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politische Ökonomie
politische Ökonomie,
 
ursprünglich eine im außerdeutschen Sprachraum (v. a. in England, Frankreich und Italien) übliche Bezeichnung für die Volkswirtschaftslehre (insbesondere die Lehre von der Wirtschaftspolitik). Der Begriff kommt erstmals bei A. de Montchrétien (»Traité de l'œconomie politique«, 1615) vor, um in Abgrenzung zu der aristotelischen Ökonomie, der Lehre von der richtigen Hauswirtschaft im weiteren Sinn, die im Verlauf der merkantilistischem Wirtschaftspolitik neu entstehende Lehre von der Wirtschaft des gesamten Staates zu bezeichnen. Im 18. und 19. Jahrhundert wird der Begriff auch Synonym für die klassische Nationalökonomie, wobei das Wort »politisch« nur darauf verweist, dass die Nationalökonomie auch Empfehlungen für das wirtschaftspolitische Verhalten des Staates enthält. In ihrem Mittelpunkt stehen die vom Eigennutz gesteuerten Handlungen der Individuen und deren Zusammenwirken. Nicht zuletzt deshalb lautet auch der Untertitel zu »Das Kapital« von K. Marx »Kritik der politischen Ökonomie«. Von den Marxisten wird politische Ökonomie (Politökonomie) als Gegenbegriff zu der »unpolitischen« Betrachtungsweise der späteren (neoklassischen) Nationalökonomie verwendet, weil in der marxistischen Theorie die Interessen der (wirtschaftlich und politisch im Gegensatz zueinander stehenden) Klassen der Kapitalisten und Arbeiter und deren Verhalten als Gruppe eine entscheidende Rolle spielen, in der Neoklassik dagegen das einzelne, unabhängig entscheidende Individuum. Nachdem u. a. A. Marshall (1879) nur noch von »Economics« als Fachbezeichnung spricht, wird politische Ökonomie aus dem Vokabular der nichtmarxistischen Literatur mehr und mehr eliminiert und bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vorwiegend mit dem marxschen Konzept einer Kritik der politischen Ökonomie identifiziert.
 
Zentrales Anliegen der in den 1960er-Jahren entstandenen neuen politischen Ökonomie (ökonomische Theorie der Politik) ist die Anwendung der Methoden und Instrumente der ökonomischen Analyse auf politische (nichtmarktmäßige) Entscheidungsprozesse, wobei zwei Grundgedanken Vorrang haben: 1) Während in der traditionellen Theorie der Wirtschaftspolitik der Einfluss wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die Wirtschaft im Vordergrund steht, will die ökonomische Theorie der Politik die wechselseitige Abhängigkeit des politischen und ökonomischen Handelns analysieren, also auch den Einfluss ökonomischer Größen (z. B. der konjunkturellen Situation) auf das Verhalten der politischen Akteure (z. B. Wähler, Interessenverbände, Parteien, Regierungen). 2) Die politischen Instanzen werden nicht mehr als »neutrale«, über den egoistischen Interessen der Bürger stehende Institutionen behandelt, die ihr Handeln an ideellen Werten wie dem Gemeinwohl und anderen wirtschaftspolitischen Zielen ausrichten, sondern das Verhalten der politischen Akteure wird wie das Verhalten von Produzenten und Konsumenten durch die individuellen ökonomischen Ziele der beteiligten Menschen erklärt, die individuelle Vorteile anstreben und sich für diese Ziele politische Institutionen und Instrumente nutzbar machen. Die Ursprünge derartiger Fragestellungen reichen von K. Wicksell, E. R. Lindahl und J. Schumpeter bis zu den Arbeiten von K. J. Arrow (1951). Die neue politische Ökonomie greift insbesondere zurück auf Veröffentlichungen von A. Downs (1957) zur ökonomischen Theorie der Demokratie, von M. Olson (1965) zur Theorie der Interessengruppen und von William Arthur Niskanen (* 1933) zur Theorie der Bürokratie (1971) sowie auf die seit den 60er-Jahren von J. M. Buchanan und Gordon Tullock (* 1922) entwickelten Ideen zur ökonomischen Analyse nichtmarktmäßiger Entscheidungen, für die sich die Bezeichnung Public-Choice-Theorie eingebürgert hat.
 
Nach der neuen politischen Ökonomie konkurrieren in einer Demokratie die Parteien mit ihren Programmen wie die Anbieter von Produkten um die Stimmen der Bürger. Kommt eine Partei an die Regierung, so verfolgen ihre (führenden) Mitglieder ihre eigenen Interessen mittelfristig durch eine Politik, die ihre Wiederwahl ermöglicht, kurzfristig durch die Einnahme von Positionen, die ihnen Macht, Prestige und Einkommen sichern. Um die Wiederwahlchancen zu erhöhen, werden z. B. Ausgabenprogramme beschlossen, ohne das gesamtwirtschaftliche Umfeld hinreichend zu berücksichtigen (Modell politischer Konjunkturzyklen, politische Theorie der Inflation). Auch die Probleme nichtstaatlicher Kollektive, z. B. von Verbänden, werden von der neuen politischen Ökonomie auf das Eigeninteresse der Mitglieder zurückgeführt. Ein Grundproblem solcher Kollektive besteht darin, dass ihre Mitglieder zwar ein Interesse daran haben, an den Leistungen des Kollektivs teilzuhaben, dass sie aber ihre Beteiligung an den Kosten der Leistungserstellung möglichst gering halten möchten. Sie werden daher die Beteiligung dann zu vermeiden trachten, wenn ihnen die Leistung auch ohne Kostenbeitrag zufällt (»Trittbrettfahrer«). Wenn ihr Beitrag feststeht, werden sie versuchen, möglichst viele Leistungen »herauszuholen« (Beispiel: private Versicherungen).
 
Literatur:
 
A. Downs: Ökonom. Theorie der Demokratie, hg. v. R. Wildenmann (a. d. Amerikan., 1968);
 
Gesch. der p. Ö., hg. v. H. C. Recktenwald (1971);
 
Jb. für neue p. Ö., hg. v. P. Herder-Dornreich u. a. (1982 ff.);
 K. G. Zinn: P. Ö. (1987);
 M. Olson: Die Logik des kollektiven Handelns (a. d. Engl., 31992);
 P. Bernholz u. F. Breyer: Grundlagen der p. Ö., 2 Bde. (31993-94);
 G. Kirsch: Neue p. Ö. (31993);
 M. Fluhrer: Ansätze einer ökonom. Theorie der Wahlen (1994);
 B. S. Frey u. G. Kirchgässner: Demokrat. Wirtschaftspolitik (21994);
 T. Petersen: Individuelle Freiheit u. allg. Wille. Buchanans p. Ö. u. die polit. Philosophie (1996).
 
Zeitschrift: European journal of political economy (1985 ff., früher u. d. T. Europ. Ztschr. für p. Ö.).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
politische Ökonomie: Public-Choice-Theorie
 

Universal-Lexikon. 2012.