Kriegs|dienst|ver|wei|ge|rung 〈f. 20; unz.〉 Verweigerung von Wehrpflicht u. Kriegsdienst
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Kriegs|dienst|ver|wei|ge|rung, die:
Verweigerung des Kriegsdienstes unter Berufung auf Gewissensgründe.
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Kriegsdienstverweigerung,
die Weigerung aus Gewissensgründen, Kriegsdienst mit der Waffe zu leisten. In Deutschland ist die Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Absatz 3 GG als Grundrecht geschützt; danach darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Hierzu gehören alle Tätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Kriegswaffen stehen. Diese umfassen auch die Kriegsdienstausbildung im Frieden. Das Recht der Kriegsdienstverweigerung ist Ausfluss der in Art. 4 Absatz 1 GG geschützten Gewissensfreiheit und setzt deshalb eine Ablehnung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen voraus, die glaubhaft zu machen sind. Das Bundesverfassungsgericht verlangt hierfür eine Gewissensentscheidung gegen »das Töten im Krieg schlechthin«, erkennt also eine nur situationsbedingte Verweigerung nicht an. Das Recht zur Kriegsdienstverweigerung steht sowohl den noch nicht gedienten Wehrpflichtigen (oder Freiwilligen) als auch den dienenden beziehungsweise bereits gedienten Soldaten oder Berufssoldaten zu.
Nach dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz vom 28. 2. 1983 entscheidet das Bundesamt für den Zivildienst aufgrund eines schriftlichen Antrages des (ungedienten, noch nicht einberufenen, mindestens 17½ Jahre alten) Verweigerers. Der Antrag hindert die Einberufung zum Wehrdienst, welche erst zulässig ist, nachdem der Antrag unanfechtbar abgelehnt oder zurückgenommen wurde. Bei begründeten Zweifeln an der Ernsthaftigkeit der behaupteten Gewissensentscheidung entscheidet ein beim Kreiswehrersatzamt gebildeter Ausschuss, gegebenenfalls nach persönlicher Anhörung. Bei gedienten oder dienenden Soldaten findet stets eine Überprüfung in einem Verfahren vor den Ausschüssen (Besetzung: ein vom Bundesminister der Verteidigung bestellter volljuristischer Vorsitzender, zwei ehrenamtliche Beisitzer) beziehungsweise im Widerspruchsverfahren vor den Kammern für Kriegsdienstverweigerung statt.
Nach dem Zivildienstgesetz dauert der Zivildienst drei Monate länger als der Grundwehrdienst.
Die Verweigerung auch des Zivildienstes (»Doppelverweigerung«) ist nicht rechtens, doch ist für Zivildienstverweigerer aus Gewissensgründen die Möglichkeit geschaffen, in bestimmten freien Arbeitsverhältnissen den Dienst abzuleisten.
Der Anteil der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs, die einen Kriegsdienstverweigerungsantrag stellen, hat sich bei rd. 28 % eingependelt. Während 1989 die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung 77 432 betrug, 1990 auf 74 569 sank, schnellte sie 1991 auf 150 722 hoch; seitdem war sie rückläufig (1994: 125 694), erreichte aber 1995 mit 160 659 Anträgen einen neuen Höchststand; 1996: 156 763 Anträge.
In der DDR gab es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung; seit 1964 bestand jedoch in der NVA die Möglichkeit des waffenlosen Dienstes als »Bausoldat«. Unter der Regierung Modrow wurde 1990 die VO über den Zivildienst erlassen, die bis zum 3. 10. 1990 galt.
Nach traditioneller katholischer Lehre war ein Christ zum Kriegsdienst in einem »gerechten« Krieg sittlich verpflichtet. Die Kriegsdienstverweigerung wurde nur in einem »ungerechten« Krieg akzeptiert oder sogar gefordert. Erst das 2. Vatikanische Konzil hat es als billig bezeichnet, dass der Staat die Kriegsdienstverweigerung zulässt, sofern dafür ein nichtmilitärischer Gemeinschaftsdienst übernommen wird. Der »Katechismus der katholischen Kirche« (1992) knüpft an beide Aussagen an (§§ 2310 f.). Für die seelsorgerische Betreuung der Kriegsdienstverweigerer ist in der katholischen Kirche Deutschlands das Referat »Katholische Zivildienstseelsorge« der Zentralstelle Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz zuständig.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die sich nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zur grundsätzlichen Abkehr von den Mitteln der Gewaltanwendung bekannte, hat seit den 50er-Jahren jene, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigern, unterstützt und an der betreffenden Gesetzgebung mitgearbeitet. Der Rat der EKD hat einen Beauftragten für Fragen der Kriegsdienstverweigerung. Die Beratung und Betreuung von Kriegsdienstverweigerern in den Landeskirchen wird von der »Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer« (Sitz: Bremen) koordiniert.
Beratung und Betreuung von Kriegsdienstverweigerern, Zivildienstleistenden und Totalverweigerern erfolgen auch durch die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e. V. und die »Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e. V.« (Sitz: Bremen).
Vollständig abgelehnt wird der Kriegsdienst von den Friedenskirchen, den Hutterern und den Zeugen Jehovas, u. a. unter Berufung auf die Bergpredigt und das Gebot der Feindesliebe.
In Österreich haben wehrpflichtige männliche Staatsbürger, die aus Gewissensgründen die Erfüllung der Wehrpflicht verweigern, gemäß Art. 9 a Absatz 3 B-VG einen Ersatzdienst zu leisten. Nach dem Zivildienstgesetz in der 1996 geänderten Fassung wird der Wehrpflichtige mit Einbringung der Zivildiensterklärung, in der er mitteilt, es aus Gewissensgründen abzulehnen, Waffengewalt (von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen) gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot zu geraten, von der Wehrpflicht befreit und zivildienstpflichtig. Der Zivildienst dauert zwölf Monate.
In der Schweiz wurde ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Dienstverweigerung) bis 1989 nicht anerkannt und Kriegsdienstverweigerung unter Strafe gestellt. Durch Gesetz vom 15. 10. 1990 wurde sie entkriminalisiert und statt der drohenden Gefängnisstrafe eine Arbeitsverpflichtung von längstens 24 Monaten bei gleichzeitiger Verankerung des waffenlosen Dienstes vorgesehen. Am 1. 10. 1996 trat das Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst vom 6. 10. 1995 in Kraft, wonach Militärdienstpflichtige, die den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, einen zivilen Ersatzdienst leisten dürfen (hat die 1,5fache Länge der noch nicht geleisteten militärischen Ausbildungsdienste).
A. Krölls: K. Das unbequeme Grundrecht (21984);
W. Krücken: K. Polit., eth., theolog. Erinnerungen u. Erwägungen zu einem unbewältigten Problem (1987);
W. Steinlechner: K.-Gesetz, Komm. (1990);
H.-T. Brecht: K. u. Zivildienst (31992).
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Kriegs|dienst|ver|wei|ge|rung, die: Verweigerung des Kriegsdienstes unter Berufung auf Gewissensgründe: In der ersten Hälfte dieses Jahres wurden 32 000 Anträge auf K. gestellt (Kelly, Um Hoffnung 123).
Universal-Lexikon. 2012.