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Pirandello
Pirandẹllo,
 
Luigi, italienischer Schriftsteller, * Agrigent 28. 6. 1867, ✝ Rom 10. 12. 1936; war nach altphilologischen und romanistischen Studien in Palermo, Rom und Bonn (hier 1891 Promotion) in Rom journalistisch tätig und lehrte dort 1897-1922 italienische Literatur am Istituto Superiore di Magistero. Nach ersten Bühnenerfolgen leitete er 1925-28 das von ihm begründete »Teatro d'Arte«, mit dessen Truppe er Gastspiele in Europa und Amerika gab. 1929 wurde Pirandello Mitglied der Accademia Reale d'Italia; 1934 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. - Pirandello ist einer der bedeutendsten Dramatiker und Erzähler des 20. Jahrhunderts. Mit seinen Schauspielen erneuerte er das italienische Theater, das im 19. Jahrhundert keine originären nationalen Traditionen hervorgebracht hatte, darüber hinaus wirkte er bahnbrechend für neue, antiillusionistische Verfahrensweisen im modernen Welttheater. Pirandellos Grundthema ist das unentwirrbare Beziehungsgeflecht zwischen Schein und Sein, Wahn und Wirklichkeit, dem das Individuum isoliert gegenübersteht, dazu bestimmt, sich selbst zu betrügen. Das Theater erhält dabei eine zentrale Funktion: In seinem berühmtesten Stück, »Sei personaggi in cerca d'autore« (1921; deutsch »Sechs Personen suchen einen Autor«), wird die Unmöglichkeit demonstriert, authentische Wirklichkeit auf der Bühne darzustellen, in »Enrico IV« (1922; deutsch »Heinrich IV.«) bietet die Flucht in den Wahnsinn, der zugleich Theater ist, der Titelgestalt die Möglichkeit zum Überleben, in »Così è (se vi pare)« (1918; deutsch »So ist es, wie es Ihnen scheint«, auch unter dem Titel »So ist es - wie Sie meinen«) wird die Suche nach der Wahrheit überhaupt ad absurdum geführt.
 
Das Thema der verlorenen Identität beherrscht auch die Novellen und Romane Pirandellos, seit er mit dem Roman »Il fu Mattia Pascal« (1904; deutsch »Mattia Pascal«, auch unter dem Titel »Der gewesene Matthias Pascal«) in Europa bekannt wurde; bis zur äußersten Konsequenz getrieben ist es in »Uno, nessuno e centomila« (1926; deutsch »Einer, keiner, hunderttausend«), wo der Persönlichkeitsverlust der Hauptfigur von der philosophischen Reflexion des Autors begleitet wird. Meisterwerke im Kontext der Erzähltraditionen der klassischen Moderne sind Pirandellos der gleichen Problematik geltenden rund 240 Novellen (»Novelle per un anno«, 15 Bände, 1922-37, deutsche Auswahlen seit 1925 unter verschiedenen Titeln, u. a. als »Novellen für ein Jahr«), die die narrativen Techniken des italienischen Verismus durch die leidenschaftliche Strenge der psychologischen Fundierung weit hinter sich lassen. In seinem Essay »L'umorismo« (1908; deutsch »Der Humor«) legt Pirandello, Tendenzen der europäischen Avantgardebewegungen vorwegnehmend, intellektuelles und poetologisches Zeugnis über sein literarisches Schaffen ab.
 
Weitere Werke: Dramen: Il beretto a sonagli (Uraufführung 1917, erschienen 1925; deutsch Die Paduaner Mütze, auch unter dem Titel Die Narrenkappe); Liolà (1917, zuerst in sizilianischem Dialekt, dann italienisch; deutsch Hahn im Korb, auch unter dem Titel Liolà); Pensaci, Giacomino (1918; deutsch Professor Toti); Il piacere dell'onestà (1918; deutsch Die Wollust der Anständigkeit, auch unter dem Titel Das Vergnügen, anständig zu sein); Come prima, meglio di prima (1921; deutsch Besser als früher, auch unter dem Titel Wie damals, besser als damals); Vestire gli ignudi (1923; deutsch Die Nackten kleiden); Ciascuno a suo modo (1924; deutsch Jeder nach seiner Art, auch unter dem Titel Jeder auf seine Weise); La vita che ti diedi (1924; deutsch Das Leben, das ich dir gab); Come tu mi vuoi (1930; deutsch Wie du mich willst); I giganti della montagna (1937; deutsch Die Riesen vom Berge).
 
Romane: Le due maschere (1914); E domani lunedì (1917); I quaderni di Serafino Gubbio, operatore (1925; deutsch Kurbeln! Aus den Tagebuchaufzeichnungen des Filmoperateurs Serafin Gubbio); La favola del figlio cambiato (1933; deutsch Die Legende vom vertauschten Sohn).
 
Ausgaben: Maschere nude, 30 Bände (1922-33); Opere, herausgegeben von C. Alvaro u. a., 6 Bände (1-121971-86); Tutte le poesie, Einführung von F. Nicolosi (1982); Tutti i romanzi, herausgegeben von G. Macchia und anderen, 2 Bände (61984).
 
Deutsche Gesamtausgabe, herausgegeben von H. Feist, 3 Bände (1925-26); Romane. Deutsche Gesamtausgabe, herausgegeben von demselben, 3 Bände (1927); Dramen, 2 Bände (1960-63); Novellen für ein Jahr, übersetzt von L. Rüdiger, 2 Bände (1983); Caos. Gedanken - Skizzen - Überlegungen, übersetzt von E. Wendt-Kummer (1987); Gesammelte Werke, herausgegeben von M. Rössner, auf 16 Bände berechnet (1997 folgende).
 
Literatur:
 
F. Rauhut: Der junge P. oder das Werden eines existentiellen Geistes (1964);
 
Der Dramatiker P. 22 Beitr., hg. v. F. N. Mennemeier (1965);
 A. Barbina: Bibliografia della critica pirandelliana, 1889-1961 (Florenz 1967);
 M. Martini: P. ou Le philosophe de l'absolu (Genf 1969);
 R. Matthaei: L. P. (21972);
 I. Schenk: L. P. - Versuch einer Neuinterpretation (1983);
 
P.-Studien. Akten des 1. Paderborner P.-Symposiums, hg. v. J. Thomas (1984);
 
P. u. die Naturalismus-Diskussion. Akten des 2. Paderborner P.-Symposiums, hg. v. J. Thomas: (1986);
 R. Barilli: P., una rivoluzione culturale (Mailand 1986);
 P. Agostini: Lo spazio della notte. P., le novelle, il simbolo (ebd. 1988);
 
Theatralisierung der Wirklichkeit u. Wirklichkeit des Theaters. Akten des 3. P.-Kolloquiums in Wien, hg. v. M. Rössner u. a. (1988);
 D. Maceri: Dalla novella alla commedia pirandelliana (New York 1991);
 R. Alonge: L. P. (Rom 1997).
 
Zeitschrift: Pirandellian studies (Lincoln, Nebr.,1985 ff.).

Universal-Lexikon. 2012.