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Rechtstheorie
Rechts|theorie,
 
Richtung der Rechtsphilosophie, die sich wissenschaftssystematisch, methodisch, inhaltlich und durch ihre Forschungsgebiete von dieser abzugrenzen sucht. Der Untersuchungsbereich der Rechtstheorie ist gekennzeichnet durch ein verstärktes Interesse an Normtheorie, Semantik, Syntax und Pragmatik der Rechtssprache, Metaethik, juristische Rhetorik, Gesetzgebungstheorie, Rechtslogik, deontische Logik, juristische Methodenlehre und Wissenschafts-, Argumentations-, Struktur- und Entscheidungstheorie des Rechts. Demgegenüber treten die klassischen, materiellen Begründungs- und Gerechtigkeitsfragen der Rechtsphilosophie zurück. Entsprechend orientiert sich die Rechtstheorie wissenschaftssystematisch weniger an der traditionellen Philosophie, sondern - ähnlich wie die angelsächsische Philosophie - stärker an Wissenschaftstheorie, Logik, Sprachtheorie, Kybernetik und Rechtssoziologie. Die Methode ist durch sprachanalytische, logisch-systematische und empirisch-deskriptive Vorgehensweisen gekennzeichnet, wobei verstärkt formallogische und kybernetische Darstellungsweisen angewendet werden. Nicht die inhaltliche Begründung von Wertungen und Normen, sondern die analytische Beschreibung von Recht und Gesellschaft in ihrer Struktur und Interdependenz steht im Vordergrund.
 
Inhaltlich wendet sich die Rechtstheorie gegen alle »metaphysischen« Strömungen der Rechtsphilosophie, seien es naturrechtliche, ontologische, neuhegelianische oder wertapriorische. Sie schlägt dabei verschiedene Richtungen ein: Die soziologische Rechtstheorie wird vom amerikanischen Legal Realism (Karl N. Llewellyn, * 1893, ✝ 1962) und vom skandinavischen Rechtsrealismus (Axel Hägerström, * 1868, ✝ 1939; Anders Vilhelm Lundstedt, * 1892, ✝ 1955; Karl Olivecrona, * 1897, ✝ 1980; Alf Ross, * 1899, ✝ 1979) gebildet. Recht kann danach nur als gesellschaftliche Gegebenheit deskriptiv-empirisch analysiert, aber nicht normativ entwickelt werden. Die Rolle der Rechtswissenschaft besteht in der Vorhersage von Gerichtsentscheidungen und der Analyse der Rechtssprache. Die analytische Rechtstheorie (Herbert Lionel Adolphus Hart, * 1907, ✝1993; Norbert Hoerster, * 1937) sieht ihre Aufgabe in der Abgrenzung von begrifflichen, empirischen und normativen Sätzen und in der vor diesem Hintergrund durchgeführten logisch-normalsprachlichen Analyse der Rechtssprache und ihrer Verwendung. Die systemtheoretische Rechtstheorie (N. Luhmann; Gunther Teubner, * 1944) begreift das Recht als ein aus sich selbst heraus funktionierendes (autopoietisches) Subsystem der Gesellschaft, das mit eigenem Code und eigenen Regeln funktioniert. Die institutionalistisch-positivistische Rechtstheorie (Ota Weinberger, * 1919; Donald Neil MacCormick, * 1941) betont eine Interdependenz zwischen normativ-sprachlichen Tatsachen und ihrer gesellschaftlichen Institutionalisierung. Die argumentations- beziehungsweise diskurstheoretische Rechtstheorie (Robert Alexy, * 1945; J. Habermas) sieht die Legitimation von Recht in der Einhaltung rational-egalitärer Kommunikationsbedingungen bei seiner Entstehung und Anwendung.
 
In Deutschland hat die Rechtstheorie Ende der 1960er-Jahre mit der zunehmenden Rezeption der angelsächsischen Philosophie einen starken Aufschwung erlebt, der sich in der Gründung zweier Periodika (»Rechtstheorie«, seit 1970; »Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie«, seit 1970) niederschlug.
 
Literatur:
 
H. L. A. Hart: Der Begriff des Rechts (a. d. Engl., 1973);
 R. Dreier: Studien zur R., 2 Bde. (1981-91);
 
Grundlagen des institutionalist. Rechtspositivismus, Beitrr. v. D. N. MacCormick u. a. (1985);
 G. Teubner: Recht als autopoiet. System (1989);
 R. Alexy: Theorie der jurist. Argumentation (31996).

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Rẹchts|the|o|rie, die: Richtung der Rechtsphilosophie, die sich mit der Semantik, Syntax u. Pragmatik der Rechtssprache, juristischer Rhetorik, der Theorie der Gesetzgebung, juristischer Methodenlehre u. Ä. beschäftigt.

Universal-Lexikon. 2012.