äthiopische Kirche,
1) äthiopische orthodoxe Kirche, früher abessinische Kirche, die christliche Nationalkirche Äthiopiens. Sie führt ihren Ursprung auf die Missionstätigkeit der alexandrinischen Brüder Frumentios (Abba Sälama) und Aidesios am Anfang des 4. Jahrhunderts zurück. Mit der Annahme des Christentums durch König Ezana (341?) wurde die äthiopische Kirche Staatskirche; als solche bestand sie, mit großem Landbesitz und zahlreichen Privilegien ausgestattet, ununterbrochen bis zum Militärputsch Mengistu Haile Mariams 1974. Oberhaupt der äthiopischen Kirche war bis 1959 der koptische Patriarch von Alexandria, die kirchliche Leitung erfolgte durch einen von ihm ernannten koptischen Bischof. 1951 wurde unter maßgeblicher politischer Einflussnahme des Kaisers erstmals ein Äthiopier zum leitenden Bischof (Abuna) ernannt. Seit 1959 besitzt die äthiopische Kirche die Autokephalie und wird von einem eigenen Patriarch-Katholikos mit Sitz in Addis Abeba geleitet; als Tochterkirche der koptischen Kirche erkennt die äthiopische Kirche den Ehrenvorrang des koptischen Patriarchen an. Nach 1974 kam es zur Trennung von Staat und Kirche; mit der entschädigungslosen Enteignung ihres umfangreichen Grundbesitzes (rd. 30 % des Ackerlandes) durch die Agrarreform von 1975 verlor sie ihre wirtschaftliche Basis. 1987 erfolgte eine Umorientierung der staatlichen Kirchenpolitik, in deren Gefolge einige Beschränkungen der kirchlichen Tätigkeit aufgehoben wurden. 1994 fand der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche Eingang in die neue Verfassung Äthiopiens.
Die Lehrtradition der äthiopischen Kirche erkennt die Aussagen der ersten drei ökumenischen Konzile an, nicht aber die Beschlüsse von Chalkedon (451); das christologische Verständnis wird jedoch nicht als »monophysitisch«, sondern als »miaphysitisch« (eine vereinigte Natur Christi) beschrieben. Der äthiopische Bibelkanon umfasst auch die alttestamentlichen Apokryphen und den »Hirten des Hermas«. Das liturgische Leben ist reich ausgestaltet. Als den traditionellen Zentren des geistlichen Lebens kommt dabei den über 800 Klöstern eine überragende Bedeutung zu. Liturgische Sprache ist das Geez; unter 20 Liturgieformularen ist v. a. die auf die alexandrinische »Markusliturgie« (4. Jahrhundert) zurückgehende Liturgie der zwölf Apostel in Gebrauch; auf dem Land ist neben der Sonntags- auch die Sabbatheiligung verbreitet. Die Volksfrömmigkeit zeigt Riten und Gebräuche, die teilweise schwer von der Magie abzugrenzen sind. Oberhaupt der äthiopischen Kirche ist seit 1992 Paulos (Gebre Yohannes, * 1935), Ausbildungsstätte das Theologische Seminar der Heiligen Dreifaltigkeit in Addis Abeba.
Die orthodoxen Christen in Eritrea unterstehen seit 1998 der Jurisdiktion eines eigenen Patriarchen. Seiner Weihe durch den koptischen Papst und Patriarchen Shenouda III. gingen seit 1994 die Weihen von sechs eritreischen Bischöfen voraus. Liturgisch und dogmatisch versteht sich die mit der Patriarchenweihe konstituierte eritreische orthodoxe Kirche als Tochterkirche der koptischen Kirche und Schwesterkirche der äthiopischen Kirche.
C. P. Groves: The planting of christianity in Africa, 4 Bde. (London 1948-58);
F. Heyer: Die Kirche Äthiopiens (1971);
Caspar D. G. Müller: Gesch. der oriental. Nationalkirchen (1981);
F. Heyer: Die Heiligen der Äthiop. Erde (1998).
2) unierte äthiopische Kirche, die Gemeinschaft der mit der katholischen Kirche unierten äthiopischen Christen. Die 1626 unter dem Einfluss des Jesuitenordens zustande gekommene Union hatte keinen Bestand; erst die Missionstätigkeit der Lazaristen und Kapuziner im 19. Jahrhundert führte zu einer dauerhaften Union. 1930 wurde ein Äthiopier zum Bischof der Unierten berufen, 1961 ein katholisch-äthiopischer Metropolitanverband geschaffen. Sitz des Metropoliten ist Addis Abeba. Erzbischof ist seit 1999 Berhane-Yesus Demerew Souraphiel (* 1948). Gegenwärtig umfasst die unierte äthiopische Kirche rd. 68 000 Gläubige in Äthiopien (zwei Bistümer) und rd. 133 000 in Eritrea (drei Bistümer).
Universal-Lexikon. 2012.