Zeugen Jehovas,
englisch Jehovah's Witnesses [dʒɪ'həʊvəz 'wɪtnɪsɪz], bis 1931 Ernste Bibelforscher, in den USA entstandene, auf einer eigenständigen Bibelauslegung beruhende Religionsgemeinschaft. Ihr Gründer, der einer presbyterianischen Familie entstammende Kaufmann Charles Taze Russell (* 1852, ✝ 1916), schloss sich nach 1869 einem adventistischen Kreis an, der in der Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi lebte, betrieb in der Folge intensive Bibelstudien und gründete 1874 einen eigenen Bibelkreis. 1879 gründete Russell in Brooklyn (heute zu New York) die Zeitschrift »Zions' Watch Tower And Herald of Christ's Presence« (deutsche Ausgabe »Der Wachtturm und Verkünder der Gegenwart Christi«, 1896 ff.) und 1881 die »Zions' Watch Tower Tract Society« (heute »Watch Tower Bible and Tract Society Of Pennsylvania«) als Verlag und Vertriebsgesellschaft. Diese wurde wirtschaftliche Fundament und organisatorisches Zentrum der Bewegung, die unter dem Juristen Joseph Franklin Rutherford (* 1869, ✝ 1942), dem Nachfolger Russells als Leiter der »Wachtturm-Gesellschaft«, eine streng zentralistische und hierarch. (»theokratische«) Organisationsstruktur mit Sitz des obersten Leitungsgremiums in Brooklyn erhielt.
Im Zentrum der von den Zeugen Jehovas vertretenen Lehre steht der »Vorsatz«, den Gott in seinem Handeln gegenüber der Menschheit in den verschiedenen, von ihm festgelegten Zeitaltern gefasst habe und der sich aus der Bibel ableiten lasse. Als ein entscheidender Zeitpunkt in diesem »Handlungsplan Gottes« wird das Jahr 1914 angesehen, mit dem sein Königreich (»Jehovas Königreich«) nahe herbeigekommen sei: In ihm werde Jesus Christus wiederkommen und die Macht Satans endgültig gebrochen werden, der die irdische Welt beherrscht. In der Vergangenheit spielten dabei Berechnungen des Weltendes (nach 1914 für 1918, 1925 und zuletzt für 1975 vorausgesagt) eine große Rolle. Die Vernichtung alles Schlechten wird in der »Schlacht von Harmagedon« (Offenbarung des Johannes 16, 16) erwartet, während die »wahren Anbeter Jehovas«, als die sich die Zeugen Jehovas verstehen, von Gott errettet und in einem neuen Paradies auf Erden leben werden. Aufgrund ihres Bibelverständnisses, nach dem die Bibel (die in einer eigenen englischen Übersetzung vorliegt, die ihrerseits in andere Sprachen übersetzt wurde) durch den Heiligen Geist zum Teil wortwörtlich inspiriert ist, sehen die Zeugen Jehovas die Trinitätslehre und die Sakramente der christlichen Kirchen als »unbiblisch« an, feiern weder das Weihnachtsfest noch Geburtstage, befolgen strenge Moralvorschriften und lehnen Militärdienst und politische Betätigung ab. Ihre religiöse Praxis wird bestimmt durch den Predigtdienst, die Weitergabe ihrer theologischen Erkenntnisse und die weltweite Mission. Charakteristisch sind dabei das persönliche Ansprechen Außenstehender (besonders individuelle Besuche) und der Schriftenvertrieb auf der Straße. - Nach Eigenangaben der Gemeinschaft gibt es Zeugen Jehovas in fast allen Staaten der Erde; die Zahl der Mitglieder (»Verkündiger«) wird (2000) mit über 5,9 Mio. angegeben. In Deutschland wirken die Zeugen Jehovas seit 1903. Unter dem nationalsozialistischen Regime verboten, kamen etwa 2 000 Zeugen Jehovas (vielfach wegen Kriegsdienstverweigerung) in Konzentrationslager; etwa 1 200 wurden dort ermordet. In der DDR waren die Zeugen Jehovas (beschuldigt der »imperialistischen Agententätigkeit«) von 1950 bis März 1990 ebenfalls verboten. - Heute zählen die Zeugen Jehovas in Deutschland rd. 167 000 Mitglieder. Sitz des deutschen Zweigs ist Selters (Taunus).
Ausgabe: Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift, herausgegeben von der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft (1986).
C. T. Russell: Studies in the scriptures. .., 7 Bde. (Allegheny, Pa., 1886-1917);
J. F. Rutherford: Die Harfe Gottes. Überzeugender Beweis, daß Millionen jetzt Lebender niemals sterben werden (1922);
R. Franz: Der Gewissenskonflikt. Menschen gehorchen oder Gott treu bleiben? (a. d. Amerikan., 1988);
G. Pape: Ich war Z. J. (Neuausg. 1993);
F.-W. Haack: Jehovas Zeugen (161997).
Universal-Lexikon. 2012.