziel stehe, auf einen Friedenszustand in einem Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlange. Die deutsche Frage wurde weiterhin als offen erklärt.
Universal-Lexikon. 2012.